: Richtiges Verhalten in einer Warteschlange

von Eva Mühlenbäumer
15.06.2024 | 07:03 Uhr
Es ist ein Segen, wenn nach langem Warten eine neue Kasse öffnet. Nur: Wer darf sich da zuerst anstellen? Und wer hat bei der Parkplatzsuche Vorfahrt? Alltagstipps vom Philosophen.
Einfach nach vorne stürmen, wenn die nächste Kasse aufmacht? In so manchen Alltagssituationen wird unser Anstand auf die Probe gestellt: Wie verhält man sich moralisch korrekt?Quelle: imago/Martin Wagner
Es ist eine Alltagssituation, die jeder kennt: Wenn im Supermarkt die zweite Kasse öffnet, ist das eigentlich ein Grund zur Freude. Allerdings kann es auch unangenehmes Gedrängel geben. Denn es gibt keine Regeln dafür, wer sich zuerst an der neuen Kasse anstellen darf.
Vielmehr ist es eine Frage des eigenen Anstands: Sollte man diejenigen vorlassen, die schon länger warten oder darf man sich direkt an der neuen Kasse anstellen ohne zu warten? Für den Philosophen und Ethik-Professor Hanno Sauer eine klare Sache: "Miniaturkonflikte im Alltag können entstehen, wenn die unausgesprochenen Regeln des menschlichen Miteinanders gebrochen beziehungsweise vermeintlich gebrochen werden."

Vordrängeln an der Supermarktkasse oder online bestellen nach ausführlicher Beratung im Geschäft: Wie verhält man sich in solchen Situationen moralisch richtig? Ethik-Professor Hanno Sauer im Gespräch.

14.05.2024 | 14:38 min

Höflich sein und der Reihe nach aufschließen

"Eine Schlange ist eine sehr nützliche Erfindung, weil sie die Frage, wer dran ist, eindeutig für alle visuell beobachtbar macht", erklärt Hanno Sauer. Der Philosoph empfiehlt, prinzipiell diejenigen vorzulassen, die schon länger warten und nicht direkt als Erster an die neue Kasse zu stürmen.
Wenn eine zweite Schlange entsteht, sollte die Reihenfolge unter den Wartenden bestehen bleiben.
Hanno Sauer, Ethik-Professor
Gleichzeitig könne es Ausnahmen von diesem Prinzip geben - zum Beispiel, wenn es eine Person besonders eilig oder sie nur wenige Artikel im Einkaufswagen hat.

Anstand zahlt sich aus

Hanno Sauer ist sich sicher, dass zuvorkommendes Verhalten in einer Warteschlange positive Auswirkungen hat.
Es lohnt sich generell im Alltag extra Anstrengungen in Sachen Freundlichkeit zu unternehmen. Studien haben gezeigt, dass Menschen sich dann besser fühlen.
Hanno Sauer, Philosoph
Es seien oft nur Kleinigkeiten: In der Bahn für eine ältere Person aufstehen, ein freundliches Wort, ein Lächeln, die sprichwörtlich gute Tat - all das kann gesellschaftlicher Kitt sein und zum eigenen Wohlbefinden beitragen.

Freundlichkeit auch auf dem Parkplatz

Schon auf dem Supermarktparkplatz lässt sich das ausprobieren. Denn auch hier kann, wie an der Kasse, die Frage aufkommen, wem etwas "zusteht". Der Klassiker: Eine Parklücke ist in Sicht und mehrere Autofahrer konkurrieren darum. Um eine Lösung für diesen Konflikt zu finden, könne man sich alles Mögliche ausdenken, so Philosoph Sauer: das Recht des Stärkeren oder wer das teurere Auto hat. Aber das wäre nicht wünschenswert, da dies kostspielig, kompliziert und unpraktisch ist.
Deswegen habe sich das "Wer zuerst kommt" durchgesetzt. Daran sollten sich alle halten. "Wenn tatsächlich unklar ist, wer zuerst da war, lohnt sich Großzügigkeit und den anderen vorzulassen. Und wenn das beide gleichermaßen tun, hat man einen netten und freundlichen Austausch erlebt, der für alle Beteiligten angenehm ist", sagt Sauer.

Wenn Autos mit zwei Rädern auf dem Bürgersteig stehen, spricht man von "aufgesetztem Parken". Bürger aus Bremen haben vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig dagegen geklagt.

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Gute und nicht so gute Taten gegeneinander aufwiegen?

Sich immer freundlich und zuvorkommend zu verhalten, habe manchmal allerdings auch eine Schattenseite, sagt der Ethik-Professor von der Universität Utrecht. In Studien konnte das Phänomen der sogenannten "moralischen Lizensierung" gezeigt werden: "Wer ständig moralische Anstrengungen unternimmt, kann das Gefühl entwickeln, auf einem imaginären Konto so viel 'Guthaben' angehäuft zu haben, dass bei nächster Gelegenheit das eigene moralische Fehlverhalten unbewusst gerechtfertigt wird". Die individuelle Balance sollte also stimmen, damit moralisches Verhalten keine Dauer-Anstrengung wird, die mit negativem Verhalten kompensiert werden muss.
Eva Mühlenbäumer ist Redakteurin der ZDF-Sendung "Volle Kanne - Service täglich".

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