Interview

: Wie plausibel sind die Nord-Stream-Berichte?

07.03.2023 | 20:56 Uhr
Die neuen Berichte zur möglichen Beteiligung einer pro-ukrainischen Gruppe an den Explosionen der Nord-Stream-Pipelines bieten laut Göran Swistek "keine Fakten".
Wer steckt hinter den Explosionen der Ostsee-Pipelines im September 2022? Neue Berichte sehen Hinweise auf eine pro-ukrainische Gruppe. Göran Swistek, Experte für Maritime Sicherheit bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, mahnt im Interview bei ZDFheute live zur Vorsicht bei der Bewertung.
ZDF: Wie plausibel klingen die Berichte für Sie? 
Göran Swistek: Für mich klingt das jetzt noch gar nicht überzeugend. Man hat keine Fakten bisher in den Berichten, die wir heute vernommen haben, geliefert. Viel mehr hat man neue Spekulationen über die Urheberschaft aufgemacht. Sie haben das selber gerade schon diskutiert. Angefangen von pro-ukrainischen Gruppen, vielleicht auch russischen pro-ukrainischen Gruppen, bis hin zu einer False-Flag-Operation wurde da vieles aufgeführt und genannt. Das wurde leider nicht mit irgendwelchen Beweisen untermauert. Ferner die Details, die in diesen Berichten so angeblich geliefert wurden, scheinen auch noch etwas unlogisch zu sein.
Man mietet in Polen ein Boot an, bewegt sich dann nach Rostock, um es mit einem Transporter, wo wahrscheinlich große Mengen Sprengstoff drin waren und man selbst gefälschte Ausweise benutzt hat, um dann von Rostock – was wieder weiter entfernt von Polen ist – eine solche Aktion zu starten. Das klingt alles noch nicht so wirklich schlüssig und das sind anscheinend auch noch keine untermauerten Fakten.
Von daher würde ich dazu raten, die Spekulationen vielleicht erst mal nochmal ein bisschen zur Seite zu packen und zu warten, ob vielleicht in den nächsten Tagen von den Ermittlungsbehörden dazu noch Fakten kommen.
Göran Swistek, Experte für maritime Sicherheit

Göran Swistek ...

