: Wie Ostdeutschland die Wirtschaft anschiebt

von Anja Charlet
03.07.2024 | 15:45 Uhr
Wachstumsprognosen mehr als doppelt so hoch wie im Westen. Go East? Weltkonzerne wie Intel und TSMC zieht es dorthin. Eine Bestandsaufnahme zwischen Euphorie und Wirklichkeit.

Die Wirtschaft in Ostdeutschland erholt sich schneller von der Krise als der Westen. Grund dafür sind auch Großinvestitionen und die gestiegene Kaufkraft durch Lohnerhöhungen.

03.07.2024 | 01:43 min
Eine Aussage von Bundeswirtschaftsminister Habeck lässt aufhorchen: Gezogen vom Osten komme das Wirtschaftswachstum in Deutschland langsam aus der Krise. Ist das tatsächlich so oder will da jemand gute Stimmung vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg verbreiten?
Die Zahlen geben Habeck recht. Laut Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts soll die ostdeutsche Wirtschaft 2024 um 1,1 Prozent wachsen. Dagegen sind die Erwartungen bundesweit mit 0,4 Prozent deutlich gedämpfter.
In Sachsen allerdings drückten Industrie und Bau auf das Gesamtergebnis, so Joachim Ragwitz vom Ifo-Institut in Dresden.

Deutsche Wirtschaft Sorgenkind Europas

Die deutsche Wirtschaft hat sich zum Sorgenkind Europas entwickelt. Vergangenes Jahr war sie rezessiv, schrumpfte bundesweit um 0,3 Prozent. Im Osten sei sie um 0,7 Prozent gewachsen, so der Konjunkturexperte vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle, Oliver Holtemöller.

Ob Stadt oder Land, ob Ost oder West - die Unterschiede zwischen den Regionen werden kleiner. „Beim Wirtschaftswachstum haben wir die Delle hinter uns und sind in Ostdeutschland Vorreiter“, so der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD).

03.07.2024 | 06:16 min
In den vergangenen zwei Jahren habe die ostdeutsche Wirtschaft tatsächlich besser dagestanden als die im Westen. Gründe sind, dass der Osten weniger stark von Exporten ins Ausland abhängig ist. Rentenerhöhungen und Mindestlohn sorgten für Kaufkraft.

Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg führen bei Wachstumsraten

Das Ifo-Institut Dresden verweist auf Großinvestitionen, die bereits in die Wachstumszahlen eingeflossen seien, wie etwa die Produktion Tesla im brandenburgischen Grünheide. In Mecklenburg-Vorpommern habe sich der Ausbau des LNG-Terminals bemerkbar gemacht. Zudem hätten Werften von Rüstungsaufträgen profitiert.
Laut statistischem Bundesamt führen Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, was die Wachstumsraten betrifft. Die wirtschaftlich stärksten Länder Bayern und Baden-Württemberg konnten auf ihrem hohen Niveau nichts dazugewinnen, im Gegenteil. Sie vor allem sind die Zugpferde im Westen, wo es auch strukturschwächere Regionen gibt.

Der Osten als Wirtschaftsstandort habe "sehr stark investiert in Forschung und Entwicklung" - das trage langsam Früchte, sagte Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm im Oktober.

03.10.2023 | 05:28 min
Das Silicon Saxony in Dresden ist Europas größter Mikroelektronik-Standort. Hier will sich der Chiphersteller TSMC aus Taiwan ansiedeln. Auch weil es eine entsprechende Forschungslandschaft in Mitteldeutschland gibt. Hierfür stellt der Bund fünf Milliarden Euro an Subventionen bereit. Zehn Milliarden sind es für die Pläne von Intel in Magdeburg. Investitionen, die sich erst noch auszahlen müssen.

Konjunkturforscher: Im Osten seit Mauerfall viel gelungen

Und wie ist eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle einzuordnen, die besagt, dass der Osten, was die Produktivität angeht, bei 80 Prozent des Westniveaus stagniert?
Hier komme es auf die Perspektive der Betrachtung an, erklärt Konjunkturforscher Holtemöller. Er bilanziert 35 Jahre nach dem Mauerfall eine Erfolgsgeschichte.

In fast jedem ostdeutschen Wahlkreis wurde die AfD stärkste Kraft. Warum? Wir haben uns in Sachsen umgehört.

14.06.2024 | 08:04 min
Wenn man bedenke, dass der Osten bei einem Drittel der Produktivität des Westens gestartet sei und zum Vergleich die Entwicklung anderer früherer Ostblockstaaten heranziehe, sei da viel gelungen. Zwar fehlten die zahlreichen Großkonzerne wie im Westen. Dafür gebe es einen starken, krisenresistenten Mittelstand.

Langfristige Probleme im Osten bleiben

Ob das aber ausreicht, um die gesamte Wirtschaft aus der Krise zu ziehen, scheint eher fraglich. Bei der aktuellen Konjunktur gehe es mehr um einzelne, kleinere Regionen. Bei einer langfristigen Perspektive gibt es Probleme, die nicht wegzudiskutieren sind. Der Arbeitsmarkt in Ostdeutschland kann laut Ifo nur mit Zuwächsen von 0,2 Prozent rechnen.
Es fehlen Arbeitskräfte, die Bevölkerung ist überaltert. Viele Junge zieht es vom Land in die Städte, vor Jahren sind Generationen in den Westen abgewandert. Auch ausländische Fachkräfte zieht es immer noch eher dorthin. Auch, weil die Gesellschaft im Osten besonders polarisiert ist, was Zuwanderung betrifft.
Das Problem des Fachkräftemangels könnte sich noch verschärfen, so die Experten, je nachdem, wie stark die AfD bei den Landtagswahlen im Herbst in Sachsen, Thüringen und Brandenburg abschneidet.

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