: Frauen in Moskau: "Mein Mann ist kein Soldat"

von Armin Coerper, Moskau
17.12.2023 | 12:44 Uhr
Nach fast zwei Kriegsjahren regt sich ein neuer Protest in Russland. Diesmal von Frauen und Müttern mobilisierter Soldaten, die ihre Männer zurückfordern. Welche Chance haben sie?

Auch in Russland gibt es Kritik am Krieg gegen die Ukraine. Wir haben eine Soldatenfrau getroffen, die um das Leben ihres Mannes fürchtet.

13.12.2023 | 06:23 min
Annas Ehemann kämpft für Russland in der Ukraine. Seit gut einem Jahr ist er einer von 300.000 Mobilisierten. Eigentlich darf sie nicht über den Krieg und die Armee sprechen, mit ausländischen Medien schon gar nicht. Doch Anna, die nicht wirklich so heißt, will nicht mehr schweigen. Wir sind irgendwo in Russland, in einer Stadt, deren Namen wir nicht nennen können, haben für das Interview eine Wohnung gemietet. Es soll nicht erkennbar sein, wer und wo sie ist. Denn sie riskiert viel.
Sie erzählt von ihrer Angst um ihren Mann, der ja gar nicht als Soldat ausgebildet sei. Wie er einberufen wurde und davon sprach, dass er "Mutter Russland" gegen die Faschisten in der Ukraine verteidigen muss. "Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er das selbst glaubt", erzählt Anna.

Putins Gegnerinnen: Die Polizei ist ratlos

Anna und andere Frauen sind zum ersten Mal Anfang Oktober in Erscheinung getreten. Am Jahrestag der Oktoberrevolution hatten sie sich in Moskau unter die Kommunisten gemischt und Plakate hochgehalten: "Mein Mann ist kein Soldat" stand da geschrieben. Die Frauen sind nicht generell gegen den Krieg, aber gegen den Einsatz der Mobilisierten.
Die Polizei schaute dem Protest ziemlich ratlos zu. "Normalerweise werden Demonstrierende zuerst verprügelt, dann festgenommen und zu drakonischen Strafen verurteilt. Doch das ist hier ein bisschen schwierig", erzählt Igor Yakovenko.
Der 72-jährige Journalist ist aus Russland nach Kiew geflohen und von dort auf Youtube ein gefragter Mann: "Denn wenn es Bilder von russischen Polizisten gibt, die die Frauen von Rekruten verprügeln, während diese im Schützengraben sterben - solche Bilder würden es bestimmt an die Front schaffen und etwas in Gang setzen, was für die Staatsmacht ziemlich unangenehm wäre."

Während die Ukraine nahezu täglich russischem Beschuss ausgesetzt ist, haben Russen kaum Informationen zur Lage im Nachbarland. Zudem droht Kreml-Kritikern die Verhaftung.

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Das Komitee der Soldatenmütter

Unangenehm für die Staatsmacht waren Frauen schon oft. So auch Walentina Melnikowa. Die 77-Jährige scheint keine Angst zu kennen, sie spricht offen und lächelt viel - mitten in Moskau.
Sie hat das "Komitee der Soldatenmütter" mitgegründet und leitet es noch heute. Das war 1989. Als die Sowjets in Afghanistan aufgeben mussten.

Die Rolle der Mütter im ersten Tschetschenien-Krieg

Auch im ersten Tschetschenien-Krieg in den 90ern setzten sich Russlands Mütter zur Wehr und forderten von "Mutter Russland" ihre Söhne zurück. Melnikowa und andere marschierten einfach in den Krieg, verhandelten mit den Tschetschenen direkt, um ihre eingezogenen Söhne rauszuholen. Es war der Anfang vom Ende des ersten Tschetschenien-Kriegs.
Die sogenannte Militärische Spezialoperation ist schon die elfte ihrer Art, seit wir das Komitee gegründet haben.
Walentina Melnikowa
"Ich habe damals im Radio vom Krieg gehört und mir geschworen, dass ich meine Söhne nicht in eine Armee lasse, die von derart verrückten, alten Männern geführt wird."

Was erwartet Russlands Frauen in Zukunft?

Doch welche Chance haben Frauen wie Anna heute? Das weiß auch Walentina Melnikowa nicht. Über das Heute redet sie nicht gerne. Vielleicht hat sie doch Angst. Denn als Russlands Soldatenmütter den Feldzug um ihre Söhne antraten, war Russland ein anderes Land.
"Putin wird den Frauen ihre Männer nicht zurückgeben", sagt Igor Yakovenko, "weil er es nicht kann."
Sie fordern das System heraus und das muss damit umgehen. Aber gewinnen werden sie wohl nicht.
Armin Coerper ist Leiter des ZDF-Studios Moskau.

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