: Tariferhöhungen: Wie viel ist zu viel?

von Matthias Nick
14.03.2023 | 20:09 Uhr
Gewinne für die Unternehmen, Inflation für die Beschäftigten: In diesem Spannungsfeld finden derzeit Tarifgespräche in mehreren Branchen statt. Was die Positionen bedeuten.

Streiks vom Bodenpersonal, im Krankenhaus: Gewerkschaften haben Deutschland fest im Griff - und fordern teilweise bis zu 15 Prozent mehr Lohn. Wie sich die Positionen begründen.

13.03.2023 | 04:59 min
2022 - es war ein gutes Jahr für die Unternehmen. So viel ist sicher. Die Unternehmensgewinne stiegen so stark wie seit Jahren nicht mehr, trotz Energiekrise, trotz Lieferproblemen. Das Baugewerbe oder auch der Handel haben beispielsweise ihre Preise stärker angehoben, als es durch die Kostensteigerungen bei den Vorprodukten oder Rohstoffen nötig gewesen wäre. Sie haben also ihre Marge zulasten der Verbraucher*innen vergrößert.
2023 - für Arbeitnehmer und Verbraucher sieht es zurzeit aufgrund der hohen Inflation ganz anders aus.
Wir haben im vergangenen Jahr eine dramatische Inflation gesehen von fast acht Prozent und rechnen auch in diesem Jahr noch mal mit einer Inflation von fünf Prozent.
Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Untere Einkommensgruppen trifft Inflation besonders

Die Löhne bei den Beschäftigten seien deutlich weniger stark gestiegen, erläutert DIW-Chef Marcel Fratzscher. Gerade untere Einkommensgruppen trifft die Inflation besonders hart: Sie müssen einen Großteil ihres Einkommens für Energie und Lebensmittel aufbringen - und deren Preise stiegen sogar um bis zu 20 Prozent.
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Als Folge fordern die Gewerkschaften auf breiter Front deutliche Lohnerhöhungen. Und Deutschland befindet sich im Streik-Frühling, weil die Gewerkschaften mit Warnstreiks ihre Forderungen unterstreichen: Das Bodenpersonal an Flughäfen ist immer mal wieder im Ausstand, ebenso Erzieherinnen und Erzieher, Busfahrerinnen und Busfahrer oder die Müllabfuhr kommt nicht.
Doch Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) warnt vor überzogenen Forderungen:
Wer sich gegenseitig überfordert, hat am Ende gar nichts gewonnen.
Michael Hüther, Institut der deutschen Wirtschaft
Insofern seien immer vernünftige, länger laufende Abschlüsse, die auch die von der Regierung zur Verfügung gestellte Inflationsausgleichsprämie mit einbeziehen, eine gute Antwort, so Hüther.

Lohn-Preis-Spirale oder Gewinn-Preis-Spirale?

Treiben höhere Löhne, also mehr Kaufkraft, die Inflation weiter an? Oder entsteht die hohe Inflation durch die Industrie, die immer höhere Preise am Markt durchsetzt? Eine Lohn-Preis-Spirale sehen beide Wirtschaftsexperten, Fratzscher und Hüther, zurzeit nicht.
Fratzscher spricht eher von einer Gewinn-Preis-Spirale:
Viele Unternehmen haben diese Krise genutzt, um ihre Margen, ihre Gewinnmargen nach oben zu fahren in der Erwartung, das wird schon nicht auffallen.
Marcel Fratzscher, DIW
Auch Hüther vom IW Köln sieht - zumindest in einigen Branchen - eine Gewinn-Preis-Spirale.

Die Reallöhne sind in den letzten drei Jahren gesunken, die hohen Lohnforderungen in dieser Tarifrunde deshalb allzu verständlich. Doch noch bevor verhandelt wird, streiken Busfahrer, Pflegepersonal und Müllabfuhr.

04.03.2023 | 04:43 min

Gewerkschaften wollen sinkende Kaufkraft ausgleichen

Die Gewerkschaftsforderung ist klar, dass mit neuen Tarifabschlüssen die sinkende Kaufkraft ausgeglichen werden soll. Doch wie viel Tariferhöhung ist zuviel? Kompensieren hohe Tarifabschlüsse nur die Preissteigerungen oder treibt eine Kaufkraftsteigerung bei den Verbrauchern die Inflation weiter an?
An dieser Stelle geht die Meinung der Wirtschaftexperten auseinander. "Die Bäckerei um die Ecke, die kann keine zehn Prozent mehr Lohn zahlen", erklärt Marcel Fratzscher. "Aber es gibt sehr viele Unternehmen, große Unternehmen, aber auch im öffentlichen Dienst, die durchaus sehr viel höhere Löhne zahlen können." Michael Hüther hingegen warnt: "Maßstab für Tarifabschlüsse ist die Produktivitätsentwicklung in einem Unternehmen." Und die sei manchmal unterschiedlich zur Gewinnentwicklung.

Im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen haben die Gewerkschaften zu Streiks aufgerufen. "Ich hoffe, dass es in einer dritten Runde zu einem Ergebnis kommt", so Verdi-Chef Frank Werneke.

28.02.2023 | 04:12 min

Gewinne in der Vergangenheit, Tarifabschlüsse für die Zukunft

Gewinne beziehen sich auf die Vergangenheit und garantierten laut Hüther nicht, dass auch künftig höhere Löhne gezahlt werden könnten:
Die Tarifabschlüsse gehen in die Zukunft, in die nächsten 24 Monate. Dass die Produktivitätsgewinne so stark sind wie pandemiebedingt oder im Nachlauf der Pandemie, ist eher unwahrscheinlich.
Michael Hüther, IW Köln
Die Dinge normalisierten sich und auch das müsse mit bedacht werden, wenn man über Tarifabschlüsse in die Zukunft hinein verhandelt, so Hüther.

Höherer Lohn als Anreiz für Fachkräfte

Fratzscher wiederum weist darauf hin, dass es ja nicht Aufgabe der Beschäftigten sei "zu sagen, wir verzichten". Wenn beispielsweise der Staat im vergangenen Jahr über die Mehrwertsteuer kräftig an der Inflation mit verdiente, müsse im öffentlichen Dienst jetzt nicht Rücksicht auf klamme Kommunen genommen werden. Da sieht Fratzscher die Bundesländer in der Pflicht.
Ein Nebeneffekt höherer Löhne könnte den Arbeitgebern gefallen: Sie können Anreiz für dringend benötigte Fachkräfte sein. Und einig sind sich die Experten auch im Ausblick: Es wird noch ein heißer Streik-Frühling. Auch wenn es bei der Deutschen Post ein unbefristeter Streik abgewendet werden konnte.
Matthias Nick ist Redakteur beim Wirtschaftsmagazin WISO.

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