: Island setzt auf die Wellbeing Economy

von Claire Roggan
26.03.2024 | 20:06 Uhr
Wachstum dominiert seit Jahrzehnten unser Denken und Handeln. Doch ist das in Zeiten von Umwelt- und Wirtschaftskrisen noch zeitgemäß? Island zeigt, wie es auch anders gehen kann.

Rezession ist schlecht, Wirtschaftswachstum gut. Sonst ist unser Lebensstandard in Gefahr, heißt es. Doch der Planet ist am Limit. Wie lassen sich Lebensstandard und Klima gleichzeitig retten?

25.03.2024 | 42:33 min
Die weltweite Wirtschaft durchlebt eine Phase der Unsicherheit: stagnierende Märkte, schrumpfendes Bruttoinlandsprodukt und düstere Prognosen für das laufende Jahr. Die Annahme, dass Wirtschaftswachstum gleichbedeutend mit Fortschritt und ein wachsendes Bruttoinlandsprodukt mit besseren Lebensbedingungen einhergehen, durchzieht die politischen Debatten und ökonomische Analysen. Doch geht es auch anderes? Ist es an der Zeit, unser Wachstumsimperativ über den Haufen zu werfen? Was wäre, hätte man andere Kennzahlen?
Island hat sich genau dieser Frage angenommen. Dort wurde nach der Finanzkrise die Wellbeing Economy, die Ökonomie des Wohlergehens, eingeführt. Wohlstand und Wachstum, an dem alle teilhaben können.

Islands Bankensektor brach in wenigen Tagen zusammen

Die Finanzkrise von 2008 traf Island früher und härter als viele andere europäische Länder. Islands Finanzindustrie, einst ein bedeutender Akteur, lag in Trümmern. Innerhalb weniger Tage brach der gesamte Bankensektor des Landes zusammen, zahlreiche Unternehmen gingen pleite, ausländisches Kapital zog sich zurück und die Landeswährung stürzte ab. Tausende Isländer verloren ihre Häuser und Arbeitsplätze.
Die Krise zwang Island zu einem Umdenken. Anders als in vielen anderen Ländern wurden die Banken verstaatlicht, ein umfassendes Programm zur Schuldenerlassung für die Bürger eingeführt und die Währung wurde um fast 60 Prozent abgewertet, um die Nachfrage nach lokalen Produkten auf dem internationalen Markt zu fördern.

Geht Wohlstand nur mit immer mehr Wachstum? Und definieren verschiedene Generationen den Begriff Wohlstand unterschiedlich? Soziologin Prof. Hilke Brockmann im Gespräch.

25.03.2024 | 06:29 min

Island hat Banker strafrechtlich verfolgt

Island war das einzige Land, das Banker strafrechtlich verfolgte. Hieran zeigte sich nicht nur, wer geschützt wurde, sondern auch wer die Kosten tragen musste. Es erwuchs die Notwendigkeit für einen neuen Ansatz in der Politik und Wirtschaftsführung.
"Wir in Island mussten unser Modell nach der Krise in vielerlei Hinsicht überdenken", sagt Thor Sigfusson, damals CEO einer großen Versicherungsfirma.
Es war an der Zeit, auch unser Tun und unsere Art der Arbeit zu hinterfragen.
Thor Sigfusson, war 2008 CEO einer großen Versicherungsfirma

Neue Maßstäbe berücksichtigen auch mentale Gesundheit

Island hat sich politisch neuen Erfolgsmaßstäben verpflichtet, die auch Faktoren wie mentale Gesundheit und den Verzicht auf CO2-Emissionen berücksichtigen. Gemessen wird nicht nur das, was ein Preisschild hat, sondern auch Wohlfahrt und Lebensqualität sowie negative Positionen wie Umweltzerstörung und Ressourcenverbrauch.

Seit sieben Jahren lebt Ann-Marie auf Island. Dort teilt die Auswanderin ihr Leben mit wenigen Menschen, vielen Schafen und einer unendlichen Aussicht, die sie nicht missen will.

19.10.2023 | 08:50 min
Kristín Vala Ragnarsdóttir hat diese Entwicklung maßgeblich vorangetrieben. Sie ist Professorin für Geowissenschaften an der University of Iceland und Gründungsmitglied der Wellbeing Economy Alliance, einem globalen Netzwerk aus Organisationen und Einzelpersonen, die sich für menschliches und ökologisches Wohlergehen einsetzen.
"Eine wachsende Wirtschaft bedeutet nicht zwangsläufig, dass sich Natur oder Mensch wohlfühlt", erklärt Ragnarsdóttir.
Wir streben eine Wirtschaft an, die sowohl für Menschen als auch den Planeten gut ist und nicht nur für die Buchhaltung.
Kristín Vala Ragnarsdóttir, Gründungsmitglied der Wellbeing Economy Alliance

Wirtschaft im Einklang mit Umwelt wichtig

Mit einer Arbeitsgruppe arbeitete Ragnarsdóttir im Auftrag der Regierung verschiedene Indikatoren für eine Ökonomie des Wohlergehens heraus. Diese orientieren sich nicht nur am wirtschaftlichen Wachstum, sondern auch an sozialen und ökologischen Faktoren wie Vertrauen in die Politik, psychische Gesundheit, Arbeitszufriedenheit oder Vereinbarkeit von Beruf und Familie. 2020 hat die Regierung diese 39 Indikatoren abgesegnet.
Für Ragnarsdóttir ist das ein großer und wichtiger Schritt in die richtige Richtung, wenn es um eine Wirtschaft im Einklang mit der Umwelt geht. "Wir müssen nun endlich in die Natur investieren. Wenn wir das nicht tun, haben wir bald weder eine funktionierende Ökonomie noch eine gute Lebensgrundlage."

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