Interview

: Kanzler ergreift mit seinem Schweigen Partei

30.10.2022 | 21:56 Uhr
"In einem Boot mit Russland, mit China, mit Syrien": Der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani richtet mit Blick auf den Iran deutliche Worte an die Bundesregierung.

Nur Druck von außen könne etwas verändern in Iran, sagt der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani. Kanzler Scholz "ergreife mit seinem Schweigen Partei für das Regime".

30.10.2022
Der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani hat viele Kontakte in den Iran. Im heute-journal-Interview äußert er sich zu den Protesten in Iran und zur deutschen Haltung gegenüber dem Regime. Das sagt Navid Kermani ...

... zur Chance, dass die Macht der Mullahs bröckeln könnte

Navid Kermani: "Was wir sehen, ist, dass dieser Protest jetzt in die siebte Woche geht, trotz aller Gewalt, trotz des Schießbefehls, trotz einer Ankündigung jetzt sei es endgültig vorbei. Die gestrige war ja nicht die erste. Und dennoch geht es immer weiter. Ich möchte es vielleicht mit den Worten einer ehemaligen Parlamentsabgeordneten sagen, die ja selbst eigentlich zum System gehört: "Dieser Geist ist nicht mehr in die Flasche zurückzubekommen."

Wegen Menschenrechtsverletzungen gegen Protestierende fordert die einst im Iran verfolgte Frankfurter Bürgermeisterin Eskandari-Grünberg Aufklärung durch eine UN-Kommission.

30.10.2022
Aber klar ist auch, das ist keine Sache von ein, zwei, drei, vier Wochen. Das wird womöglich lange dauern. Das ist ein waffenstarrendes System. Es hat eine Reihe vieler gewaltbereiter Anhänger, die ihr Leben oder ihre Zukunft zu verlieren haben. Es ist nicht mehr möglich gleichzeitig mit Zehntausend, Hunderttausend zu protestieren. Die Proteste verstreuen sich.
Es ist ähnlich dem Kampf gegen die Apartheid. Hier haben wir ja auch eine Art Apartheid, eine Geschlechter-Apartheid. Der hat auch Jahre gedauert und diese Beharrlichkeit im Innern und der Druck von außen, der Politik, aber auch der Zivilgesellschaften von außen, der hat dazu geführt, dass die Apartheid zuende ging. Nur ein solcher Druck kann womöglich dazu führen, dass auch dieses Regime endlich verschwindet."

... zur deutschen Außenpolitik

Kermani: "Wir haben zunächst ein langes Schweigen gehabt als die Proteste losgingen, als schon auf Menschen geschossen wurde, insbesondere auf Frauen. Dann sagte die Außenministerin das habe ja gar nichts mit dem Islam zu tun. Dann wurden unter lautem Getöse Sanktionen beschlossen, die aber rein symbolisch sind.
Und unser Bundeskanzler hat, bis auf einen einzigen vollkommen nichtssagenden Tweet, in diesen sechs, sieben Wochen kein einziges öffentliches Wort gesagt zu den Protesten. Das fällt auch im internationalen Vergleich auf. Nicht Partei zu ergreifen, wenn jemand auf den anderen schießt, das ist eine Art von Parteinahme und zwar für den, der schießt.
Der Bundeskanzler und mit ihm die Bundesregierung ergreift mit seinem Schweigen Partei in diesem Konflikt. Das muss ihm, das muss uns bewusst sein. Wir sind jetzt sozusagen in einem Boot mit Russland, mit China, mit Syrien. Ich sehe diese Parteinahme leider nicht. Es tut mir leid, das so deutlich sagen zu müssen."
Sehen Sie das gesamte Gespräch oben im Video.
Quelle: ZDF

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