: Wie Deutschland den Handball prägte

von Erik Eggers
25.12.2023 | 10:11 Uhr
Die Handball-EM in Deutschland vom 10. bis 28. Januar 2024 wird ein Turnier der Superlative. Der Gastgeber hat die Entwicklung des Handballs stets stark befeuert.
DDR-Goalgetter Frank-Michael Wahl im innerdeutschen Duell bei der WM 1982 in Dortmund. Die DDR gewinnt das Hauptrundenspiel 19:16.Quelle: Eggers
Der Eintrag in die Geschichtsbücher ist gewiss. Wenn Kapitän Johannes Golla am 10. Januar 2024 die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) zum Auftakt der 16. Europameisterschaft aufs Feld führt, wird ihn eine atemberaubende Kulisse erwarten.

Rekordkulisse in Düsseldorf

Rund 54.000 Fans, Funktionäre und Medienvertreter werden sich zum EM-Start gegen die Schweiz in der Düsseldorfer Fußball-Arena versammeln, die für dieses Event ihr Dach schließt.
Ich hoffe, dass wir in Düsseldorf das beste Stadion-Event abliefern, was es je im Handball gegeben hat.
Michael Wiederer, Präsident der Europäischen Handball Föderation
Tatsächlich ist es ein Rekord in der Geschichte des Hallenhandballs, und es ist kein Zufall, dass er in Deutschland gefeiert wird. Waren die Turniere in einem der Mutterländer der Sportart doch schon oft Meilensteine für die Sportart.

Handball-EM 2024 in Deutschland

Erneut wird Deutschland ein neues Ausrufezeichen im Handball setzen. Düsseldorf ist im Januar Austragungsort für das Eröffnungsspiel vor der Weltrekordkulisse von über 50.000 Zuschauern.

Quelle: Imago

WM-Etikettenschwindel zu Beginn der Entwicklung

Die Idee eines kontinentalen Championats stammt vom III. Internationalen Handball-Kongress 1934 in Stockholm, als Österreich einen entsprechenden Antrag stellte. Da seinerzeit nur ein Weltverband existierte, veranstaltete dieser am 5. und 6. Februar 1938 in der Berliner Deutschlandhalle indes "Weltmeisterschaften".
Das war einerseits ein Etikettenschwindel, denn es nahmen mit Deutschland, das erster Champion wurde, Österreich, Dänemark und Schweden nur Teams aus Europa teil.

WM 1938 im Zeichen des NS-Regimes

Andererseits stand das Turnier ganz im Zeichen des NS-Regimes, dessen Funktionäre bei dieser Gelegenheit sogar den Weltverband gleichschalteten. Die Idee der Nationalsozialisten, den Handball als Wehrsportersatz zu interpretieren und ihn für eigene Zwecke zu missbrauchen, war nach 1945 ein äußerst problematische Erbe für die gesamte Sportart.

Jenseits des schönen Scheins der NS-Diktatur - die Filme von Leni Riefenstahl zeigen ein heroisches Bild der Olympischen Spiele 1936 in Berlin, in den Amateurfilmen sieht es anders aus.

02.08.2016 | 44:43 min
Zwei Jahre zuvor hatte Deutschland bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin im Finale gegen Österreich mit 10:6 die Goldmedaille gewonnen.

Handball-WM 1958 in der DDR: Deutsch-deutsches Politikum

Nachdem die Feldhandball-WM 1955 in der Bundesrepublik Zuschauerrekorde verzeichnet hatte, entwickelte sich die WM 1958 in der DDR zu einem deutsch-deutschen Politikum.
Zuvor hatte der Deutsche Handball-Verband (DHV), bevor er 1956 vom Weltverband als zweiter Verband anerkannt wurde, seine Bewerbung erfolgreich durchgesetzt, indem er allen Nationen die Teilnahme garantierte - weshalb Nationen wie Luxemburg und Finnland in der DDR ihre WM-Premiere feierten. Mit Brasilien war erstmals ein Land dabei, das nicht aus Europa kam.

Gesamtdeutsches Team bei WM 1958

Deutschland, das aufgrund einer Order des Weltverbandes als gesamtdeutsches Team auflaufen musste (was dem Alleinvertretungsanspruch der BRD zuwiderlief), belegte Platz drei.
Die DDR investierte über eine halbe Million in die Hallen und baute so etwa die Hermann-Gieseler-Halle in Magdeburg zu einem Schmuckstück aus. Der Andrang der Fans war enorm: Allein für den Finaltag gab es 60.000 Ticketanfragen. Die Werner-Seelenbinder-Halle in Berlin fasste lediglich 6.400 Plätze.

WM 1961 in der Bundesrepublik ein Publikumserfolg

Ein Publikumserfolg war auch die WM 1961 in der Bundesrepublik. Die vielen kleinen Hallen - etwa in Wolfsburg, Bietigheim, St. Ingbert oder Homberg - waren zumeist ausverkauft, obwohl Deutschland dort nicht spielte.
Zum Endspiel in Dortmund, das Rumänien gegen Schweden gewann, strömten 13.000 Fans - der Beginn des Handball-Mythos Westfalenhalle. Der DHB machte 125.000 D-Mark Gewinn.

DDR Vize-Weltmeister 1974

Geld spielte keine Rolle bei der WM 1974 in der DDR, das der Gastgeber mit Silber abschloss und das für den DHB als Neunter mit einem Desaster endete.
Dieses Turnier war wie die WM 1982 in der BRD, das in 54 Hallen gespielt wurde und erneut mit dem Finale vor ausverkauftem Haus in Dortmund endete, ebenfalls ein großer Publikumserfolg.

Etwa 1.000 Strafwürfe parierte Wieland Schmidt in seiner Karriere. Den größten Erfolg feierte der Magdeburger Torwart 1980 mit dem Olympia-Sieg der DDR gegen die Sowjetunion.

23.12.2023 | 07:28 min

Handball hält in moderne Arenen Einzug

Eine Zäsur markierte die WM 2007 in Deutschland nicht nur, weil der Handball nun auch die neuen modernen Arenen füllte, so beim finalen Kapitel des "Wintermärchens" in der Köln-Arena (20.000 Fans) oder in Hamburg.
Die TV-Quoten - in der Spitze 21 Millionen deutsche Fans beim Finale - waren gleichzeitig so hoch, dass der Wert der TV-Rechte exponentiell wuchs.
Während 2007 gleichzeitig noch in kleinen Hallen in Wetzlar und Lemgo gespielt wurde, wuchs die WM danach zu einem Turnier der Superlative: Bei der WM 2019, die von Dänemark und Deutschland organisiert wurde, war die Münchener Olympiahalle (Kapazität: 12.000) der kleinste deutsche Standort - und ist es nun bei der Euro erneut.

EHF-Präsident erwartet mehr als eine Million Fans

Für die anstehende Ausgabe der Kontinentalmeisterschaft, die seit 1994 ausgetragen wird, erwartet daher der EHF-Präsident das erste Mal mehr als eine Million Anhänger in den Hallen.
Die Wertschätzung der deutschen Fans für hochklassigen Handball sei einzigartig, sagt Wiederer. "Ich bin sehr optimistisch, dass wir auch diesen Rekord knacken."
Erik Eggers ist Handballhistoriker und hat "Das Goldene Buch des deutschen Handballs" publiziert, in dem alle großen Turniere in Deutschland aufbereitet sind.

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