: Zuwanderungs-Debatte: Kaum Lösungen in Sicht

von Kristina Hofmann
19.09.2023 | 17:19 Uhr
Bundespräsident Gauck hatte eine Einigung von den Parteien gefordert: Politik müsse das Thema Migration regeln. Doch die Parteien liegen weit auseinander. Einigung? Nicht in Sicht.
Container auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. Die Stadt sucht neue Unterkünfte für Geflüchtete. Die bisherigen Kapazitäten sind erschöpft.Quelle: dpa
"Wir sind bei null." Sascha Langenbach vom Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten schwenkt förmlich die weiße Fahne. Die Hauptstadt könne keine neuen Geflüchteten mehr aufnehmen. Noch ist der Null-Tag allerdings nur ein Symbol. Natürlich werden trotzdem neue Unterkünfte gesucht. Und gefunden.
In den kommenden drei Wochen, schätzt Langenbach, wird es bis zu 2.500 neue Plätze geben. Allein 800 Menschen sollen in zwei Leichtbauhallen am früheren Flughafen in Tegel untergebracht werden, 300 in einer weiteren in Tempelhof. In Hotels und Hostels will man weitere Kapazitäten suchen. Bis Ende des Jahres sollen so bis zu 5.000 neue Plätze entstehen.
Der Druck, so Langenbach, ist groß. Allein im August kamen 1.800 Asylbewerber und Menschen aus der Ukraine. 10.000 in den ersten acht Monaten und damit 3.000 mehr als im vorigen Jahr.

Seit der Ankunft tausender Migranten auf Lampedusa beherrscht die Frage nach der Aufnahme von Geflüchteten wieder die Debatten. Auch in der Ampel ist man sich bei dem Thema uneins.

18.09.2023 | 01:47 min
Berlin nimmt derzeit 5,2 Prozent der Menschen auf, die nach Deutschland kommen. Hin zu kommen die ukrainische Geflüchteten. Doch nicht nur Berlin fühlt sich überfordert, andere Kommunen ebenfalls. Die Parteien suchen nach Lösungen. Die Union versucht es mit einem neuen "Deutschland-Pakt".
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Union macht Vorschlag für "Deutschland-Pakt"

Die Fraktion will in dieser Woche im Bundestag ein Maßnahme-Paket einbringen, wie die Fraktion beschlossen hat. Es ist ihre Antwort auf das Angebot von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) neulich im Bundestag, als er der Opposition bei den Themen Bürokratieabbau und Stärkung des Wirtschaftsstandortes anbot. Die Union ist durchaus für einen Pakt, will aber mit dem Thema Migration anfangen. "Die Ampel kann zeigen, wie ernst sie es meint", so Unions-Fraktionschef Friedrich Merz.
So soll sich die Ampel-Koalition zum Beispiel dafür einsetzen, dass:
  • alle Aufnahmeprogramme, bis auf das für Ortskräfte in Afghanistan, eingestellt werden
  • die Vorschläge zur Begrenzung illegaler Migration auf EU-Ebene bis zum Ende der Legislaturperiode, also bis Frühjahr nächsten Jahres, umgesetzt werden
  • Sozialstandards gesenkt werden
  • der sogenannte Spurwechsel, damit geduldete Menschen eine Arbeitserlaubnis bekommen oder eingebürgert werden, beendet wird
  • die Kommunen an Asylbewerber eher Sach- statt Geldleistungen ausgeben
  • die Grenzen zu Polen, Tschechien oder der Schweiz mehr kontrolliert werden
  • die Zahl der sicheren Herkunftsstaaten auf die Maghreb-Länder ausgeweitet wird.

Sie wünschen sich Bildung und warten auf einen Schulplatz: Allein in Berlin sind mehr als 1.000 geflüchtete, schulpflichtige Kinder betroffen - wann für sie die Schule losgeht, ist völlig unklar.

19.09.2023 | 02:34 min

Geld- statt Sachleistungen: FDP vs. Grüne

Die Ampel-Koalition hat einen Teil der Vorschläge schon seit längerem abgelehnt. Jedenfalls zum Teil. Die FDP zum Beispiel ist auch für die Umstellung auf Sachleistungen durch Gutscheine oder Kartensysteme zur Versorgung von Asylbewerbern, wie FDP-Fraktionschef Christian Dürr am Dienstag sagte:
Geldzahlungen können ein Pullfaktor in die sozialen Sicherungssysteme sein. (…) Da dürfen wir nicht blauäugig sein.
Christian Dürr (FDP)
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Schon jetzt könnten die Kommunen umstellen, rechtlich sei das möglich. Dass es ausgerechnet Bayern nicht tut, sei schon seltsam. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte das am Montag gefordert. Dürr sagt: "Ich habe den Eindruck, dass Migrationspolitik bei der Union in erster Linie Wahlkampf, aber nicht Regierungsthema ist."
Die Grünen sind allerdings auch gegen den Vorschlag: "Unfassbar bürokratisch" sei das, so Grünen-Fraktionschef Katharina Dröge. Wenn es die Kommunen schon machen dürfen, es aber aus nicht tun, habe das eben Grund. Die Union, so Dröge, tue so, als ob dies die Zuwanderung begrenzen könnte. "Wir sollten uns auf das konzentrieren, was den Kommunen wirklich hilft", so Dröge.

In der Migrationspolitik müsse man "Spielräume entdecken, die uns zunächst unsympathisch sind, weil sie inhuman klingen“, sagt Gauck und spricht sich für eine Begrenzung aus.

17.09.2023 | 06:24 min

Sorge vor "Überbietungswettbewerb"

Mehr Sachleistungen, mehr sichere Herkunftsstaaten, mehr Grenzkontrollen: Die Parteien suchen nach den Mitteln, die Migration zu begrenzen. Nur die AfD ist gegen jede Maßnahme: "Das Boot ist voll", so Fraktionschef Tino Chrupalla. Man brauche auch keine Obergrenze, das sei alles "Wahlkampfgetöse".
Nicht jeder der Vorschläge senkt die Zahl der Zuwanderung tatsächlich. Grünen-Fraktionschefin Dröge beklagte einen "Überbietungswettbewerb", der den Diskurs "vergiftet“:
Ich mache mir ernsthaft Sorgen, wie wir die Debatte in diesem Land führen.
Katharina Dröge (Grüne)
Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warnte vor "einem falschen Zungenschlag in der innenpolitischen Debatte". Die Union greife sich ein Thema heraus, der Deutschland-Pakt sei viel größer angelegt. In der Migrationspolitik gebe es nicht  "das eine Instrument, das uns hilft". Mützenich sagt:
Nur diese Koalition ist in der Lage, die Jahrhundertaufgabe der Migrationspolitik zu beantworten.
Rolf Mützenich (SPD)
Mit der Union habe es in der vorherigen Legislaturperiode nicht geklappt, so Mützenich. Er mahnte deswegen die anderen Koalitionspartner: Man müsse "sehr aufpassen, welches Thema man durch die Öffentlichkeit treibt".
Bevor man einzelne Themen wie die Sach- statt Geldleistungen in der Öffentlichkeit diskutiere, solle die Koalition "in aller Ruhe" intern beraten.

In der Migrationsfrage müsse „die Debatte um Solidarität ernsthaft geführt werden, mit richtigen Zahlen und nicht nur mit Schlagworten“, sagt Migrationsforscher Gerald Knaus.

17.09.2023 | 07:21 min

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