Exklusiv

: Entführte Kinder: SOS-Kinderdörfer involviert

von Christoph Söller und Arndt Ginzel
21.02.2023 | 17:00 Uhr
Seit Kriegsbeginn verschleppt die russische Armee ukrainische Kinder - in Russland droht ihnen Umerziehung. Laut frontal-Recherchen sind SOS-Kinderdörfer möglicherweise verstrickt.

Systematisch sind ukrainische Kinder und Jugendliche nach Russland deportiert und dort von Pflegefamilien zwangsadoptiert worden. frontal ging auf die Suche nach den Kindern.

21.02.2023 | 36:58 min
Immer wieder ist das Grollen von Artillerie zu hören. Seit der ukrainischen Gegenoffensive ist Cherson Frontstadt, hier treffen russische und ukrainische Einheiten aufeinander. Cherson, wo vor dem Krieg etwa 280.000 Menschen lebten, ist inzwischen beinahe verwaist, auf der östlichen Uferseite des Dnepr lauert die russische Armee.
Oleg, ein junger Ukrainer, kommt trotzdem immer wieder hierher, er hat schließlich eine Aufgabe – wenn es auch nur das Füttern von ein paar Katzen ist. Die Tiere gehören schließlich Dima, seinem besten Freund, und wer weiß, vielleicht kommt der ja eines Tages wieder.

Sendehinweis

Quelle: ZDF
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Dima und sein jüngerer Bruder sind gefangen im Land des Feindes. Die Russen haben sie auf die Krim gelockt, es sei ein Ferienlager, ein Erholungsurlaub, sagten sie, jetzt kommen die beiden Brüder nicht mehr zurück.

Kinder werden systematisch pro-russisch erzogen

Wie viele andere aus der Ukraine ein ähnliches Schicksal erleiden, ist unbekannt, die Vereinten Nationen rechneten im September mit etwa 1.800 verschleppten Kindern und Jugendlichen, die ukrainische Regierung zuletzt sogar mit 14.000.
Ob die Zahlen stimmen oder nicht, ist – wie so oft in diesem Krieg – schwer zu beurteilen. Das Humanitarian Research Lab der US-Universität Yale spricht von mindestens 6.000 Kindern und Jugendlichen, die auf die Krim oder ins russische Kernland systematisch verschleppt worden sind. Dort kommen sie oft in russische Pflegefamilien, werden umerzogen, sollen alles Ukrainische vergessen.  
Als die Russen die Hafenstadt Cherson im März des vergangenen Jahres besetzten, boten sie ukrainischen Kindern und Jugendlichen Erholungsferien auf der Krim an – eben auch Dima und seinem Bruder.

Eltern suchen nach Brüderpaar

Im November eroberten die Ukrainer Cherson zurück. Als die Russen abzogen, war klar, dass auch die Brüder nicht nach Cherson zurückkehren würden, sondern in Russland bleiben müssen. Als Dimas Eltern das hörten, fuhren sie ihren Söhnen hinterher und überließen Oleg die Schlüssel zum Haus. Jetzt sitzt die ganze Familie in der russischen Stadt Anapa fest, 500 Kilometer entfernt von Cherson.
Murat Sahin leitet die Unicef-Mission in der Ukraine. Im Gespräch sagt er, der Krieg belaste vor allem die Kinder enorm.
Nachdem Oleg durch das verlassene Haus gegangen ist und die Katzen versorgt sind, ruft plötzlich sein Freund an, ein Videocall. Dass er irgendwann zurückkehren möchte, erzählt Dima und zeigt seinen Arm, an dem ein Bändchen hängt. "So sind wir gekennzeichnet, wie Tiere", sagt er. Dann muss er auflegen. Zum Abschied ballt Oleg kämpferisch die Faust und versucht ein Lächeln.

Russische Propaganda in SOS-Kinderdörfern

Russlands Präsident Wladimir Putin und seine Ombudsfrau für Kinderrechte, Maria Lvova-Belova, leugnen die Vorwürfe der Verschleppungen nicht einmal. Sie selbst habe ein 15-jähriges Kind aus Mariupol adoptiert, sagt sie lächelnd und das Staatsoberhaupt nickt anerkennend. Das Gespräch läuft im Staatsfernsehen. Verschleppungen gehören zum festen Bestandteil russischer Kriegsführung. So will die Armee Unsicherheit und Ängste in der ukrainischen Bevölkerung säen und den Willen zur Verteidigung brechen.
Doch Deportationen gelten als Kriegsverbrechen. Recherchen von ZDF frontal zeigen: Auch die Hilfsorganisation SOS-Kinderdörfer ist möglicherweise in die Verschleppungen involviert. Aufnahmen belegen, wie ukrainische Kinder in Russland zur Adoption freigegeben werden. Sie werden in rote Ziegelhäuser in der Siedlung Tomilino in der Nähe von Moskau gebracht. Die Siedlung gehört seit 1990 zu den SOS-Kinderdörfern. Auch Maria Lvova-Belova kommt zu Besuch ins Pflegedorf und Putins Partei "Einiges Russland" hält dort Veranstaltungen ab.
Verschleppte Kinder und Putins Strategie:

ZDF Zoom Doku "Die verschwundenen Kinder von Cherson"

23.02.2023 | 43:59 min

Hilfsorganisation will Fälle prüfen

Wie kann es sein, dass eine Hilfsorganisation, die laut eigenen Angaben "Kindern ein sicheres Zuhause geben" will, Teil russischer Propaganda wird? SOS-Kinderdörfer räumte ein, von 13 ukrainischen Kindern in Russland zu wissen.
Auf ZDF-Nachfrage heißt es schriftlich: "SOS-Kinderdorf Russland kann keine Auskunft darüber geben, wie die Kinder nach Russland kamen und wie sie die russische Staatsbürgerschaft erlangten."
SOS-Kinderdorf ist gegen den Einsatz von Kindern für politische Zwecke. Wir unterstützen das nicht und werden diesen Fall prüfen.
Mitteilung von SOS Kinderdörfer
[Lesen Sie hier die Stellungnahme der SOS-Kinderdörfer zu den Vorwürfen]
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