: Putins "neue Armee": Der große Bluff
von Florian Huber
04.03.2024 | 20:39 UhrIgor kämpfte als Söldner und will nun über Kriegsverbrechen in der Ukraine aussagen.
22.02.2024 | 36:10 minAls Wladimir Putin im Jahr 2000 mit dem Präsidentenamt den Oberbefehl über die Armee übernahm, trat er ein schweres Erbe an. Hinter Russland lag ein Jahrzehnt des Niedergangs, der die stolze Sowjetarmee in einen Abwärtsstrudel gerissen hatte.
Der russische Militärexperte Wladislaw Schurygin, damals ein junger Offizier, erinnert sich:
Unsere Streitkräfte waren aufs Abstellgleis geschoben, keiner kümmerte sich mehr um sie. Ich erlebte eine Armee, die am Auseinanderfallen war.
Die verlustreichen Kriege in Tschetschenien, der Untergang des Atom-U-Boots Kursk 2000 und der pannenreiche Feldzug in Georgien 2008 überzeugten die russische Führung von der Dringlichkeit einer großen Militärreform.
- Die gesamte Dokumentation-Reihe "Putins Krieger"
Viel Geld für neue Strukturen und Waffensysteme
Ziel war es, aus dem postsowjetischen Koloss eine kompakte Hightech-Truppe nach westlichem Muster zu formen, mit Unsummen an Geld, modernen Strukturen und neuen Waffensystemen.
Präsident Putin hat eine Vergrößerung seiner Armee um rund 170.000 Soldaten angekündigt. Auf ukrainischer Seite sind viele Soldaten seit dem Beginn des Krieges ständig im Einsatz.
02.12.2023 | 01:28 minDer Ex-Offizier und Überläufer Nikolaj besuchte in der Zeit die Militärakademie:
Als Putin ans Ruder kam, wurde es für einige Jahre besser. Wir Offiziersschüler wurden perfekt ausgestattet, bekamen ein Stipendium, Essen und gute Uniformen. Wir alle glaubten, dass sich wieder jemand um die Armee kümmert.
Die Zahlen sprechen dafür: Der Militäretat verdoppelte sich binnen 15 Jahren auf 86 Milliarden Euro (2023). Ein Drittel des Staatshaushalts geht heute in die Verteidigung. Auf der Militärmesse bei Moskau präsentierte der staatliche Rüstungskonzern Rostec 2022 mehr als 1.000 Innovationen.
Putins "neue Armee" auch vom Westen wahrgenommen
Schnell verbreitete sich im Westen das Bild von Putins "neuer Armee", die in Syrien oder auf der Krim ihre neue Professionalität demonstrierte. Der ehemalige Sowjetoffizier und spätere Oberst der ukrainischen Armee Oleg Schdanow hat den Imagewandel verfolgt:
Sie haben erfolgreich den Mythos von der zweitbesten Armee der Welt verbreitet. Die Nato zittert vor Russland. Und dazu winken sie mit der Atomkeule: Kommt nur her, wir machen euch alle fertig!
Russlands Armee habe zwar weiter Führungsschwierigkeiten, so Militärexperte Gustav Gressel. Die Qualität habe sich aber erhöht und Angriffe würden disziplinierter vorgetragen.
23.11.2023 | 26:55 minÜberläufer berichten von Korruption
An zwei Grundübeln der russischen Streitkräfte lief Putins Armeereform jedoch vorbei. Die Überläufer berichten von endemischer Korruption: heimlich verkaufte Ausrüstung, Schmiergelder und Kungelei in allen Rängen. Mitunter sind ganze Einheiten schlicht lahmgelegt, weil Benzin, Munition oder Waffen verschoben wurden.
Soldaten wie der Luftwaffenoffizier Nikolaj fühlen sich durch Millionenskandale auf Ministerebene hintergangen:
Was die Loyalität der Soldaten betrifft, die ist doch ein Hirngespinst! Nichts verbindet den Mann im Schützengraben mit dem Minister der Verteidigung.
Gewaltsystem innerhalb der Armee
Das Gewaltsystem der "Dedowschtschina", die schikanöse Herrschaft der Altgedienten über die Jüngeren, ist die zweite große Bürde dieser Armee. Als in den 90er Jahren die "Soldatenmütter" gegen Misshandlungen demonstrierten, war von bis zu 2.000 Todesfällen jährlich in russischen Kasernen die Rede.
Unter Putin wurden die Zahlen zur Verschlusssache, doch geändert hat sich wenig. So berichtet der Funkoffizier Andrej, der während des Ukraine-Kriegs nach Kasachstan desertierte, vom inneren Terror als Teil seiner Ausbildung.
Direkt vor meinen Augen schlug ein älterer Offiziersschüler einen anderen halbtot. Sein Gesicht war aufs doppelte angeschwollen. Der Täter kam ungestraft davon.
Die archaischen Rituale aus der Zarenzeit entlarven Putins "neue Armee" als Illusion.
Angriff auf Kiew zeigte Scheitern der Reformen
Das Scheitern der Reformen zeigte der Angriff auf Kiew im Februar 2022. Igor, ein Ex-Offizier und Militärveteran, bekam an der Spitze seiner Einheit den Auftrag, im Handstreich den ukrainischen Geheimdienst und die Regierung Selenskyj auszuschalten.
In diesem Moment war für mich klar, da oben sitzen komplette Idioten, völlig realitätsfremd.
Nach der von Putin verkündeten Teilmobilisierung im September 2022 haben in weniger als einem halben Jahr rund 150.000 junge Männer aus Angst vor der Einberufung Russland fluchtartig verlassen.
14.02.2023 | 09:01 minStatt moderner Wunderwaffen sah Igor auf dem Schlachtfeld altes Sowjetmaterial, statt einer koordinierten Führung strukturloses Durcheinander.
Es ist ein Mythos, dass sich diese Armee grundlegend geändert haben soll. Alles nur ein großer Bluff.
Die "militärische Spezialoperation" in der Ukraine hat den Schleier über dem Wunschbild von Putins "neuer Armee" gelüftet, das gestehen sogar russische Insider wie der Militärexperte Wladislaw Schurygin ein. Doch er verspricht auch, dass dies nicht das letzte Wort gewesen sein wird. Die letzten zwei Jahre seien eine Art Erziehungsschock gewesen. "Die echte, eigentliche Militärreform, die beginnt gerade erst jetzt."