: "Nein hätte mit Karriereende gleichgestanden"

von Meret Geppert, Benno Krieger
09.06.2024 | 02:27 Uhr
Ex-Radprofi Jan Ullrich spricht über seine Dopingzeit und erklärt, warum es im Radsport nicht mehr möglich sei, flächendeckend zu dopen. Und: Sein Weg aus der Drogenabhängigkeit.

Jan Ullrich über Doping, seine Abstürze und sein Kampf zurück ins Leben.

08.06.2024 | 34:06 min
Eine Flut an Dopingfällen, wie es sie zu Jan Ullrichs aktiver Zeit gegeben hat, "kann sich der Radsport nicht nochmal leisten", so der Ex-Radprofi im "aktuellen sportstudio". Ullrich glaubt, dass die aktuelle Generation im Radsport "aus unseren Fehlern" gelernt hat.
Ich glaube, dass es heute nicht mehr möglich ist, flächendeckend zu dopen.
Jan Ullrich
Auf die Frage, ob heute alle Profis sauber sind, muss Ullrich schmunzeln. Der Radsport habe sich jedoch verändert. Der Weltverband UCI sei "größer geworden" und habe "deutlich mehr Finanzen zur Verfügung". Die schnellen Zeiten der Profis heute, erklärt sich Ullrich durch aerodynamischere Fahrräder, eine professionellere Ernährung und eine strengere Überwachung des Trainings.

Blutdoping bei der Tour de France

Als Ullrich 1996 bei seiner ersten Tour de France als Edelhelfer seines Kapitäns Bjarne Riis direkt zweiter in der Gesamtwertung wurde und ein Jahr später die Frankreich-Rundfahrt gewann, spielten Ernährung und strenges Intervalltraining bei Weitem nicht so eine große Rolle, wie heutzutage.
1997 gewinnt Jan Ullrich im gelben Trikot als erster Deutscher die Tour de France.Quelle: Imago
Vielen Profis wurde in den 90er und 2000er Jahren das Doping von Teamärzten oder sportlichen Leitern, wie im Fall von Ullrich, der fast während seiner gesamten Karriere gedopt hatte, nahegelegt. Zwischen 1996 und 2006 wurden nachträglich alle Tour de France-Sieger des Dopings überführt.
Der Ausweg, nein zu sagen, hätte wahrscheinlich mit dem Karriereende gleichgestanden.
Jan Ullrich
"Völlig naiv" sei er damals an seine ersten Profijahre rangegangen, sagt Jan Ullrich im aktuellen Sportstudio. Sein damaliges Team Telekom habe ihm "plausibel erklärt", dass flächendeckendes Doping zum Profiradsport dazugehöre. "Ich dachte dann, das gehört zum Profi dazu und hab das dann mitgemacht", erklärt Ullrich. Er habe in seiner Zeit niemanden erlebt, der Doping abgelehnt habe.

EPO als Dopingmittel im Radsport

Erythropoetin oder auch kurz EPO ist ein Hormon, welches die Sauerstofftransportkapazität im Blut fördert. Grundsätzlich wird EPO als gentechnisch hergestelltes Medikament bei Patienten mit chronischem Nierenversagen eingesetzt.

Besonders in ausdauernden Sportarten, wie dem Radsport, wird EPO in Form von Blutdoping zur Steigerung der Ausdauerleistungsfähigkeit genutzt. Beim Blutdoping werden die roten Blutkörperchen mit einem hohen EPO-Gehalt aus dem eigenen Blut isoliert und kurz vorm Wettkampf wieder verabreicht.

Blutdoping ist eine verbotene Methode und steht auf der Verbotsliste des World Anti Doping Agentur (WADA). Im Radsport war vor allem in der Zeit der 1990er Jahre bis in die 2000er Blutdoping eine gängige Methode, um mehr Sauerstoff in die Muskeln zu transportieren. Prominente Fälle von Blutdoping im Radsport sind Lance Armstrong, Bjarne Riis und Jan Ullrich.

Quelle: Bundesinstitut für Sportwissenschaft, ZDF

Suspendierung 2006: Schockmoment in Ullrichs Karriere

An dem Tag, als Ullrich kurz vor der Tour de France 2006 von seinem damaligen Team T-Mobile suspendiert wurde, verfiel er in eine "Schockstarre". Er glaubte, selbst "nichts Verbotenes" getan zu haben, da Doping zu dieser Zeit so stark verbreitet war. Ein Jahr nach seiner Suspendierung beendete er schließlich seine aktive Karriere als Radfahrer.

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Alkohol- und Drogensucht

Nach dem Karriereende geriet Jan Ullrich in eine schwere Drogensucht. Die Dopingvorwürfe haben ihn "mürbe gemacht" und "aufgefressen". Auch die Ehe mit seiner Frau Sarah scheiterte. Neben hartem Alkohol und Kokain soll er nach eigener Aussage in seiner schlimmsten Phase zwischen 700 und 900 Zigaretten am Tag geraucht haben.
Als Wendepunkt in seinem Leben beschreibt Ullrich den Weg in die Entzugsklinik. Mit Hilfe von Freunden und Familie hat er sich anschließend einen persönlichen Jakobsweg erstellt, auf dem er wichtige Orte seiner Karriere und seines Lebens nochmal besucht hat. Auf dieser Tour sei Ullrich überhaupt erst aus der Verdrängung des Dopings und der Negativ-Erlebnisse aufgewacht.
Ich muss an die Wurzel des Problems und nicht vier, fünf Jahre in die Entzugsklinik.
Jan Ullrich
Die Prime Video-Serie "Jan Ullrich - der Gejagte" ist ab dem 13. Juli in der ZDFMediathek zu sehen.Quelle: Imago

Ullrich: Dopinggeständnis "sagenhaft schwer"

Das Dopinggeständnis im November 2023 abzulegen, nach dem er 17 Jahre geschwiegen hat, beschreibt Ullrich als "sagenhaft schwer". Aber über ein halbes Jahr später "fühlt es sich wieder besser an".
Das System im Radsport von damals aufzudecken und gegen andere Doper auszusagen, lehnt Ullrich weiterhin ab, da er dies nicht als seine Aufgabe sieht.
Ich glaube nur, dass das System mit dem Weltverband verändert werden kann.
Jan Ullrich
Den Drogen fernzubleiben sei nach dem Geständnis "leicht". "Ich brauche diese Extreme nicht mehr", so Ullrich. Er habe ein gutes Umfeld und von allen Seiten Hilfe bekommen.
"Der Radsport ist mein Leben nach wie vor", sagt Ullrich. Nach der Veröffentlichung der Dokumentation und der Eröffnung seines eigenen Museums, erhält Ullrich nach eigener Aussage auch wieder Anfragen von Sponsoren.

In drei Wochen beginnt die Tour de France. Das deutsche Team Bora Hansgrohe hat dafür extra den slowenischen Spitzenfahrer Primoz Roglic verpflichtet.

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