Kolumne

: Wer rettet die Menschenrechte?

von Manfred Nowak
09.06.2024 | 09:21 Uhr
Spannungen und bewaffnete Konflikte nehmen weltweit zu, die Menschenrechte werden dabei meist missachtet. Doch gerade jetzt müssen sie gestärkt werden.
Quelle: ZDF
Gesellschaften polarisieren sich, Diktaturen und bewaffnete Konflikte nehmen zu und auch der Klimawandel wirkt sich auf die Menschenrechtssituation aus, während gleichzeitig Migrationsbewegungen und das neoliberale Wirtschaftssystem die Situation verschärfen. Die globalen Menschenrechte stehen gegenwärtig also vor enormen Herausforderungen.

Terra-X-Kolumne auf ZDFheute

In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.
Mit Ende des Kalten Krieges kam bei Expertinnen und Experten und auch in vielen Staaten die Hoffnung auf, dass die Prinzipien der Vereinten Nationen von 1945 nun umgesetzt werden könnten. Die Weltmenschenrechtskonferenz 1993 in Wien hatte dann genau dies zum Ziel, eine neue Weltordnung auf Basis von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu schaffen. Eine großartige Vision, doch die Realität entwickelte sich in eine andere Richtung.

Wirtschaftliche Ungleichheit untergräbt Solidarität

1989 markierte nämlich nicht nur das Ende des Kalten Krieges, sondern auch den Beginn des Internetzeitalters und eines neoliberalen Wirtschaftssystems. Deregulierungen, Privatisierungen und Kürzungen der Staatsausgaben, die der Washington Consensus mit sich brachte, ebneten dafür den Weg. Diese Entwicklungen ließen die wirtschaftliche Ungleichheit geradezu explodieren.
In Europa hatte die soziale Marktwirtschaft bis in die 1980er Jahre hinein noch den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert. Mit dem Aufstieg des Neoliberalismus stieg die Kluft zwischen Arm und Reich jedoch drastisch, was den demokratischen Konsens und die Solidarität zusehends schwächte.

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Menschenrechte unter globalem Druck

Die scheinbar stets enge Verknüpfung des Kapitalismus mit der Idee der Menschenrechte und sein "Sieg" über den Kommunismus erwiesen sich als problematisch. Viele Länder, vor allem im globalen Süden, empfanden diese Verbindung als real und erzwungen und lehnten sie ab.
Obwohl das Selbstbestimmungsrecht der Völker zum Ende des Kolonialismus geführt hatte, wurden Menschenrechte zunehmend als westliches Konzept wahrgenommen. Dennoch haben selbst Staaten mit schlechter Menschenrechtslage wesentliche UNO-Konventionen ratifiziert und so die universelle Gültigkeit der Menschenrechte bestätigt.
Trotz der Differenzen des Ost-West-Konflikts während der rund fünf Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg ist es immer wieder gelungen, internationale Menschenrechts-Konventionen zu verabschieden. Die 90er Jahre weckten dann geradezu euphorische Hoffnungen auf eine bessere Umsetzung dieser Rechte weltweit: Institutionen wie das Hochkommissariat für Menschenrechte und der Internationale Strafgerichtshof entstanden. Doch nach den Anschlägen des 11. September wurden Sicherheit und Terrorismusbekämpfung zu den wichtigsten politischen Zielen des Westens, oft zum Nachteil der Menschenrechte.

Krieg in Israel und Gaza und die Chance der UNO

Seit den 1990er Jahren werden Menschenrechte stärker durch die UNO geschützt. Das Konzept der Responsibility to Protect fordert, dass die internationale Gemeinschaft eingreifen muss, wenn Staaten ihre Bevölkerung nicht selbst schützen können.
Der derzeitige Krieg Israels gegen die Hamas zeigt die Chancen und zugleich die Herausforderungen der UNO. Sie könnte aktiv werden und helfen, Lösungen zu finden - wenn die USA ihr Vetorecht aufgeben. Eine solche Friedenslösung könnte die Rolle der UNO beispielhaft stärken, auch für die Lösung zukünftiger Konflikte im Nahen Osten.

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Menschenrechte als universelles Wertesystem

Der Westen betont oft die individuellen Freiheitsrechte, während andere Regionen, wie beispielsweise Kuba oder China, soziale und wirtschaftliche Rechte hervorheben. Die Menschenrechte umfassen jedoch viele Dimensionen wie bürgerliche und politische Rechte, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie kollektive Rechte. Möglichst alle sollten gleichermaßen Beachtung finden.
Denn die Menschenrechte sind das einzige universell anerkannte Wertesystem. Trotz vieler Verstöße und Herausforderungen bleibt das Konzept produktiv und kraftvoll. Darum sollte die internationale Gemeinschaft dafür kämpfen, diese Rechte auch in Zukunft weltweit zu schützen und zu fördern.

Sind die Menschenrechte in demokratischen Gesellschaften und weltweit auf dem Rückzug? Darüber spricht Richard David Precht mit dem Menschenrechtsexperten Manfred Nowak.

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Manfred Nowak ...

... ist seit 2016 Generalsekretär des European Inter-University Centre for Human Rights and Democratisation in Venedig und Mitglied in zahlreichen Kommissionen und Institutionen, die sich für die Einhaltung von Menschenrechten einsetzen.

1992 gründete er zusammen mit Hannes Tretter das Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte. Von 1993 bis 2001 gehörte er einer Expertengruppe der Vereinten Nationen an, 1995 wurde er Mitglied der Internationalen Juristenkommission und saß im Komitee des Internationalen Menschenrechtstribunals gegen die Republik Österreich wegen der Verfolgung sexueller Minderheiten. 2011 bis 2016 hatte er darüber hinaus eine Professur für Internationales Recht an der Uni Wien inne.

Nowak erhielt unter anderem den Bruno-Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte, wurde mit der Otto-Hahn-Friedensmedaille ausgezeichnet und mit dem deutschen Bundesverdienstkreuz am Bande. Er publizierte mehr als 500 Schriften zum Thema Grund- und Menschenrechte.

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