: Gündogan vor Türkei-Spiel: Nur keine Politik

von Frank Hellmann
16.11.2023 | 15:34 Uhr
Ilkay Gündogan will vor dem Türkei-Länderspiel keine politische Angriffsfläche bieten. Der DFB-Kapitän trifft erstmals auf sein Heimatland.
Ilkay Gündogan (vorn) wird die DFB-Elf als Kapitän gegen die Türkei anführenQuelle: dpa
Mittlerweile ist es schon fast neue Gewohnheit auf dem Trainingsplatz am DFB-Campus: Auch am Donnerstag schepperte laute Hip-Hop-Musik zum Aufwärmprogramm der deutschen Nationalmannschaft übers Gelände. Ilkay Gündogan stellte sich nicht in die Gruppe, die im großen Kreis den neuen EM-Spielball in der Luft hielt, sondern passte sich lieber mit Antonio Rüdiger die Kunststoffkugel zu.
Voller Fokus auf die Elementartugenden bei jenem Akteur, der als Kapitän die DFB-Elf ins Länderspiel gegen die Türkei (Samstag, 20:45 Uhr) führen wird. Die Atmosphäre im Berliner Olympiastadion werden türkische oder türkischstämmige Besucher prägen. Bei vielen schlagen bei diesem Fußballspiel zwei Herzen in einer Brust - und auch beim Protagonisten Gündogan könnte der Pulsschlag ein bisschen höher sein.

Gündogan erstmals gegen das Heimatland seiner Familie

"Es wird ein sehr besonderes Spiel für mich - gar keine Frage", sagt der seit dieser Saison für den FC Barcelona spielende Taktgeber. Der gebürtige Gelsenkirchener ist aktuell der einzige deutsche Kicker im DFB-Aufgebot mit Wurzeln am Bosporus. Er hat 33 Jahre alt werden müssen, um erstmals gegen das Heimatland seiner Familie anzutreten.
Meine Großeltern, Eltern und weitere Verwandte leben nach wie vor in der Türkei in Izmir, und ich habe natürlich auch viele Freunde dort. Ich versuche, jedes Jahr mindestens einmal in die Türkei zu reisen.
Ilkay Gündogan, DFB-Kapitän
Dieses Statement hat der 71-fache Nationalspieler den Nachrichtenagenturen schriftlich übermittelt. Überdies habe er sich sehr gefreut, "als sich die Türkei für die EM qualifiziert hat, und bin auch überzeugt davon, dass sie für eine Überraschung gut ist." Doch natürlich hat das Duell eine weit in die Vergangenheit reichende Ebene, weil Gündogan vor fünfeinhalb Jahren in das vielleicht größte Fettnäpfchen seiner Karriere trat.

Fotos mit Erdogan vergessen machen

Längst würde niemand mehr seine Identifikation mit der deutschen Nationalelf anzweifeln, aber als einen Tag vor der Nominierung des WM-Kaders 2018 die ominösen Fotos mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan auftauchten, stand genau diese Verbundenheit infrage. In London hatten sich mit Mesut Özil und eben Gündogan zwei damalige Stars der Premier League vom Autokraten für den Wahlkampf einspannen lassen. Die Aufregung war gewaltig, die Empörung auch.
Beim WM-Vorbereitungsspiel in Leverkusen gegen Saudi-Arabien erklangen bei Gündogans Einwechslung gellende Pfiffe. Der sensible Ballverteiler war am Boden zerstört. Zudem wurden in dieser schwierigen Zeit auch die Scheiben seines Autos demoliert. Er sollte von einem "tiefen Schlag" sprechen, "so dargestellt zu werden, als seien wir nicht integriert oder würden nicht nach deutschen Werten leben". Ganz anders als Özil gelang es Gündogan hernach sehr glaubhaft, die meisten Missverständnisse zu korrigieren.

Gündogan meidet die Medien

Sein Charakter und seine Integrität wird heute von allen Seiten gelobt. Dass der junge Familienvater nach der Verletzung von Manuel Neuer die schwarz-rot-goldene Binde bekam, hat eigentlich jeder für richtig gehalten. Aber ein falsches Wort kann auch wieder viel kaputt machen.
Deshalb meidet Gündogan jetzt die Öffentlichkeit. Der noch immer regierende Erdogan besucht in Berlin den Bundeskanzler Olaf Scholz, und aus dem Munde des türkischen Herrschers erklang gerade der Vorwurf an Israel, im Gaza-Streifen "Staatsterror" zu betreiben. Mit solchen Themen will Gündogan nicht auf einer Pressekonferenz konfrontiert werden.
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Exakt sieben Monate vor dem Eröffnungsspiel der Heim-EM sind die Trophäe und der Turnierdirektor Philipp Lahm zu Gast in Stuttgart bei einem Pressegespräch.

14.11.2023 | 01:29 min

Gündogan hofft auf "großartiges Fußballfest"

Menschlich ist das absolut nachvollziehbar - und gewiss auch kein Zeichen von Führungsschwäche. Der sozial in der Türkei mit verschiedenen Projekten engagierte Fußballstar will in dieser heiklen politischen Großwetterlage einfach keine Angriffsfläche bieten. Vielleicht war es eine symbolische Geste, dass ihm Bundestrainer Julian Nagelsmann dieser Tage bei einer Übung in Frankfurt ein weißes Leibchen gab und er so als Anspielstation für zwei Teams diente - eine neutrale Figur eben.
Der deutsche Kapitän hofft jetzt einfach "auf ein großartiges Fußballfest". Vielleicht kann es das mit seinem Zutun auch werden, aber vermutlich wird er einfach froh sein, wenn er das alles am Wochenende hinter sich hat.

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