: Wolfgang Schäuble - der große Unvollendete

von Dr. Peter Frey
27.12.2023 | 11:35 Uhr
Wolfgang Schäuble war nie Kanzler, aber setzte als Bundestagspräsident Maßstäbe - und machte sich in der deutschen Politik verdient wie kaum ein anderer.

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist im Alter von 81 verstorben.

27.12.2023 | 14:28 min
Wolfgang Schäuble war der große Unvollendete der deutschen Nachkriegspolitik. Nicht erst als "Architekt der Deutschen Einheit", der den Einigungsvertrag wesentlich aushandelte, hatte er für Bundeskanzler Kohl Unverzichtbares geleistet. Mit dem Attentat, das ihn fast das Leben kostete und seit dem er 30 Jahre auf den Rollstuhl angewiesen war, wurde Wolfgang Schäuble zu einer Art Mythos der wiedervereinten Bundesrepublik Deutschland.

Von Kohl übergangen, von Merkel geachtet

Es dürfte die größte Kränkung seiner politischen Karriere gewesen sein, dass er, so lange Kohls Kronprinz, von diesem zuletzt verstoßen und bei der Frage nach seiner Nachfolge übergangen wurde. Kohl kandidierte, verlor, und Wolfgang Schäuble hat nie mehr ein Wort mit ihm gewechselt.
Innerlich musste er nicht nur das verkraften, sondern auch den Ansehensverlust durch die ungeklärte Herkunft von den Spendengeldern an die CDU, nachdem er dann doch noch kurz CDU-Vorsitzender geworden war.

"Architekt der Einheit", Innen- und Finanzminister, Bundestagspräsident - Kaum ein anderer Politiker hat die Bundesrepublik so lange geprägt wie Wolfgang Schäuble.

27.12.2023 | 03:17 min
So konnte er nur von außen betrachten, wie die junge ostdeutsche Politikerin Angela Merkel an ihm vorbei ganz an die Spitze der CDU aufstieg. Schäuble und Merkel – das war immer eine Geschichte von Spannung, auch von gegenseitigem Respekt. Anders als Friedrich Merz achtete Schäuble die Oppositionsführerin und spätere Kanzlerin.
Merkel ging mit ihm vielleicht so behutsam um wie mit keinem anderen Weggefährten und Konkurrenten. Sie waren keine Vertrauten. Aber Schäuble konnte Merkel im Vertrauen mehr Kritisches sagen als die meisten anderen. Sie, die so viele andere Männer in der CDU verdrängt hatte, ermöglichte es ihm, im Zentrum der Macht zu bleiben.

Mit dem Tod von Wolfgang Schäuble gehe ein großer Wertepolitiker und Demokrat verloren, so Ulrich Reitz, Schäuble-Biograf und Ex-Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Focus.

27.12.2023 | 05:50 min

"Mann der schwarzen Null"

Als Finanzminister ließ sie ihm freie Hand, auch bei der Rettung des Euro, wenngleich sie seinen harten Kurs gegenüber Griechenland sanft korrigierte. In den Jahren der Großen Koalition wurde Schäuble zum Mann der schwarzen Null. Er legte den Grundstein dafür, dass Deutschland in den nachfolgenden Krisen auf wenig Schulden und hohe verfügbare Ressourcen zurückgreifen konnte.
Das wirkt bis heute nach, stärkte den Staat in der Corona-Krise und für die Zeitenwende nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Schäubles fiskalische Konsequenz, aber auch die günstige Niedrig-Zins-Phase der 2010er Jahre machten ihn zu einem legendären Finanzminister.

Wer Frieden wolle, müsse die richtige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit bzw. zwischen Sicherheit und Moral finden. Damit tue sich Deutschland schwer, so Schäuble vergangenes Jahr bei Lanz.

15.12.2022 | 01:31 min

Kein Kanzler, aber verdient gemacht wie kaum ein anderer

Als Bundestagspräsident setzte er Maßstäbe und stach die Bundespräsidenten gleich nebenan im Schloss Bellevue durch die Präzision, manchmal Schärfe seiner Sprache und Originalität seiner Gedanken oft aus. Das scherte ihn nicht. Körperlich immer auf Hilfe anderer angewiesen, entwickelte Schäuble neben seiner intellektuellen Brillanz auch Züge von Sarkasmus.
Mit seiner Schärfe konnte er Menschen treffen, sie half ihm aber auch, mit seinen Einschränkungen zurechtzukommen. Es war ihm nicht recht, wenn man sich zu ihm herunterbeugte, um mit dem Mann im Rollstuhl zu sprechen. Wenn er reden wollte, dann auf Augenhöhe. Das tat er mit denen, die er achtete, in seiner badischen Sprachfärbung und Bodenständigkeit, die er nie ablegte.
Ein Mann der Wärme war Schäuble nicht. Aber einer, der dafür sorgte, dass die Bundesrepublik nach 1990 Format gewann und innerlich stabil blieb. Er hasste Phrasen. Aber es trifft wohl zu: Auch wenn er weder Kanzler noch Präsident wurde – Wolfgang Schäuble hat sich um das Land verdient gemacht wie kaum ein anderer.
Peter Frey war langjähriger ZDF-Chefredakteur. 25 Jahre lang hatte er die Gelegenheit, den Politiker Wolfgang Schäuble in zahlreichen Gesprächen und Begegnungen kennenzulernen.

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