: "Hölle auf Erden" - Die Schlacht um Bachmut

02.02.2023 | 07:38 Uhr
Seit sechs Monaten versuchen die Russen vergeblich, Bachmut einzunehmen. Das hat die Stadt zu einem Symbol ukrainischer Widerstandskraft gemacht. Ein ukrainischer Soldat berichtet.

Die ukrainischen Soldaten fordern Kampfjets und Militärhubschrauber vom Westen. Denn der Kreml wird neue Truppen entsenden. Derweil geht das Sterben der Einwohner weiter. Katrin Eigendorf

29.01.2023
Die bislang längste Schlacht in Russlands Krieg gegen die Ukraine hat Bachmut in eine Geisterstadt verwandelt. Trotz sechs Monaten gnadenloser Bombardierungen, Granatfeuer und Versuchen, Bachmut zu umzingeln, ist es den russischen Streitkräften bis jetzt nicht gelungen, die Stadt zu erobern.
Aber ihre Taktik der verbrannten Erde hat es Zivilisten unmöglich gemacht, ein Leben zu führen, das auch nur einen Hauch von dem hat, wie es einmal war.
Es ist jetzt (eine) Hölle auf Erden. Ich kann nicht genügend Worte finden, um es zu beschreiben.
Petro Woloschenko, ukrainischer Soldat
Petro Woloschenko ist Soldat in der ukrainischen Armee. Er stammt aus Kiew, kam im August in diese Gegend, als der russische Angriff begann. Seitdem hat er hier seinen Geburtstag, Weihnachten und Neujahr erlebt.

Warum Russland Bachmut unbedingt erobern will

Petro Woloschenko erlebte mit, wie die Stadt - etwa 100 Kilometer von der russischen Grenze entfernt - nach und nach in eine Wüste von Ruinen verwandelt wurde. Die meisten Häuser sind zerstört, ohne Dächer, Decken, Fenster oder Türen. Unbewohnbar, sagt der 44-Jährige.
Von den 80.000 Einwohnern, die hier vor dem Krieg lebten, sind nur ein paar Tausend geblieben. Sie sehen kaum das Tageslicht, denn sie verbringen den größten Teil der Zeit in Kellern, um sich vor den brutalen Kämpfen um sie herum zu schützen. Der Kriegslärm, die Explosionen, das Artilleriefeuer - es scheint nie abzureißen.
Russland greife im Moment massiv an, berichtet ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf:
Für Bachmut begannen Zerstörung, Tod und Leid im Sommer, nachdem Russland die letzte größere Stadt in der benachbarten Provinz Luhansk unter seine Kontrolle gebracht hatte. Es konzentrierte sich dann auf die Eroberung von Bachmut, und die Ukraine tat das Gleiche, um die Stadt zu verteidigen. Die Russen betrachten Bachmut als ein Sprungbrett zum Erreichen ihres Zieles, das noch verbliebene ukrainisch kontrollierte Gebiet in Donezk einzunehmen.

Warum Bachmut für Moskau so wichtig ist

Quelle: ZDF
Bachmut liegt in der Provinz Donezk - eine von vier, die Russland im vergangenen Herbst widerrechtlich annektierte. Moskau kontrolliert aber nur etwa die Hälfte des Gebiets. Es gibt für die russischen Truppen nur einen Weg, um die andere Hälfte einzunehmen, und er führt durch Bachmut.

Es bietet den einzigen möglichen Zugang zu größeren von Kiew kontrollierten Städten, seit die Ukrainer im September Isjum in der Provinz Charkiw zurückeroberten, wie Mykola Bielieskow, ein Forscher am ukrainischen Nationalen Institut für Strategische Studien erklärt. "Ohne Einnahme dieser Städte werden die russischen Streitkräfte nicht fähig sein, die ihnen gestellte politische Aufgabe zu erfüllen."

Moskau schickt schlecht ausgebildete Truppen zuerst

Die monatelangen Kämpfe erschöpften beide Seiten. Woloschenko zufolge änderten die Russen im Herbst ihre Taktik an der Front, entsandten Bodentruppen, anstatt hauptsächlich Artillerie einzusetzen.
Wie Mykola Bielieskow, ein Forscher am ukrainischen Nationalen Institut für Strategische Studien, sagt, werden zuerst die am wenigsten trainierten Russen geschickt, um die Ukrainer zu zwingen, das Feuer zu eröffnen und damit vielleicht die Stärken und Schwächen ihrer Verteidigung zu offenbaren. Besser ausgebildete Einheiten oder Söldner der Wagner-Gruppe, einem privaten russischen Militärunternehmen und bekannt für äußerste Brutalität, bildeten die Nachhut.
Putins Schattenarmee: Die Söldner der Wagner-Gruppe:

16.08.2022 | 09:48 min
Die Ukraine macht Bielieskow zufolge ihren Mangel an schwerer Ausrüstung durch Leute wett, die bereit sind, bis zuletzt zu kämpfen. "Leicht bewaffnet, ohne ausreichende Artillerie-Unterstützung, die sie nicht immer erhalten können, leisten sie Angriffen Widerstand, solange sie können."

Nach Mariupol: Bachmut wird zum Symbol des Widerstands

Das Ergebnis ist, dass die Schlacht vermutlich sowohl der Ukraine als auch Russland schreckliche Verluste gebracht hat. Wie tödlich sie bislang war, weiß niemand genau. Beide Seiten sagen nichts darüber.
Wie sich der Stellungskrieg im Osten der Ukraine entwickeln könnte - dazu der Militärhistoriker Sönke Neitzel bei ZDFheute live:
Bachmut hat inzwischen eine fast mythische Bedeutung für die Verteidiger gewonnen, ähnlich wie zuvor die Hafenstadt Mariupol in derselben Provinz. Sie war schließlich von den Russen erobert worden - nach einer 82-tägigen Belagerung, die sich am Ende auf eine Stahlfabrik reduzierte, in der entschlossene ukrainische Kämpfer mit Zivilisten ausharrten. "Bachmut ist bereits ein Symbol für ukrainische Unbesiegbarkeit geworden", beschreibt es Woloschenko.
Bachmut ist das Herz der Ukraine, und der künftige Frieden jener Städte, die nicht mehr besetzt sind, hängt von dem Rhythmus ab, in dem das Herz schlägt.
Petro Woloschenko, ukrainischer Soldat

Langsame und verlustreiche Geländegewinne Moskaus

Bis jetzt befindet sich Bachmut völlig unter der Kontrolle der ukrainischen Streitkräfte, wenn es auch mehr einer Festung gleicht als einem Ort, den Menschen besuchen, an dem sie arbeiten, den sie lieben.
Im Januar haben die Russen die 20 Kilometer entfernte Stadt Soledar eingenommen, aber sie rücken Militäranalysten zufolge sehr langsam vor - so langsam, dass man nicht von einer ernsten Offensive sprechen könne, sagt Bielieskow. "Es ist ein langsames Vorwärts-Drängen zu einem sehr hohen Preis."
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Quelle: Hanna Arhirova, AP

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