Analyse

: Wagenknecht-Partei: "Wer, wenn nicht wir?"

von Andrea Maurer und Christiane Hübscher
27.01.2024 | 18:17 Uhr
Aufbruchsstimmung, kaum junge Menschen, ein politisches Programm, das als Vollendung des Lebenswerks von Lafontaine und Wagenknecht gesehen werden kann. So war der erste Parteitag.

Weniger EU-Vorgaben, gelockerte Schuldenregeln, strikte Migrationspolitik: Mit scharfen Vorwürfen gegen die Ampel hat das Bündnis Sahra Wagenknecht den ersten Parteitag abgehalten.

27.01.2024 | 03:00 min
Als Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine um 10:01 Uhr in den Raum kommen, ist klar: Hier feiern zwei die Vollendung ihres Lebenswerks. Beide haben ihre alten Parteien hinter sich gelassen im Zorn. Wagenknecht erst kürzlich die Linkspartei, Lafontaine 2005 die SPD und 2022 dann auch die Linke.
Heute also ist der erste Bundesparteitag des "Bündnisses Sahra Wagenknecht" - und das Bündnis trägt die politische Programmatik des Ehepaares: Nato- und USA-kritisch, gegen grünen Moralismus, für höheren Mindestlohn und höhere Renten, gegen unbegrenzte Migration, und für die Rückkehr zur Friedens- und Außenpolitik der 60er Jahre, an die Wagenknecht und Lafontaine trotz radikal veränderter Weltlage immer noch glauben.

In Berlin findet der erste Parteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht statt. ZDF-Korrespondetin Andrea Maurer berichtet über die Entwicklungen.

27.01.2024 | 01:10 min
Im Interview mit ZDFheute sagte Lafontaine:
Willy Brandt erhielt für diese Außenpolitik den Friedensnobelpreis. Und ich würde mir wieder wünschen, dass ein deutscher Bundeskanzler mal wieder den Friedensnobelpreis erhalten würde und nicht für Waffenlieferungen und für Aufrüstung einstehen will.
Oskar Lafontaine

Rede der Co-Parteivorsitzenden Sahra Wagenknecht auf dem 1. Bundesparteitag von Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Berlin

27.01.2024 | 34:05 min

Angst vor Mitgliedern aus der AfD

In den letzten Monaten haben Wagenknecht und ihr Umfeld viele Vertraute gewonnen und persönliche Gespräche geführt. Es geht auch darum, sicher zu sein, wer dabei ist: Viele der rund 380 Neumitglieder hat das Bündnis deshalb aus der Linkspartei rekrutiert.
Ralph Suikat, Schatzmeister des BSW und Self-Made-Millionär aus Baden-Württemberg sagte ZDFheute: "Es ist glaube ich erstmal normal, weil wir schauen, dass die Mitglieder, die wir sorgsam onboarden, dass wir die kennen und natürlich haben wir Bekanntschaft in die Kreise von Linken."
Vor vielleicht nichts hat die Parteispitze so viel Angst wie vor Mitgliedern der AfD, die sich einschleusen.

Sie wird geliebt, gehasst und hat jetzt eine eigene Partei. Für viele Linke gilt sie als Spalterin. Anhänger ihrer neuen Partei sehen sie als Alternative für Deutschlands Politik.

23.01.2024 | 13:18 min

BSW - eine Top-Down-Organisation

Die 380 handverlesenen Neumitglieder sitzen nun also im ehemaligen Berliner Kino Kosmos geordnet nach Landesverbänden und stimmen ab über Programm und Personal - gewählt sind sie selbst nicht.
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder beobachtet den Parteitag vor Ort: Sein Eindruck seie es, dass dieses Konzept der Top-Down Partei (von oben nach unten), die von oben alles in bester Ordnung systematisiert, aufgehe. Bei allen Abstimmungen gebe es fast keine Gegenstimme.
Es läuft wie am Schnürchen, und heikle Themen werden ausgespart. Man konzentriert sich auf den Kernkanon dessen, was auch diese Strömung innerhalb der Linkspartei bereits für ihr gemeinsames Credo entwickelt hat. Das heißt, "wir sind die Antikriegspartei. Wir haben Verständnis für Russland. Wir sind die Partei, die gegen die Ampel ist".
Wolfgang Schröder, Politologe

