: Präventives Wegsperren - was ist erlaubt?

von Charlotte Greipl
15.11.2022 | 13:17 Uhr
In mehreren Bundesländern kann die Polizei Protestierende wie Klimaaktivisten vorbeugend in Gewahrsam nehmen. Rechtlich sind diese weitreichenden Befugnisse problematisch.
Allein in diesem Monat wurden 33 Klimaaktivist:innen für bis zu 30 Tage in Unterbindungsgewahrsam verbracht. Was erlaubt ist - und wo es Bedenken gibt. (Symbolbild)Quelle: dpa
Klimaaktivist:innen, die sich auf die Straße kleben und Lebensmittel auf Gemälde werfen, können sich unter Umständen strafbar machen. Und auf eine Straftat folgt - eine Strafe, womöglich eine Freiheitsstrafe. Aber auch vorbeugend kann die Polizei Aktivist:innen in Gewahrsam nehmen. Dafür dient der sogenannte Präventivgewahrsam, auch Unterbindungsgewahrsam oder schlicht Präventivhaft genannt.

Bayerische Regelung geht am weitesten

Der Präventivgewahrsam hat, abhängig vom jeweiligen Bundesland, unterschiedliche Voraussetzungen und räumt der Polizei verschieden weitreichende Befugnisse ein. Besonders umfassend sind dabei die Kompetenzen der Beamten in Bayern. Nach dem dort geltenden Polizeiaufgabengesetz darf die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies zur Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat unerlässlich ist.
Über die Freiheitsentziehung muss eine richterliche Entscheidung eingeholt werden. Zunächst darf nur eine Haft von bis zu einem Monat angeordnet, diese aber auf bis zu zwei Monate verlängert werden. In München etwa wurden allein in diesem Monat 33 Klimaaktivist:innen für bis zu 30 Tage in Unterbindungsgewahrsam verbracht, nachdem sie sich in der Innenstadt auf Fahrbahnen festgeklebt hatten.
Wäre es nach der CSU gegangen, würde die Präventivhaft bis zu drei Monate dauern und dürfte immer wieder um drei Monate verlängert werden - Ende offen. So sah es ein erster Entwurf des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes vor. Erst nach Protest der Opposition im bayerischen Landtag und der Zivilgesellschaft wurde die vorgeschlagene Dauer gekürzt.

Auch andere Länder erlauben Präventivgewahrsam

Doch Bayern steht mit seiner Regelung nicht allein da: Polizeilicher Präventivgewahrsam ist nach allen Sicherheitsgesetzen der Länder und des Bundes möglich. Mit Blick auf Bedrohungen durch islamistischen Terrorismus wurde die Gewahrsamshöchstdauer in den entsprechenden Gesetzen der Länder in den letzten Jahren erweitert: In Nordrhein-Westfalen und Brandenburg beträgt sie 14 Tage, mit der Möglichkeit, sie um 14 Tage zu verlängern. In Niedersachsen kann sie noch einmal um sieben Tage verlängert werden.

Sonderfall Berlin

Ein Sonderfall ist Berlin: Dort muss die Freiheitsentziehung spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen beendet sein, kann also maximal 48 Stunden betragen. Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik sprach sich zuletzt für eine längere Gewahrsamsdauer aus, auch wenn sie versicherte, es müsse nicht gleich wie in Bayern sein.
Allerdings: Die sogenannte Präventivhaft stößt auf verfassungsrechtliche Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte haben sie zwar als zulässiges Mittel der Gefahrenabwehr anerkannt. Heikel wird es allerdings, wenn ihre Dauer sich der einer normalen Haftstrafe immer weiter annähert.

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Keine Anklage, keine Hauptverhandlung

Die in Gewahrsam genommenen Personen dürfen nicht mit Strafgefangenen untergebracht werden, im Übrigen unterscheidet sich die präventive Haft kaum von einer repressiven - nur ist letzterer ein Strafverfahren vorausgegangen, in dem sich der Beschuldigte umfassend verteidigen konnte und in dem bekanntlich die Unschuldsvermutung gilt.
Vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht sind mehrere Klagen gegen das bayerische Gesetz anhängig. Markus Söder hingegen hat andere Pläne: Wenn es nach ihm ginge, würden die bayerischen Regeln bald in ganz Deutschland gelten.
Charlotte Greipl ist Rechtsreferendarin in der Redaktion Recht und Justiz.

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