: NGOs für Demokratie: Gemeinnützig oder nicht?

von Marcel Burkhardt
30.01.2024 | 16:26 Uhr
Auf den Straßen und im Netz mobilisieren Attac und Campact gegen Rechtsextreme. Erhalten die politisch engagierten Organisationen bald den Status der Gemeinnützigkeit zurück?
Aktivisten der Organisation "Attac" bei Protesten (Archivbild)Quelle: imago/Noah Wedel
Ein zivilgesellschaftlicher Ruck geht durchs Land: Mehr als zwei Millionen Menschen sind in den vergangenen Wochen auf die Straßen gegangen - für den Schutz der Demokratie und gegen rechtsextremistische Auswüchse.

Ein Urteil mit Folgen

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben Demonstrationen vielerorts unterstützt oder auch mitorganisiert; darunter die Kampagnenorganisation Campact und das globalisierungskritische Netzwerk Attac, denen 2019 wegen politischer Betätigung die Gemeinnützigkeit aberkannt worden ist.
Damals hatte der Bundesfinanzhof, das höchste deutsche Finanzgericht, geurteilt, dass die politische Arbeit von Attac und Campact nicht einem gemeinnützigen Zweck und somit der Allgemeinheit dienten.

In vielen deutschen Städten haben Menschen ein Zeichen gegen Rechtsextremismus gesetzt.

26.01.2024 | 00:24 min

Campact: AfD nutzt Gemeinnützigkeitsrecht als "Waffe"

Seither drängen die Organisationen auf eine Gemeinnützigkeitsrechts-Reform. Denn, so erklärt es Ann-Kathrin Seidel von Campact:
Das veraltete und unklare Gemeinnützigkeitsrecht ist eine starke Bremse für zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen wollen.
Ann-Kathrin Seidel, Campact-Gemeinnützigkeitsexpertin
Mehr noch: Die AfD nutze die Unklarheiten im Gemeinnützigkeitsrecht "sogar als Waffe und greift gezielt Organisationen an, die sich auf Demonstrationen gegen extremistische und demokratiefeindliche Positionen der AfD positionieren", so Seidel.
Ziel der AfD sei es, zivilgesellschaftliches Engagement mithilfe von bestehendem Recht zu ersticken.

Die deutschlandweiten Proteste gegen rechts haben viele Menschen zum Demonstrieren angeregt. Es gibt aber auch Kritik an den Inhalten, die einige Gruppen auf den Demos äußern.

26.01.2024 | 02:35 min

Bundesregierung hat Handlungsbedarf längst erkannt

Um "bürgerschaftliches Engagement" und den "gesellschaftlichen Zusammenhalt" zu stärken, versprach die Ampel im Koalitionsvertrag 2021 eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. Dies explizit auch, "um der entstandenen Unsicherheit nach der Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des Bundesfinanzhofes entgegenzuwirken".
Ein Ergebnis steht allerdings noch aus. Auf ZDFheute-Anfrage antwortet ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums (BMF): "Derzeit werden unter Federführung des BMF regierungsintern Maßnahmen zur Reform der Gemeinnützigkeit erarbeitet, die in einem kommenden Steuergesetz verankert werden sollen."
Die Maßnahmen orientierten sich an den Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag, so der Sprecher. Über einen konkreten Zeitplan könne er sich aber noch nicht äußern.

NGOs drängen auf Gesetzreform

Indes kritisiert die Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung", ein Zusammenschluss von mehr als 200 Vereinen und Stiftungen, zu der auch Organisationen wie Amnesty, Greenpeace und Lobby Control zählen:
Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich regelmäßig politisch äußern, sind ständig der Gefahr ausgesetzt, ihre Gemeinnützigkeit zu verlieren.
Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung"
Die Folgen können gravierend sein. Denn Spenden an Organisationen ohne Gemeinnützigkeits-Status sind steuerlich nicht absetzbar, Einnahmequellen versiegen. Hinzu kommt, dass Fördergelder gestrichen werden und die Organisationen teilweise über Jahre Steuern zurückzahlen müssen.

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Vereine mit Angst vor "finanziellem Genickbruch"

Eine Konsequenz: "Viele Vereine haben Angst, sich zu engagieren, denn wenn sie ihren Gemeinnützigkeitsstatus verlieren, droht ihnen der finanzielle Genickbruch", sagt Campact-Expertin Ann-Kathrin Seidel.
Laut aktuellem "ZiviZ-Survey", der nach eigenen Angaben zentralen repräsentative Datenerhebung zur organisierten Zivilgesellschaft in Deutschland, geben immerhin fünf Prozent der NGOs an, "sich aus Sorge um ihren Gemeinnützigkeitsstatus nicht intensiver politisch zu engagieren". Das sind mehr als 30.000 Organisationen.

Laut dem Amnesty Jahresbericht wurden 2022 in der Türkei immer mehr Menschen unterdrückt und Proteste gewaltsam aufgelöst. Die Verbote der Regierung nehmen weiter zu.

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Eine breites NGO-Netzwerk fordert daher, dass die Bundesregierung das Gemeinnützigkeitsrecht zügig reformiert. Campact-Expertin Seidel fasst es so zusammen:
"Das Engagement für Menschenrechte, Grundrechte, Demokratie, Antidiskriminierung und soziale Gerechtigkeit muss explizit gemeinnützig werden."

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