: Die gefährlichen Pläne von Martin Sellner

von Julia Klaus, Ulrich Stoll und David Gebhard
23.03.2024 | 10:26 Uhr
AfD-Politiker und Rechtsextreme fordern "millionenfache Remigration". Martin Sellner hat über seine Abschiebepläne ein Buch geschrieben - gegen ihn gibt es nun ein Einreiseverbot.
Darf künftig nicht mehr nach Deutschland einreisen: Der Rechtsextremist Martin Sellner (Archivfoto).Quelle: dpa
Wenn Martin Sellners Ziele Wirklichkeit werden würden, müsste Deutschland in wenigen Jahren Millionen Menschen ausweisen oder abschieben - auch deutsche Staatsangehörige. Der österreichische Rechtsextremist hat ein Buch zur "Remigration" geschrieben und rechnet darin vor: Nur 86 Boeing-Flüge bräuchte es, um den Großteil aller Afghaninnen und Afghanen aus Deutschland zu bringen. Bis 2040 würden dann nur noch "rund 2.500 nichtassimilierte Afghanen in Deutschland leben".
Sellners Remigrations-Fantasien werden nicht nur in Szene-Kreisen besprochen. Das Geheim-Treffen von Potsdam machte den Begriff, der ursprünglich aus der Sozialwissenschaft stammt und nun von Rechten gekapert wird, schlagartig bekannt. "Remigration" wurde zum Unwort des Jahres 2023 gewählt, Millionen protestierten gegen solche Pläne auf den Straßen - und Teile der AfD nutzen ihn seitdem noch bewusster.

Nach dem Geheimtreffen von Potsdam versucht die AfD abzuwiegeln. Dabei wird immer deutlicher, dass Ausweisungen schon länger Thema sind.

23.01.2024 | 02:35 min

Sellner will Menschen mit deutschem Pass loswerden

In seinem Buch macht Martin Sellner eine für viele Menschen bedrohliche Rechnung auf: Er will bis zu 3,5 Millionen Asylbewerber und Asylberechtigte sowie drei bis vier Millionen in Deutschland lebende Ausländer "remigrieren". Auch deutsche Staatsangehörige, die er für "nichtassimiliert" hält, will er aus dem Land verdrängen. Potential sieht er etwa bei den zwischen 2,6 Millionen und 4,3 Millionen Doppelstaatlern. Sollten diese "Probleme verursachen", sei eine "Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft anzudenken".
Assimilation bedeutet für ihn, sich einer sogenannten deutschen Leitkultur unterzuordnen. Es reiche nicht, wenn jemand "seine Steuern zahlt und keine Verbrechen begeht. Er muss sich auch mit dem Land und Volk, dessen Teil er werden möchte, identifizieren". Künftig soll es fünfjährige "Assimilationskurse" geben, mündend in einen "Assimilationsvertrag". Was genau da vermittelt werden soll, führt er nicht aus.
Gegenüber "nichtassimilierten" Menschen mit einem deutschen Pass will er "durch eine patriotische Leitkultur Assimilationsdruck erzeugen" und durch "Deislamisierung und sozialpolitische Maßnahmen Remigrationsdruck erzeugen". Er schlägt zudem sogenannte Heimkehrzentren vor, in denen deutsche Staatsangehörige zur Ausreise und zur Aufgabe ihrer Staatsbürgerschaft gebracht werden sollen.

Bei einem Bürgertreff der AfD Im nordrhein-westfälischen Eitorf ging es unter anderem um das Thema "Remigration" - wie geht die Partei in der Öffentlichkeit damit um?

23.01.2024 | 02:25 min

Sellners Aussagen erinnern an "Pass-Deutschen"-Rhetorik der NPD

Der Bundesverfassungsschutz hatte das Remigrations-Konzept aus dem Umfeld von Sellner bereits 2022 als "ausländer- und islamfeindlich" bezeichnet. Den Politologen Armin Pfahl-Traughber erinnert die Unterscheidung von Menschen mit deutschem Pass zudem an Parolen der rechtsextremen NPD, die sich nun "Die Heimat" nennt:
Eine Formulierung der früheren NPD besagt, dass Inhaber des deutschen Passes mit einem nicht-deutschen und migrantischen Hintergrund nur 'Pass-Deutsche' sind und damit für die Partei eigentlich keine richtigen Deutschen.
Armin Pfahl-Traughber, Extremismus-Forscher
Pfahl-Traughber betont: "Auch Bürger mit Migrationshintergrund haben den gleichen Rechtsstatus wie Bürger ohne Migrationshintergrund. Eine beabsichtigte Verdrängung würde entsprechend eine rechtliche Benachteiligung von diesen bedeuten."
Wie gefährlich Sellners Pläne sind, machte der Rechtsextremist bereits 2023 in seinem Buch "Regimechange von rechts" klar. Mit "der Eroberung der Schlüsselstellen des ideologischen Staatsapparats wie der Universität, der Presse, der Straße, Kunst und Kultur" will Sellner demnach versuchen, "die politischen Machthaber dazu zu zwingen, entweder unsere Forderungen selbst umzusetzen oder den Platz zu räumen und rechten Politikern die politische Gestaltungsmacht zu übergeben". Ziel sei "die Eroberung der kulturellen Hegemonie und ein völliger Autoritätsverlust der herrschenden Ideologie." Ideen, die man als Umsturzfantasien deuten kann.

Bereits 2018 hatte eine AfD-Delegation dem syrischen Diktator Bashar al-Assad vorgeschlagen, nach Deutschland geflohene Syrer in das Bürgerkriegsland "zurückzuführen".

23.01.2024 | 06:50 min

Martin Sellner darf nicht mehr nach Deutschland einreisen

Die Abschiebe- und Verdrängungs-Pläne waren schon vor dem Potsdamer Treffen bei prominenten AfD-Politikern zu finden. Eine Auswertung des Center für Monitoring, Analyse und Strategie für ZDF Frontal zeigt, dass der Begriff in rechtsextremen und verschwörungsideologischen Telegram-Kanälen seitdem häufiger verwendet wird.
ZDFheute Infografik
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Auch der Kommunikationsforscher Johannes Hillje schreibt ZDF Frontal:
Nach dem Potsdamer Treffen hat sich 'Remigration' im allgemeinen Wortschatz etabliert. Die Sprachpolitik der Neuen Rechten geht ein weiteres Mal auf.
Johannes Hillje, Kommunikationsforscher
Dass die Debatte um Sellner und seine "Remigrations"-Pläne nicht abreißt, zeigt ein am Montag erwirktes bundesweites Einreiseverbot gegen den Österreicher. Bei Zuwiderhandeln könnte er sogar abgeschoben werden. Sellner kündigte an, gerichtlich dagegen vorzugehen, sich aber vorerst an das Verbot zu halten.

Ergänzung vom 23.03.2024:

In der AfD stieß dieser Artikel auf rege Diskussion. In einer internen E-Mail an die Parteispitze schrieb der für die Thematik im Bundesfachausschuss zuständige Politiker Maik Klaus: "Nach der Lektüre des Buchs kann ich die Bewertung des ZDF (in diesem Fall!) nur teilen. Der Inhalt des Buchs widersprecht der AfD-Programmatik und ist VS-relevant." Des Weiteren empfiehlt er: "Die Verwendung des Begriffs 'Remigration' sollte zukünftig nach Möglichkeit komplett vermieden werden."

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