: Mehr Angriffe: Queer-Beauftragter beunruhigt

von Dominik Rzepka
02.08.2023 | 11:18 Uhr
Unbekannte haben in Neubrandenburg eine Regenbogenflagge gegen eine Hakenkreuzfahne getauscht. Der Queer-Beauftragte der Regierung, Sven Lehmann, warnt vor wachsender Homophobie.
Zwei Männer stehen vor dem Brandenburger Tor in Berlin mit einer Regenbogenflagge.Quelle: dpa
Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, hat das Abhängen einer Regenbogenflagge und Hissen einer Hakenkreuzfahne in Neubrandenburg scharf verurteilt. Lehmann sagt ZDFheute:
Die Regenbogenflagge durch eine Hakenkreuzflagge zu ersetzen, ist nicht nur widerlich, sondern auch verfassungsfeindlich. Es ist gut, dass der Staatsschutz hier ermittelt.
Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung
Rechtsextremen Kräften gehe es um eine Rückabwicklung emanzipatorischer Errungenschaften und Freiheiten. "Sie wollen eine autoritäre und nationalistische Ordnung etablieren, die gesellschaftliche Vielfalt nicht respektiert, sondern diese bekämpfen will", so Lehmann weiter. "Wie viele Menschen beunruhigt mich das auch sehr."
Am Wochenende hatten Unbekannte am Bahnhof Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern eine Regenbogenflagge abgehängt und durch eine Hakenkreuzfahne ersetzt. Der Staatsschutz ermittelt.

Verband in "großer Sorge"

Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) nennt die Vorkommnisse einen "Angriff auf uns alle". Eine Sprecherin sagt ZDFheute: "Die freiheitlich-demokratische Grundordnung und eine freie Gesellschaft, in der wir sein können, wer wir sind, werden damit direkt attackiert."
Vorfälle dieser Art würden sich zuletzt häufen. So hatten im Juni Rechtsextreme einen Regenbogen-Zebrastreifen in Bonn mit schwarz-rot-goldenen Farben überklebt.
Wir beobachten mit großer Sorge die gezielte, vor allem rechtsextreme Stimmungsmache gegen alle LSBTIQ* Menschen und geschlechtliche Vielfalt.
Kerstin Thost, Sprecherin LSVD
Derartige Narrative führten in letzter Folge zu Gewalt. "Aber: Unsere Existenz steht nicht zur Debatte", so Thost.

Queerfeindliche Übergriffe im Jahr 2023

Hannover 1

In Hannover haben am 15. Juli mehrere Männer eine Transfrau verprügelt. Nach Polizeiangaben wartete die Frau vor einem Imbiss, als sechs Männer die Frau beleidigten und schlugen. Die Täter ließen nicht von ihr ab. Als die 44-Jährige zu Boden stürzte, soll die Gruppe auf ihr Opfer eingetreten und es angespuckt haben. Die Täter konnten unerkannt flüchten.

Hannover 2

Ebenfalls in Hannover kam es am 27. Mai zu mehreren queerfeindlichen Übergriffen im Umfeld des Christopher Street Days. Neben einem Angriff auf einen Transmann und eine nichtbinäre Person wurden mehreren Menschen Regenbogenfahnen entrissen. Es kam zu Beleidigungen und zu einer Vergewaltigung.

Bonn

In Bonn hat eine Gruppe von zehn vermummten Männern einen Regenbogen-Zebrastreifen mit schwarz-rot-goldenen Folien überklebt. Der Vorfall ereignete sich in der Nacht auf den 27. Juni. Zu der Tat bekannte sich die rechtsextreme Gruppe "Revolte Rheinland". In Bonn demonstrierten anschließend 500 Menschen gegen Queerfeindlichkeit.

Mainz

Ende Juli hat in Mainz ein Jugendlicher eine queere jugendliche Person attackiert und ihre Begleitung mit einem Messer bedroht und Pfefferspray gegen sie gesprüht. Beide erlitten Rötungen und Reizungen im Gesicht.

Wurzen

In der sächsischen Kleinstadt Wurzen bei Leipzig haben Unbekannte im Mai eine Regenbogenfahne vor dem dortigen Rathaus abgehangen und verbrannt. Die Fahne war zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie aufgehängt worden. 2021 wurde in Wurzen schon einmal eine Regenbogenfahne abgehängt.

Berlin

Am 16. Mai hat eine Gruppe Jugendlicher zwei 30 und 34 Jahre alte Männer homophob beleidigt und attackiert. Laut Polizei wurde das Paar dabei vor dem Eingang des Berliner U-Bahnhofs Hallesches Tor auch mit einem Luftgewehr beschossen. Die Jugendlichen stießen die beiden Männer um und schlugen mit Fäusten auf sie ein, als sie am Boden lagen. Einer der Männer musste im Krankenhaus behandelt werden.

Gewalt und Beleidigungen: Zahlen steigen

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums ist die Zahl der Übergriffe gegen queere Menschen im Jahr 2022 gestiegen. Im vergangenen Jahr wurden 1.005 Fälle gezählt, davon 227 Gewaltdelikte und 341 Beleidigungen. Das sind etwa 15 Prozent mehr Fälle als im Vorjahr. Auch das schwule Anti-Gewalt-Projekt "Maneo" in Berlin berichtet von leicht erhöhten Fallzahlen. Sie liegen laut Maneo im Jahr 2022 insgesamt "auf hohem Niveau."
Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung geht davon aus, dass die übergroße Mehrheit will, dass queere Menschen angstfrei und gleichberechtigt leben können. Die Ergebnisse einer Studie aus dem Jahr 2023 zeigten aber, "dass diese Zustimmung nicht stabil und selbstverständlich ist".

Lehmann fordert Verfolgung von Tätern

Die Bundesregierung habe das Ziel, Prävention, Erfassung und Bekämpfung queerfeindlicher Hasskriminalität konsequent zu stärken. Der Bundestag habe dazu bereits ein Gesetz beschlossen, das Straftaten gegen Geschlecht und sexuelle Orientierung als menschenfeindlich einstufe.
Es ist wichtig, dass queerfeindliche Straftaten konsequent angezeigt und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.
Sven Lehmann, B'90/Grüne
Der Lesben- und Schwulenverband fordert dabei auch die Unterstützung der gesamten Gesellschaft ein. "Wir alle sind jetzt in der Verantwortung, uns unermüdlich für den Schutz und die Gleichbehandlung aller Menschen einzusetzen", sagt Kerstin Thost. In dieser Lage müssten sich alle für Menschenrechte und Demokratie positionieren. Auch diejenigen, die nicht selbst von Queerfeindlichkeit betroffen seien.

Berlin feiert den CSD. Einige sprechen jedoch davon, dass die Atmosphäre in der Hauptstadt homophober geworden sei.

22.07.2023 | 01:30 min

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