Interview mit Sarah Wagenknecht auf dem BSW-Bundesparteitag in Berlin

27.01.2024 | 12:24 min

"Die Ampel hat mich politisiert"

Ein Neumitglied ist Stefan Wogawa aus Thüringen: "Ich war bis 31.12. Mitglied in der Linken, bin Stadtratsmitglied. Ich habe mich mit dem Gedanken schon lange getragen, hab mit der Linken sehr gefremdelt die letzten Monate, schon die letzten zwei Jahre, da hat das Mobbing gegen Sahra dazu beigetragen aber auch eine inhaltliche Enttäuschung, insbesondere was die Bundesebene angeht."
Aber es gibt auch die, die vorher noch in keiner Partei waren. Jörg Scheibe etwa, der dem künftigen sächsischen Landesverband angehören wird. Die Sachsen sind mit 40 Mitgliedern besonders stark vertreten auf dem Parteitag.

Der Unternehmer engagiert sich erstmals politisch: "Ich hatte bisher keine Partei gefunden, wo ich mich zuhause fühle", so Scheibe, bei BSW hofft er, etwas von seiner Lebens- und Berufserfahrung beisteuern zu können.

Marc Steinhäuser interviewt die BSW-Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali auf dem Bundesparteitag von Bündnis Sahra Wagenknecht in Berlin

27.01.2024 | 07:39 min
"Es gibt viel Unzufriedenheit und Meckern können alle, aber man muss auch was tun, denn Demokratie lebt vom mitmachen." Politische Enttäuschung - das Gefühl teilen hier viele. Auch Schatzmeister Suikat sagt: "Die Ampel hat mich politisiert."

AfD ist Elefant im Raum

Der Ort hat Geschichte: Walter Ulbricht und Erich Honecker hatten hier im Kino Kosmos Ehrenplätze. Und auch der Tag ist historisch: es ist der Holocaust-Gedenktag.
Die parteilose Schriftstellerin Daniela Dahn schlägt in ihrer Eröffnungsrede den Bogen, vom Antifaschismus zur neuen Partei und ihrer Friedenspolitik. Sie nennt es einen "unhaltbaren Zustand", dass Bürger, die die "Zeitenwende hin zur Kriegstüchtigkeit" ablehnen, sich aktuell "genötigt sehen könnten, die AfD zu wählen."

Die Wagenknecht-Partei präsentiere sich als weitere Alternative zur Regierung, sagt Professor Thorsten Faas. Anders als der AfD gehe es ihr weniger um migrationskritische Wähler.

08.01.2024 | 18:00 min
Die AfD wird auch im Verlauf des weiteren Parteitags der Elefant im Raum sein: es geht um Abgrenzung und doch auch darum, die Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Man habe "den Menschen jahrelang eingehämmert, dass alles Vernünftige rechts" sei, so formuliert es Wagenknecht und meint Migration, Coronapolitik, Friedenspolitik.
Die hohen Umfragewerte der AfD seien aber "nicht das Ergebnis einer besonders genialen Politik in der AfD-Zentrale, sondern das Ergebnis der falschen Politik im Berliner Regierungsviertel."

"Wer, wenn nicht wir?"

Die Partei folgt Wagenknecht in Programm und Personal. Und die gibt die Marschrichtung vor: "Ab jetzt hängt es auch von uns ab, wie Deutschland in 5 oder 10 Jahren aussehen wird."
"Wer, wenn nicht wir?" - ruft auch der Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüders bei seiner Kandidatur für den Parteivorstand den Neumitgliedern zu. Es ist das Gefühl, dass diesen Parteitag prägt. Sie glauben hier, die einzige Alternative zu sein, zur Ampel und zur AfD. Es ist eine Selbstgewissheit, die sie bei anderen kritisieren.

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