... ist Sicherheitsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.
ZDF: Wie kann eine solche Aktion komplett unbemerkt bleiben?
Swistek: Die Pipeline selber ist gar nicht so gut überwacht. Wir haben große Defizite noch in der Überwachung von Seeräumen, je weiter weg diese auch von Land liegen. Sowohl über Wasser, wie auch unter Wasser. Es gibt mittlerweile – seit den Anschlägen von Nord Stream - einige Bemühungen Strukturen zu schaffen, Fähigkeiten einzurichten, und auch mit den Betreibern solche Infrastruktur zusammenzuarbeiten, um das Lagebild zu erhöhen. Nichtsdestotrotz halte ich es für durchaus möglich, dass man sich unbemerkt im Seeraum auch bewegen kann, wenn man das möchte und dort auch Sabotageakte durchführen kann. Das ist derzeit noch möglich.  
ZDF: Hätte die Ukraine die technische und logistische Möglichkeit? 
Swistek: Die Frage scheint jetzt in eine staatliche Richtung zu gehen. Das heißt, die Ukraine als Staat, die dann wahrscheinlich irgendeine Spezialeinheit, eine Geheimdienstoperation durchführt. Das heißt, man müsste Material verbringen, Sprengstoff verbringen, oder irgendwo im Ausland kaufen, ohne dass es anderen auffällt. Man müsste durch mehrere europäische Länder reisen. (...)
Ich möchte generell in dieser Diskussion mal drei Aspekte unterscheiden: Einmal brauche ich für die Durchführung und Planung einer solchen Operation ein entsprechendes Fachwissen im Umgang mit Munition oder mit Sprengstoff, mit Explosivstoffen. Fachwissen, wie ich natürlich auch tauche, auf solche großen Tiefen. Dann das Wissen, wie ich entsprechende Zünder einbaue. Das erlange ich nicht einfach so, das ist oftmals eine jahrelange Ausbildung, insbesondere im Militär. (...)
Der zweite Bereich ist das Material. Ist es ein Boot, ist es ein Transportmittel, der Sprengstoff, die gefälschten Pässe. All das muss man beschaffen, ohne dass es jemand mitbekommt unter einem Deckmantel. Das kostet auch alles Geld, ohne dass es jemandem auffällt.
Und der dritte Bereich – und das ist vielleicht der Bereich, der hier auch noch mit angerissen wurde – ist die Frage nach der Intention und Motivation. Was würde es der Ukraine bringen, oder was bringt es der Ukraine, diese Pipeline – die zu dem Zeitpunkt ja noch gar nicht - also Nord Stream 2 - noch gar nicht in Betrieb war, Nord Stream 1 mit den Sanktionsmaßnahmen und der Reduzierung der Abhängigkeit durch russisches Erdgas wurde auch nicht mehr genutzt.
Dementsprechend hätte man eine Pipeline gesprengt, symbolisch? Vielleicht? Ohne einen wirklich negativen Effekt für Russland zu generieren. Und der negative Effekt in Deutschland war ja vorher schon gegeben, dass wir uns generell ja mit unseren Energie- und fossilen Rohstoffen neu aufstellen mussten und aus anderen Ländern, aus anderen Regionen das nun importieren müssen.
Von daher die Frage, wem schade ich da mehr? Und wenn das irgendwann zutage kommt, dass es eine ukrainische Operation ist, wie es vorhin auch schon angesprochen wurde bei Ihnen, ob ich dann nicht selber dem Verhältnis des Westens, Europas, Deutschlands zur Ukraine und auch der derzeitigen Unterstützung für die Urkaine mehr schade? Das würde ich vielleicht auch als Frage nochmal in den Raum stellen. 
ZDF: Könnte auch eine kleine Gruppierung hinter dem Anschlag stecken oder braucht es bei einem Anschlag dieser Größenordnung schon eher die Unterstützung einer Regierung oder eines Geheimdienstes? 
Swistek: Theoretisch ist es natürlich möglich, dass eine ganz kleine Gruppe dieses Fachwissen (...) mitbringt. Die auch über die entsprechenden finanziellen Ressourcen verfügt und das vielleicht auch schon über Monate, Jahre geplant hat, so durchführt. Das ist theoretisch vorstellbar. In der Praxis halte ich das eher für unrealistisch. Ich glaube schon, dass hier auch gewisse größere Organisationen, Strukturen involviert sein müssen, allein wegen der finanziellen Unterstützung. (...)
ZDF: Wie wahrscheinlich ist eine Taucheroperation wenn mehrere hundert Kilo Sprengstoff eingesetzt wurden? 
Swistek: Ich brauche dafür schon technische Hilfsmittel, ich muss das ganze natürlich irgendwie im Wasser ablassen können. Das heißt, ich brauche das Material, das habe ich vorhin schonmal angesprochen, man muss auch das Wissen haben, wie ich solche Mengen an Sprengstoff verbringe. Grundsätzlich möglich, wenn ich eine Jacht habe, die vielleicht auch mit irgendeiner Aussetzvorrichtung ausgestattet ist, die ich mir selber vielleicht auch mitgebracht habe, ist das natürlich theoretisch vorstellbar.
Dann gibt es verschiedenste Möglichkeiten, wie ich solche schweren Gewichte und auch alles was ich dann zum arbeiten brauche natürlich in die Tiefe bringe. Dann gibt’s verschiedene allonartige Schwimmkörper, von denen man dann nach und nach die Luft ablässt und diese dann quasi im Wasser absacken. Sowas gibt es heutzutage, das ist möglich, da kann ich dann auch mit zwei, drei oder vier Leuten entsprechende, große schwere Arbeiten (...) in großer Wassertiefe durchführen. (...)
Das Interview führte Jessica Zahedi.
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Quelle: ZDF

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