Interview

: "Der Mensch braucht Pausen"

26.12.2023 | 07:59 Uhr
In unserer vom Leistungsgedanken geprägten Gesellschaft hat Faulheit kein gutes Image. Etwas anders sieht das Bernd Imgrund. Für ihn ist Faulsein fast schon eine wertvolle Tugend.
Faulheit kann auch positiv sein. Sie bringt uns geistig voran, schafft Raum für neue Ideen und frische Impulse.Quelle: Colourbox.de
ZDFheute: Sie haben ein unterhaltsames Buch über das Faulsein geschrieben. Warum war es Ihnen ein Anliegen, sich ausführlicher der Faulheit zu widmen?
Bernd Imgrund: Ich finde es unglaublich interessant, wie viele Facetten die Faulheit hat. Die meisten haben sicherlich erstmal negative Assoziationen im Kopf: Faulheit bedeutet, träg, lethargisch, phlegmatisch oder bequem zu sein. Eine faule Kartoffel verfärbt sich und fängt an zu stinken. Faulheit ist also gleichzusetzen mit Abfall und Wertlosigkeit. Schon die frühen Christen haben die Faulheit zu den sieben Todsünden gezählt. Apostel Paulus hat gesagt: "Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen."
Aber Faulheit ist mehr, sie ist vielseitig und kann sogar sexy sein.
Bernd Imgrund
Ihre charmanteste Variante ist die Lässigkeit: Mich bringt nichts aus der Fassung, ich lasse die Dinge auf mich zukommen. Auch der Müßiggang ist ein anderer, positiverer Blick auf die Faulheit. Immer schon. In Griechenland und im alten Rom hatte die Arbeit keinen guten Ruf, da galt es als edel, den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen.

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ZDFheute: Warum gilt Faulheit heute als Imagefalle und nur, wer über einen vollen Terminkalender klagen kann, wird anerkannt?
Imgrund: Um das zu verstehen, muss man etwas zurückblicken. Ich zitiere niemand Geringeren als den großen Reformator Martin Luther, der gesagt hat: "Wer fleißig arbeitet, der betet zweimal." Darüber hinaus erinnere ich an die Industrialisierung, mit der die Arbeit ins Zentrum gestellt und zunehmend fetischisiert wurde.
Karl Marx und Friedrich Engels haben das, wenn man so will, auf die Spitze getrieben. Sie haben gesagt, dass sich der Mensch nur dadurch vom Affen unterscheidet, dass er arbeitet. Der moralische Kompass hebt die Arbeit seither in den Himmel. Die Faulheit dagegen hat sich von diesen üblen Tiefschlägen bis heute nicht erholt.

Bernd Imgrund ...

Quelle: privat
... ist Journalist und Autor von mittlerweile über 40 Romanen und Sachbüchern. Sein Buch "Faul! Vom Nutzen des Nichtstuns" (Hirzel Verlag) ist ein Essay über den notwendigen Müßiggang in unserer stressigen Zeit.
ZDFheute: Sie sehen das anders. Warum ist die Faulheit in Ihren Augen fast schon eine wertvolle Tugend?
Imgrund: Vorneweg: Es geht mir nicht um Faulheit im Sinne von Chips essend auf der Couch zu vegetieren und sich dabei medial berieseln zu lassen. Das kann niemand gut finden.
Ich plädiere für mehr Müßiggang, also dafür, das Faulenzen mit Sinn zu füllen. So betrachtet, kann Faulheit sehr wertvoll sein.
Bernd Imgrund
So bringt sie uns geistig voran, schafft Raum für neue Ideen und frische Impulse. Damit hat Faulheit auch einen gesellschaftlichen Nutzen. Denken wir allein an die Arbeit. Es ist nachgewiesen, dass Pausen nötig sind, um neue Energie zu tanken.
ZDFheute: Sie gehen sogar noch einen Schritt weiter und sagen: Faulheit rettet Leben.
Imgrund: Unbedingt sogar. Es ist kein Geheimnis, dass Menschen, die permanent sehr viel arbeiten, nicht gesund leben. Sie nehmen irgendwelche Substanzen, um alles zu schaffen, oder malträtieren ihren Körpern auf andere Weise, nur um irgendwann doch umzukippen. Dann ist Schluss mit Fleiß und Hektik.
Vielmehr ist genau das Gegenteil nötig, um wieder auf die Beine zu kommen: Faulheit, Nichtstun, Kontemplation, Lässigkeit und so weiter. Der Mensch braucht Pausen. Eigentlich eine banale Tatsache.

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ZDFheute: Wie kann es gelingen, die Faulheit wieder gesellschaftsfähig zu machen?
Imgrund: Ich denke schon, dass wir zumindest auf dem Weg dorthin sind. Das erkennt man etwa an der Diskussion um die Vier-Tage-Woche. Dieser Denkanstoß, der insbesondere von den Jüngeren kommt, ist wichtig. Wir müssen uns verabschieden von alten Denkmustern. Es hat nichts mit Faulheit zu tun, keine fünf Tage in der Woche oder acht Stunden am Tag mehr arbeiten zu wollen.
Die Jüngeren haben einfach eine andere Vorstellung vom Leben. Und das ist gut so. Viel wichtiger ist doch die Frage, wie wir es schaffen, unsere Freizeit vernünftig zu gestalten, ohne zu verfetten oder aus Langeweile aufeinander loszugehen.
ZDFheute: Wie sieht "gutes" Faulenzen und Nichtstun aus?
Imgrund: Das kann vieles sein: sich einfach mal wieder auf eine Bank setzen und den Blättern eines Baumes dabei zuschauen, wie sie im Wind tanzen. Das Laub im Garten zusammenrechen. Oder von mir aus auch Yoga. Wenn es einem gelingt, seinen Kopf auszuschalten, sich auf eine Sache ohne große Ablenkung einzulassen, ist Müßiggang für mich gelungen. Der Körper faulenzt dabei übrigens keinesfalls. Während wir uns ausruhen, baut er Stress ab und regeneriert sich.
Das Interview führte Michael Kniess.

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