: Vom "lieben Sergej" zur Persona non grata

von Armin Coerper, Moskau
15.08.2023 | 17:22 Uhr
Sergej Lawrow ist gefühlt schon immer da und von der Weltbühne kaum wegzudenken. Seit fast 20 Jahren ist der Russe Außenminister seines Landes. Was ist von ihm noch zu erwarten?
Sergej Lawrow, Außenminister Russlands.Quelle: dpa
Der russische Außenminister Sergej Lawrow zählt zu den Menschen, die eigentlich immer gleich aussehen. Sein Gesichtsausdruck verrät so gut wie nichts. Der Anzug, die Krawatte, der Blick. Lawrow ist die Personifizierung des Prinzips "wie immer". Auch am Dienstag, als er auf der 11. Moskauer Sicherheitskonferenz spricht. Da ist auch der Ton wie immer - schneidend.
Und auch das, was er erzählt, kennt man. Die westlichen Länder seien nicht mehr als Vasallen der USA, deren Zeit als einzige Weltmacht abgelaufen sei. Die hätten den Ukraine-Konflikt schon 2014 provoziert, den Maidan nennt er einmal mehr "blutigen Staatsstreich".
Und Lawrow droht einmal mehr. Mit einem nuklearen Schlag, in dem er die Absicht einfach anderen unterstellt: "Die USA sind aus einigen Schlüsselabkommen ausgestiegen und jetzt fürchten wir, dass sie sich an einem der Eckpfeiler der globalen Sicherheitsarchitektur vergreifen: dem Atomwaffensperrvertrag."
Bei der Sicherheitskonferenz in Moskau wurden Russlands Vorstellungen zur "multipolaren Welt" in den Fokus gerückt:

In der russischen Hauptstadt findet das alljährliche Sicherheits-Forum statt.

15.08.2023 | 02:06 min

Lawrow und seine eigene Vorstellung von der Welt

Das ist Lawrows Welt. Die sieht er heute als multipolar. Jedes Land, sagt Lawrow, habe das Recht, seine nationalen Interessen zu vertreten und Russland würde sie dabei unterstützen. Er begründet seine Sicht auch am Dienstag wieder mit ständigem Bezug auf internationale Organisationen und Verträge: die OSZE-Deklarationen von Istanbul und Astana, die Charta der Vereinten Nationen. Lawrow interpretiert sie alle zu seinen Gunsten und zur Legitimation von Russlands militärischem Vorgehen.
Vor dem UN-Sicherheitsrat hat Lawrow den Angriffskrieg gegen die Ukraine verteidigt:
Dabei kennt der 73-Jährige die Welt und ihre Regeln wie wenige außer ihm. Seit den frühen 80er-Jahren war er bei den Vereinten Nationen unterwegs, damals noch für die Sowjetunion. Neben Russisch spricht er Englisch, Französisch, Singhalesisch und Dhivehi, die Sprache der Malediven. 1992 wurde Lawrow stellvertretender Außenminister der jungen Russischen Föderation. Dann deren Vertreter bei den UN.
Jugoslawien, Kosovo, Irak und Afghanistan: Lawrow nahm teil an den Sitzungen zu den großen Konflikten der Welt. Seit 2004 ist er russischer Außenminister und fällt zunehmend durch eine recht eigenwillige Haltung zur Wirklichkeit auf. Im März 2022 behauptete Lawrow etwa:
Russland hat die Ukraine nicht angegriffen.
Sergej Lawrow, Außenminister Russlands

Haltung des Westens zu Lawrow hat sich verändert

Immer wieder trifft Lawrow seine deutschen Amtskollegen. Die sprachen ihn lange mit "lieber Sergej" an. Erst Heiko Maas ging 2019 auf offener Bühne auf Distanz, als er die Festnahme eines Journalisten der Deutschen Welle in Russland kritisiert. Lawrow ließ das an sich abtropfen. Als Annalena Baerbock ihm kurz vor Ausbruch des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in Moskau die Leviten las, da huschte ein Ausdruck des Erstaunens über das sonst kaum lesbare Gesicht.
Beim G20-Treffen in Indien im März wurde Lawrow mit Kritik konfrontiert:
Vom "lieben Sergej" zur Persona non grata: Die Haltung des Westens zu Sergej Lawrow hat sich geändert. Er eigentlich nicht. Die gleiche Cleverness. Die gleiche Unnachgiebigkeit. Der gleiche Zynismus. Eine Weltbühne ohne ihn ist schwer vorstellbar, einfach weil er schon immer dagewesen zu sein scheint. Der Westen hat sich lange von ihm täuschen lassen, vielleicht haben viele einfach nur nie richtig hingeschaut. Weil Sergej Lawrow immer so gleich aussieht.
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