Analyse

: Wie Kiews Angriffe Russlands Flotte treffen

von Christian Mölling, András Rácz
11.11.2023 | 19:17 Uhr
Alle Häfen der Krim sind in Reichweite ukrainischer Angriffe, die Schwarzmeerflotte wird wohl nach Osten verlegt. Die Bedrohung durch ihre Raketen bleibt aber bestehen.
Russisches Kriegsschiff in der Meerenge von Kertsch (Archivbild vom 17 Juli 2023).Quelle: ap
Am 10. November veröffentlichte der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU Aufnahmen von zwei russischen leichten Kriegsschiffen, die im nördlichen Teil der Halbinsel Krim getroffen wurden. Dieser Treffer war der jüngste in einer langen Reihe ukrainischer Angriffe gegen Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte.

Lange Liste von erfolgreichen Angriffen auf Krim

Zuletzt gelang es der Ukraine am 4. November, eine moderne Korvette der Karakurt-Klasse, die "Askold", im östlichsten Hafen der Krim, in Kertsch, zu treffen. Das Schiff erlitt schwere Schäden an Rumpf und Aufbauten. Die Reparatur wird, wenn überhaupt möglich, mehrere Monate dauern. Im Oktober beschädigte die Ukraine eine weitere Korvette und auch ein Patrouillenschiff.

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Russische Flotte hart getroffen

Im September griffen ukrainische Streitkräfte mit Storm Shadow/SCALP-Raketen erfolgreich das Trockendock in Sewastopol an und zerstörten sowohl ein großes Landungsschiff der Ropucha-Klasse als auch ein dort angedocktes modernisiertes U-Boot der Kilo-Klasse. Den verfügbaren Satellitenbildern zufolge sind beide Schiffe nicht mehr zu reparieren.
Außerdem blockieren die Wrackteile die Docks, so dass es dort praktisch keine größeren Reparaturkapazitäten mehr gibt. Ebenfalls im September gelang der Ukraine ein erfolgreicher Angriff auf das Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol, bei dem das Gebäude massiv beschädigt und mehrere hochrangige Marineoffiziere getötet wurden.
Im August beschädigte eine ukrainische Marinedrohne bereits ein Landungsschiff der Ropucha-Klasse im Hafen von Noworossijsk schwer. Die "Olenegorsky Gorniak" blieb zwar schwimmfähig, ist aber kaum noch fahrtüchtig, und in Noworossijsk gibt es keine Schiffbaukapazitäten, die sie reparieren könnten.

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Die Kombination dieser Angriffe zeigt, dass die Ukraine in der Lage ist, alle von der russischen Schwarzmeerflotte genutzten Häfen der Krim, einschließlich des östlichsten Hafens in Kertsch, mit Präzisionsschlägen zu treffen. Darüber hinaus ist Russland offenbar nicht in der Lage, diese Angriffe abzuwehren, ungeachtet der auf die Halbinsel verlegten Luftverteidigungs- und elektronischen Kampfflugzeuge.

Russland dürfte mit Abzug und mehr Schutzmaßnahmen reagieren

Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass Russland seine verbleibenden einsatzfähigen Militärschiffe schrittweise aus den Häfen der Krim abziehen wird, um sie vor künftigen ukrainischen Angriffen zu schützen. Die wahrscheinlichen neuen Stationierungshäfen werden Noworossijsk und Gudauta sein, letzterer im besetzten abchasischen Teil Georgiens gelegen. Während der Hafen von Noworossijsk theoretisch in Reichweite der ukrainischen Marinedrohnen liegt, hat Russland seit dem Angriff im August mit solchen Angriffen gerechnet und starke Abwehrmaßnahmen wie Netze und Patrouillenschiffe eingerichtet, um jede ankommende Marinedrohne abzufangen.

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.

Bedrohung für den Getreidekorridor sinkt, Raketenangriffe bleiben

Die Verlegung der verbleibenden Einheiten der Schwarzmeerflotte nach Osten bedeutet, dass Russland noch weniger in der Lage ist, den Seeverkehr im westlichen Schwarzmeerbecken zu behindern. Daher kann der "Getreidekorridor" der Ukraine auch mit einer möglichen Kapazitätserweiterung in Betrieb bleiben. Zwar stellen Seeminen nach wie vor eine Gefahr für die Schifffahrt dar, doch ist es sehr unwahrscheinlich, dass russische Überwasserschiffe in die Reichweite ukrainischer Seestreitkräfte oder westlicher Überwachungsdrohnen geraten.
Die Fähigkeit Russlands, seegestützte Marschflugkörper abzuschießen, hat ebenfalls abgenommen, da sowohl das U-Boot als auch zwei der beschädigten Korvetten Träger des Kalibr-Marschflugkörpers waren. Allerdings muss man sehen, dass die Schwarzmeerflotte immer noch über eine Reihe von Schiffen verfügt, die solche Raketen abschießen können; die Bedrohung besteht also weiterhin, auch wenn sie deutlich zurückgegangen ist.
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