: So will die Politik mehr Lehrer ausbilden

von Maria Leidinger und Michaela Waldow
13.04.2024 | 15:57 Uhr
Um dem Lehrkräftemangel zu begegnen, hat die Kultusministerkonferenz weitere Ausbildungswege geschaffen. "Mutig" und "völlig richtig", sagt ein Erziehungswissenschaftler.
Die Politik will neue Wege gehen, um dem Lehrkräftemangel zu begegnen. (Symbolbild)Quelle: dpa
Mehr Ein-Fach-Lehrkräfte, Quereinsteiger im Masterstudium, duales Lehramtsstudium: Die Bundesländer wollen mit neuen Möglichkeiten mehr Menschen für den Lehrerberuf gewinnen, um so dem Lehrermangel entgegenzuwirken.
"Die Länder eröffnen neue Wege in das Lehramt", kündigte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Christine Streichert-Clivot, an.
Dadurch werden zukünftig mehr Lehrende mit unterschiedlichen Biografien unsere Schulen bereichern.
Christine Streichert-Clivot, Präsidentin der Kultusministerkonferenz

Ein-Fach-Lehrkräfte für Mathe, Informatik und Naturwissenschaften

Künftig soll es demnach die Möglichkeit geben, Lehrer oder Lehrerin zu werden mit nur einem Studienfach. Ein Quereinstieg ins Referendariat ist bislang nur möglich, wenn sich aus dem bereits erlangten Hochschulabschluss zwei Unterrichtsfächer ableiten lassen.

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Insbesondere im Bereich von Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften kann das laut der Kultusministerkonferenz momentan dazu führen, dass Anwärter abgelehnt werden. Eine Ausnahme für das Zwei-Fächer-Prinzip besteht bislang nur für die Fächer Kunst und Musik.
Das Modell soll es auch Lehrerinnen und Lehrern aus dem Ausland mit nur einem studierten Fach leichter machen, in ihrem Beruf in Deutschland Fuß zu fassen.

Weg ins Lehramt "flexibler und lebensnaher" machen

Zudem befürworten die Länder in ihrem Beschluss als zusätzlichen Ausbildungsweg auch duale Lehramtsstudiengänge sowie ein sogenanntes Quereinstiegs-Masterstudium für Absolventen - zum Beispiel von Ingenieurwissenschaften, die sich später entscheiden, Lehrerin oder Lehrer zu werden.
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Das Lehramtsstudium werde zugleich praxis- und berufsorientierter gestaltet, sagt Streichert-Clivot. Dazu wollen die Länder Studium und Referendariat stärker verschränken.
So stellen wir sicher, dass künftige Lehrkräfte frühestmöglich ihr theoretisches Wissen mit praktischen Erfahrungen verbinden können.
Christine Streichert-Clivot, Präsidentin der Kultusministerkonferenz
Der Weg ins Lehramt werde dadurch "flexibler und lebensnaher".

Lehrermangel an Schulen - auch in Zukunft ein Problem

Der Lehrkräftemangel wird die Schulen besonders oberhalb der Grundschulen nach Prognosen von Experten und Berechnungen der Länder noch über Jahre beschäftigen. Um dem Mangel zu begegnen, haben die Länder in der Vergangenheit bereits mehr Studienplätze geschaffen und Programme zur Gewinnung von Quer- und Seiteneinsteigern aufgesetzt.

Durch steigende Schülerzahlen, den Ausbau von Ganztagsschulen und Inklusion sowie stagnierende Zahlen von Studienanfängern entstehe wegen des allgemeinen Fachkräftemangels jedoch "eine herausfordernde Konkurrenzsituation", heißt es im Beschluss der Kultusministerkonferenz. Die einzelnen Länder können die neuen Modelle in den Lehrerberuf je nach eigenem Bedarf anbieten.

Quelle: dpa und KNA

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Kritik vom Verband Bildung und Erziehung

Die Schleswig-Holsteinische Bildungsministerin Karin Prien betonte nach dem Treffen der Kultusministerinnen und -Minister, dass es sich um zusätzliche Wege handeln soll: "Wir gehen nicht ab von der grundständigen Lehrkräftebildung". Man öffne aber die Ausbildung für mehr junge und auch ältere Menschen, die sich für den Lehrerberuf entscheiden würden.

