Exklusiv

: Schweden deutet Zugeständnisse an Erdogan an

von Dominik Rzepka
10.11.2022 | 16:42 Uhr
Die Türkei blockiert derzeit Schwedens Nato-Beitritt und fordert Zugeständnisse. Schwedens Außenminister Billström ist offenbar bereit, dem türkischen Präsidenten entgegenzukommen.

Sehen Sie hier das Interview mit dem schwedischen Außenminister Tobias Billström in voller Länge.

10.11.2022 | 05:25 min
Schweden ist offenbar zu Zugeständnissen an die Türkei bereit, um in die Nato aufgenommen zu werden. So stellt der schwedische Außenminister Tobias Billström die syrische Kurdenmiliz YPG in die Nähe einer Terrororganisation. Das wiederum ist eine zentrale Forderung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der die Aufnahme Schwedens in die Nato bisher blockiert.
Billström sagt im ZDFheute-Interview in Bezug auf die Kurdenmiliz YPG und ihren politischen Arm, die Partei PYD:
Es ist so, dass sie wegen ihrer Verbindung zur PKK keinerlei Unterstützung bekommen werden.
Tobias Billström, Außenminister Schweden
Die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK wird von der EU als Terrororganisation eingestuft, die YPG aber nicht. Billström betont nun die Verbindung zwischen beiden. Ein Signal in Richtung Erdogan?

Billström schließt Ausweisungen nicht aus

Die Türkei fordert von Schweden außerdem die Auslieferung von mehr als 70 Menschen. Auf die Frage, ob Schweden dazu bereit ist, antwortet Billström ausweichend, schließt Ausweisungen aber nicht aus.
"Es gibt keinen Grund, jetzt Zahlen zu nennen oder auf Einzelfragen einzugehen", so Billström. "Dafür gibt es zuständige Behörden. Ich als Außenminister entscheide solche Einzelfragen nicht."
28 von 30 Ländern haben der Nato-Norderweiterung bereits zugestimmt. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) forderte die Türkei auf, die Blockade aufzugeben. Wörtlich sagte sie, die Nato-Norderweiterung sei "sauklar". Billström, den Baerbock heute in Berlin getroffen hat, kündigt weitere Verhandlungen mit der Türkei an und zeigt sich überzeugt:
Am Ende wird das türkische Parlament der Aufnahme Schwedens und Finnlands in die Nato zustimmen.
Tobias Billström, Außenminister Schweden

Billström: Müssen Rücksicht nehmen

Billström ist seit wenigen Wochen Mitglied der neuen Regierung in Schweden. Seine Partei, die konservativen Moderaten, ist auf die Unterstützung der rechtsradikalen Schwedendemokraten angewiesen, die 1988 im nationalsozialistischen Umfeld gegründet wurde.
Laut einer Studie standen bei der schwedischen Wahl 2022 knapp 300 Politikerinnen und Politiker auf den Stimmzetteln, die sich nationalsozialistisch oder rassistisch geäußert hatten. Der Großteil von ihnen ist Mitglied der Schwedendemokraten. Auf die Frage, ob er sich wegen der Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen nicht schäme, sagt Billström:
Die Schwedendemokraten haben etwa 70 Mandate im Parlament, darauf muss man Rücksicht nehmen. Wir können nicht eine Partei ausschließen, die von so vielen gewählt wurde.
Tobias Billström zu den Schwedendemokraten

Wer sind die Schwedendemokraten?

Sind die Schwedendemokraten rechtsextrem?

Die Schwedendemokraten (SD) werden in der Regel als rechtspopulistisch beschrieben. Politikwissenschaftler in Schweden nennen sie rechtsradikal. Laut dem Vorsitzenden der schwedischen Extremismusstiftung Expo ist die Partei "eine Mischung aus Rechtspopulisten und Rechtsextremen".

214 Politiker, die bei der Parlamentswahl 2022 für die Schwedendemokraten kandidiert haben, haben Nähe zum Nationalsozialismus oder Rassismus - so viele wie in keiner anderen schwedischen Partei. Laut einer Studie zählen dazu Politiker, die Mitglieder in Nazigruppen oder Skinheads waren oder wegen Volksverhetzung verurteilt wurden. Einige haben Hasskommentare in rechtsextremen Onlineforen geschrieben.

