: Die Katastrophe nach der Katastrophe

von Marcel Burkhardt
18.02.2023 | 16:23 Uhr
Die Vereinten Nationen sprechen von einer "Krise kolossalen Ausmaßes" und von eigenem Versagen im Erdbebengebiet Nordwestsyriens. Die Menschen dort sind traumatisiert und wütend.
Die Opfer der Erdbeben in Nordwestsyrien erleben derzeit eine Katastrophe nach der Katastrophe. So beschreibt es die Augenzeugin Sarah Kassim im Gespräch mit ZDFheute:
Mit Hilfe von außen hätten viel mehr Menschen lebend aus den Trümmern geborgen werden können, aber es kam keine Hilfe – das erschüttert die Menschen hier zutiefst. Sie sind deprimiert, viele auch wütend.
Sarah Kassim, syrische Journalistin

UN-Hilfskoordinator räumt Versagen ein

Der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen (UN), Martin Griffith, hatte eine Woche nach dem Beben zerknirscht via Twitter eingeräumt: "Wir haben die Menschen im Nordwesten Syriens bisher im Stich gelassen. Sie fühlen sich zu Recht im Stich gelassen. Auf der Suche nach internationaler Hilfe, die nicht angekommen ist."
Viele Millionen Menschen in der Türkei und in Syrien haben bei den Erdbeben der letzten Woche ihr Dach über dem Kopf verloren.

15.02.2023 | 01:51 min
Die Folge: Fassungslosigkeit auf breiter Front. Der syrische Zivilhelfer Abdulrahman Almawwas etwa reagierte auf Griffiths Botschaft mit den Worten: "Es ist eure permanente Entscheidung, mit der Regierung zu stehen, nicht mit den Menschen."
Demonstranten im Erdbebengebiet griffen die UN verbal hart an: "Die Vereinten Nationen sind Partner von Baschar al-Assad und töten Syrer."

Geflüchtete in Syrien: Ein Leben im Elend

Das Gebiet um Idlib im Nordwesten Syriens wird nicht von der syrischen Regierung kontrolliert. Dort leben 4,6 Millionen Menschen; mehr als 60 Prozent von ihnen sind Binnenflüchtlinge, die im syrischen Bürgerkrieg ihre Heimat verloren haben.
Karte: Syrien - Idlib - DamaskusQuelle: ZDF
Nach UN-Angaben waren bereits vor dem Beben 90 Prozent der Einwohner Nordwestsyriens auf humanitäre Hilfe angewiesen. Durch zahlreiche Bombardements des syrischen Militärs und seiner Verbündeten über die vergangenen Jahre hinweg ist ein Großteil der medizinischen Infrastruktur vernichtet worden.
Im Nordwesten Syriens ist die Lage dramatisch, die Überlebenden schwer traumatisiert:

UN: Mehr Engagement für syrische Erdbebenopfer

"Uns fehlt es hier an allem, an Ausrüstung, an Medikamenten", berichtet der Sanitäter Bilal Makhzom. "Es ist zum Verzweifeln."
Allein in der Region Idlib sehen die UN drei Millionen Menschen in größter Not. Viele von ihnen seien obdachlos. "Von einer Krise kolossalen Ausmaßes" spricht UN-Hilfskoordinator Griffith und sagt den Menschen in Nordwestsyrien nun einen schnellen Ausbau der Hilfe zu.
Konkret geht es um:
  • das Bereitstellen von Notunterkünften, Nahrung, Trinkwasser, Medikamenten und psychosozialer Hilfe
  • den Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur
  • die Unterstützung des Lebensunterhalts durch Beschäftigung etwa beim Beseitigen von Trümmern
Obwohl die Zahl der Hilfstransporte nach Nordwestsyrien in den vergangenen Tagen kontinuierlich zugenommen habe, berichteten die UN auch von "Herausforderungen" durch "Zugangsbeschränkungen" – und dies nicht nur wegen beschädigter Straßen.
Täglich werden immer noch Leichen unter den Trümmern in Syrien und in der Türkei geborgen. Die UN rechnen mit mehr als 50.000 Toten:

12.02.2023

Hilfe kommt noch immer nicht an

In den vergangenen Jahren hat das Regime von Syriens Diktator Baschar al-Assad humanitäre Hilfe im Land immer wieder torpediert.
Nun allerdings hat Assad zwei weitere Grenzübergänge zur Türkei freigegeben. Für drei Monate sollen Hilfsgüter in Gebiete passieren dürfen, über die Assad keine Kontrolle hat.
Die Menschen in der Gegend um Idlib reagieren zurückhaltend auf diese Nachricht. "Noch immer kommt kaum Hilfe bei uns an", sagt Sanitäter Makhzom. Wie viele andere befürchtet auch er, dass Assad den spärlichen Hilfsfluss jederzeit wieder stoppen kann.
Um dringend benötigte Hilfsgüter besser ins Land bringen zu können verkündet Machthaber Assad die Öffnung von weiteren Grenzübergängen.

Hilfe für Obdachlose und Waisenkinder

Mit einem Team kümmert sich Makhzom in diesen Tagen vor allem um obdachlose Familien und Kinder, die ihre Eltern durch das Beben verloren haben. "Wir versorgen sie mit dem Nötigsten, mit einer warmen Mahlzeit am Tag, mit Decken und Zelten, wenn vorhanden."
Wir sind von früh bis spät unterwegs und erreichen doch nur einen Bruchteil der Leute. Ich darf gar nicht darüber nachdenken, sonst werde ich verrückt.
Bilal Makhzom, Sanitäter

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