: EU-Treffen zu China: Die Farce von Stockholm

von Florian Neuhann, Stockholm
13.05.2023 | 17:46 Uhr
Wie die EU mal ein wichtiges geostrategisches Zeichen setzen und ein Anti-China-Bündnis schmieden wollte - und dann kaum jemand kam.
EU-Außenministertreffen in StockholmQuelle: epa
"Ich bin da." Was soll er auch sonst sagen, der Arme: Da steht Tobias Lindner, Staatsminister im Auswärtigen Amt, am Samstag in einem Konferenzzentrum nördlich von Stockholm, und muss sich rechtfertigen.
Warum er da ist und nicht seine Chefin Annalena Baerbock. Und warum neben der deutschen noch so viele andere europäische Außenminister dieses vermeintlich so bedeutende Treffen der Europäischen Union mit den Staaten des Indopazifik schwänzen.
Nun, Tobias Lindner ist ja wirklich da - einzuspringen, wenn die Ministerin nicht kann, ist Teil seines Jobs.

Die EU-Ratspräsidentschaft hatte eine nachvollziehbare Idee

Aber die Frage, warum so viele andere nicht da sind, lässt heute nicht nur Beobachter verzweifeln. Kaum ein Tag vergeht schließlich in Brüssel, an dem EU-Spitzenvertreter nicht über die Bedeutung des Indopazifik sprechen: über diese Region, von der wirtschaftlich und strategisch so viel abhängt.
In dieser Region lebt der größte Teil der Weltbevölkerung, durch ihre Gewässer fließt der größte Teil des Welthandels.
EU-Außenbeauftragter Josep Borrell und Schwedens Außenminister Tobias Billström vor dem Treffen in Stockholm
Da lag die Idee der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft ja nahe: ein großes Treffen abzuhalten - zwischen den EU und genau dieser Region. 30 Außenminister der Region seien eingeladen, verkündete man vorab stolz. Man wolle gemeinsame Interessen identifizieren.

Die EU wollte starkes Signal gegen China setzen

Nicht eingeladen, aber immer im Geiste mit dabei: China - unter dessen Auftreten ja viele der Staaten aus dem Indopazifik mindestens mittelbar leiden. Was, wenn China seine Drohgebärden gegenüber Taiwan ernst machen würde?
Die Lage also ist kritisch, das Treffen sinnvoll. Es sollte mehr geben als nur schöne Bilder (wofür aber immerhin der schwedische König mitsamt Kronprinzessin kam). Es sollte ein starkes Signal werden: die EU schmiedet eine Anti-China-Allianz. Doch es wurde, stattdessen, eine Farce.
Doch nur die Hälfte der EU-Minister ist noch da
Nur 14 von 27 EU-Staaten sind an diesem "Minister-Treffen" noch durch ihren Minister vertreten. Der Rest schickt Staatssekretäre oder Botschafter.
Gut, manche Außenminister sind glaubwürdig entschuldigt: der spanische ist mit seinem Regierungschef auf Besuch in Washington, der italienische zuhause in Rom, um dort den ukrainischen Staatspräsidenten zu empfangen. Andere sprechen von wichtigen Verpflichtungen. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, das Treffen sei auch erst spät angekündigt worden.

Aus Polen kommen auch selbstkritische Töne

Die Gäste aus dem Indopazifik sind zu höflich, als dass sie diesen Umstand kritisieren. "Das müssen Sie die EU-Minister fragen", weicht Hina Rabbani Khar aus, die Außenministerin Pakistans. Und der sehr freundliche Außenminister der Komoren, Dhoiir Dhoulkamal, sagt: "Es passieren ja auch viele andere wichtige Sachen in der Welt."
Nur: Wie ernst kann man dann noch die Sonntagsreden der Minister nehmen, wenn sie das nächste Mal von der Bedeutung des Indopazifik reden?
Immerhin: es sind auch selbstkritische Töne zu hören, aus den Reihen der EU. "Ich hoffe, beim nächsten Mal kommen mehr Minister, und wir können uns auch auf gemeinsame Vorhaben verpflichten", sagt etwa Pawel Jablonski, selbst im Übrigen auch nur Vertreter eines Ministers, in diesem Fall des polnischen.

Luxemburgs Außenminister Asselborn hat eine Pointe parat

Und dann ist da noch Jean Asselborn, der Außenminister Luxemburgs, nie um einen Spruch verlegen. "Nur 14 von 27, wirklich?" fragt er, gespielt überrascht, als die Journalisten ihn auf die mangelnde Präsenz der EU ansprechen.
"Ich finde schon, wir sollten hier sein", sagt er dann. Auch wenn er niemanden kritisieren wolle. Es gebe ja auch Fälle, da seien die Vertreter mindestens genauso gut oder besser als die Minister.
Da hat Asselborn die Lacher auf seiner Seite. Es wird allerdings die einzige Pointe dieser Farce bleiben.
Florian Neuhann ist Korrespondent im ZDF-Studio Brüssel.

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