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30.11.2023 | 03:33 min
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) wendet sich gegen die Möglichkeit des dualen Studiums und grundsätzlich auch gegen Ein-Fach-Lehrkräfte. "Der Deprofessionalisierung muss Einhalt geboten werden", sagte der VBE-Vorsitzende Gerhard Brand. Der VBE vertritt nach eigenen Angaben als Gewerkschaft die Interessen von rund 164.000 Pädagoginnen und Pädagogen in allen Bundesländern.

Umfrage: Immer mehr Lehrer fallen krank aus

Die Belastungen von Lehrerinnen und Lehrern nehmen einer Forsa-Umfrage zufolge zu:

60 Prozent der Befragten Schulleiterinnen und Schulleiter gaben an, die Zahl der langfristig wegen Erkrankung ausfallenden Lehrkräfte habe in den vergangenen fünf Jahren zugenommen. Grund seinen körperliche wie psychische Erkrankungen gleichermaßen.

"Wir wissen, dass Lehrkräfte hohem Stress ausgesetzt sind", erklärte Gerhard Brand vom Verband Bildung und Erziehung (VBE). Hinzu kämen nicht-ergonomische Arbeitsplätze sowie Vorsorgetermine während der Schulzeit. Würden diese wahrgenommen werden, würde Unterricht ausfallen.

Offenbar sehen sich Schulleitungen zudem kaum in der Lage, die Gesundheit ihrer Lehrer zu fördern: 71 Prozent gaben an, dass sie dafür nicht die Möglichkeiten hätten.

Für die repräsentative Studie wurden laut Forsa im Herbst 2023 mehr als 1.300 Schulleitungen befragt.

Quelle: KNA

Neue Modelle "mutig" und "völlig richtig"

Erziehungswissenschaftler Harm Kuper begrüßt dagegen die neuen Maßnahmen der Kultusministerkonferenz. Die Einführung von Ein-Fach-Lehrkräften nennt er einen "mutigen Schritt, vielleicht sogar einen überfälligen Schritt". Auch die Öffnung für unterschiedliche Wege ins Lehramt hält er für "völlig richtig vor dem Hintergrund des eklatanten Mangels".

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05.09.2023 | 02:09 min
"Es kommt jetzt darauf an, die Ressourcen, die es noch gibt, zu mobilisieren, um akademisch qualifiziertes Personal für den Lehrberuf zu gewinnen", sagt der Bildungsexperte im Hinblick auf den Fachkräftemangel an Schulen.
Da liegt die Hoffnung natürlich darauf, dass besonders über den Ein-Fach-Lehrer ein größeres Potenzial abgeschöpft werden kann.
Harm Kuper, Erziehungswissenschaftler an der Freien Universität Berlin
Kritischer blickt Kuper auf ein duales Lehramtsstudium. "Sowohl die fachlichen Voraussetzungen für den Lehrberuf - also das Studium eines Unterrichtsfaches als auch die bildungswissenschaftlichen Anteile - brauchen einen akademischen, einen theoretischen Vorlauf", so Kuper. Nur damit könne es einen professionellen Unterricht geben.
Die Kompetenzen einer guten Lehrkraft entwickeln sich nicht dadurch, dass man sie zu früh mit Praxis konfrontiert.
Harm Kuper, Erziehungswissenschaftler an der Freien Universität Berlin

Bildungsexperte: Neue Modelle ausprobieren und evaluieren

Dass neue Modelle ausprobiert werden, findet Kuper erst einmal richtig. "Man wird aber immer wieder darauf achten müssen, dass die Anforderungen einer akademisch grundierten Ausbildung gewahrt bleiben", sagt er. Der Bildungsexperte hofft auf eine angemessene Evaluation: "Es wäre wichtig, diese Modelle zu begleiten, um daraus Lehren zu ziehen", lautet sein Fazit.

Harm Kuper ...

Quelle: Harm Kuper
... ist Erziehungswissenschaftler und Professor an der Freien Universität Berlin. Er arbeitet und forscht vor allem in den Bereichen Bildungsmonitoring, Bildungsmanagement und Bildungsstatistik. 

Über die neuen Beschlüsse hinweg gibt es für Kuper einen "dringend erforderlichen Schritt": Der Bedarf an Lehrkräften sowie die Anzahl der Lehramtsstudierenden müsse besser im Blick behalten werden.
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Es müsse für die Zukunft dringend ein besseres Monitoring geschaffen werden, "sodass nicht wieder in so großem Ausmaß kurzfristig eine Mangelsituation deutlich wird", sagt Kuper.
Mit Material von KNA und dpa

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