Gründung 1988: Rechtsextreme Wurzeln

Quelle: Imago
Die Schwedendemokraten wurden im Jahr 1988 von "Veteranen des schwedischen Nationalsozialismus und Faschismus" gegründet, so die schwedische Extremismusstiftung "Expo".

Einige Gründer kamen aus der Bewegung "Bevara Sverige svenskt" ("Schweden muss schwedisch bleiben") und der "Nordischen Reichspartei", dem ehemaligen "nationalsozialistischen Kampfverbund" - unter ihnen der erste SD-Parteichef Anders Klarström.

Bis 2006 verwendeten die Schwedendemokraten als Parteisymbol eine brennende Fackel in den schwedischen Farben blau und gelb.

Einzug ins Parlament 2010

Quelle: dpa
2010 schaffte die Partei das erste Mal den Einzug ins schwedische Parlament (Bild). Bei der Wahl 2010 erhielt die Partei 5,7 Prozent - und wuchs dann stetig: 12,9 Prozent im Jahr 2014, vier Jahre später 17,5 Prozent und bei der jüngsten Wahl 20,6 Prozent. Damit wurden die Schwedendemokraten 2022 erstmals zweitstärkste Kraft des Landes.

Parteichef Jimmie Åkesson

Der jetzige Parteichef heißt Jimmie Åkesson, ein Mittvierziger aus Südschweden (Bild). Im Jahr 2012 erklärte er eine "Nulltoleranz" gegenüber Rechtsextremismus. Unter seiner Führung mussten rechtsextreme Mitglieder die Partei verlassen. Åkesson positioniert die Schwedendemokraten mittiger, damit sie für breitere Schichten wählbar werden.

Allerdings kritisiert Expo, dieses Versprechen richte sich vor allem an die Öffentlichkeit. Noch am Wahlabend 2022 hatte eine sichtlich angetrunkene Vertreterin der Partei eine missverständliche und undeutliche Äußerung vor laufenden Kameras gemacht, man konnte sie als "Sieg Heil" verstehen.

Regieren die Schwedendemokraten mit?

Eine direkte Regierungsbeteiligung mit Ministerposten gibt es nicht. Die Regierung bilden die konservative Partei "Moderaterna" (M) plus zwei kleinere Parteien. M-Chef Ulf Kristersson (Bild) ist als Drittplatzierter neuer Ministerpräsident. Allerdings lässt er sich von den Schwedendemokraten tolerieren.

Jahrelang hatten die Konservativen das ausgeschlossen. Nun aber ist Kristersson mit Hilfe der Schwedendemokraten an die Macht gekommen. Als Gegenleistung werden die Konservativen Forderungen der Schwedendemokraten erfüllen müssen.

Der große Aufschrei in der schwedischen Gesellschaft bleibt bisher aus. Expo-Chef Daniel Poohl sagt: "Die Schweden haben ihren Widerstand gegen die Schwedendemokraten aufgegeben, sie werden als normale Partei wahrgenommen. Man hat aufgehört zu verstehen, welche Gefahr damit einhergeht."

Was will die Partei?

Quelle: AP
Die Partei hat vor allem ein Thema: Den Umbau der schwedischen Gesellschaft. Die Schwedendemokraten wollen die restriktivste Migrationspolitik der EU. Geduldete Zuwanderer sollen das Land verlassen. Homosexualität soll kein Grund mehr für Asyl sein.

Expo sagt: "Mit den Schwedendemokraten wird es in Schweden künftig weniger schwarze Haut geben." Darin bestehe eine wirkliche Veränderung der liberalen Gesellschaft, eine neue Ära in Schweden.

Wird Schweden jetzt die Nato verlassen?

Quelle: dpa
Wahrscheinlich nein. Für den angestrebten Nato-Beitritt Schwedens gibt es einen ziemlich großen Konsens. Die zuletzt regierenden Sozialdemokraten hatten das Thema vor der Wahl abgeräumt. Hinzu kommt: Außenpolitik ist den Schwedendemokraten nach Einschätzung von Expo-Chef Poohl nicht besonders wichtig.

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