: Covid in China: "Gibt keine Totenanzüge mehr"

von Elisabeth Schmidt, Peking
29.01.2023 | 14:44 Uhr
Viele hatten gewarnt, das chinesische Neujahr könnte zum Superspreader-Event werden. Abseits der großen Städte findet unser Kamerateam zahlreiche neue Gräber.
Wir sind gut 100 Kilometer südlich von Peking unterwegs, in der Provinz Hebei. Eine ländliche Region, wenige Meter nach der Autobahn beginnen die Felder. Süßkartoffeln, Mais und anderes Gemüse werden hier angebaut. Hirten hüten Ziegen und Schafe. Mitten auf den Feldern entdecken wir zahlreiche Hügel mit frischer Erde.
Eine Gruppe Landarbeiter bestätigt uns, dass es sich um neue Gräber handelt. Wir fragen, ob die Menschen an Corona gestorben sind. "Ja", hören wir, "sie sind an Covid gestorben." Die Arbeiter erzählen, dass in den vergangenen Wochen deutlich mehr Leute in der Region gestorben seien als sonst. "Es gab auch Pekinger, die ihre Toten hierhergebracht haben", erzählt ein Mann.
Sie haben ihre Verstorbenen zum Einäschern gebracht, weil sie in den Krematorien in Peking keinen Termin mehr bekommen haben.
Unweit davon finden wir mehrere Blumen-Baldachine. Traditionell werden sie über Särge gehalten, wenn die Toten zu Grabe getragen werden. Und in der Nähe weitere Gräber, die mit Blumen geschmückt sind.
Ein traditioneller Blumen-Baldachin über einem Grab.Quelle: ZDF

Läden für Grabbeigaben ausverkauft

Wir fahren ein paar Kilometer weiter in das Dorf Mibeizhuang. Hier sind sie auf Totenkult spezialisiert. Auf der Hauptstraße reiht sich ein Laden an den anderen, sie alle verkaufen Grabbeigaben: Papier-Geld, Papier-Puppen, ein Fahrrad, ein E-Bike, sogar Waschpulver der Marke "Himmlisch" gibt es hier zu erwerben - alles, was den Liebsten im Jenseits Glück und Wohlstand bringen soll.
In zwei Geschäften werden wir vertrieben: "Ihr dürft hier nicht drehen", heißt es schroff. Offenbar ist die Ankunft unseres Fernsehteams nicht unbemerkt geblieben. Im dritten Geschäft bekommen wir Auskunft. Inhaber Herr Chen ist auf Kleidung für Verstorbene spezialisiert. "Schauen Sie sich unsere Regale an", sagt er, "hier ist fast nichts mehr da. Auch in unseren beiden Lagern gibt es keine Totenanzüge mehr."

Erstmals seit Pandemiebeginn konnten die Menschen in China wieder Familie und Freunde zum chinesischen Neujahresfest besuchen - mit gesundheitlichen Folgen.

23.01.2023 | 02:32 min

"Verkaufen drei- bis fünfmal so viel Grabgestecke wie sonst"

Er habe nicht gedacht, dass sich das Virus so schnell verbreiten würde. Viele, die in der Region gestorben sind, seien 90 Jahre und älter gewesen. Auch Herr Chen berichtet, dass zahlreiche Leute aus Peking nach Mibeizhuang kamen, um ihre Toten verbrennen zu lassen. Herr Chen teilt uns mit:
Nachdem sie das hier eine Woche lang gemacht haben, wollten sie die Menschen aus Peking nicht mehr einäschern, weil es zu viele Menschen waren.
Verkäufer für Totenbekleidung
Ein paar Meter weiter öffnet Frau Pei gerade die Tür zu ihrem Blumengeschäft. Unzählige Gestecke in allen möglichen Kunstblumenfarben bietet sie an. "Wir verkaufen sie im ganzen Land", erzählt sie stolz. Auf unsere Frage, wie viel sie zurzeit verkaufe, sagt sie: "drei- bis fünfmal so viel wie sonst".

Chinesisches Neujahrsfest als Pandemie-Treiber

Die chinesische Gesundheitskommission gibt die Zahl der Covid-Toten mit knapp 82.000 an. Die Weltgesundheitsorganisation hält diese Zahl für viel zu niedrig. Der in London ansässige Datenverarbeiter Airfinity geht inzwischen von mindestens einer Million Covid-Toten in China aus. Die Leiterin der Abteilung "Impfstoffe und Epidemiologie" bei Airfinity, Louise Blair, erläutert:
Wir sind bislang von zwei Covid-Wellen in China ausgegangen, jetzt aber nur noch von einer großen.
Louise Blair
Begründung: Das Virus habe sich durch die vielen Reisen rund um die chinesischen Neujahrsfeierlichkeiten schneller als erwartet in die ländlichen Gebiete ausgebreitet. "Das bedeutet gerade eine große Belastung für das Gesundheitssystem auf dem Land. Denn das hat nicht so große Kapazitäten", sagt Blair. Der Höhepunkt der Infektionen in China sei jetzt aber erreicht, die Zahlen gingen nun wieder langsam nach unten.

Das Problem der offiziellen Corona-Statistik

Chinas offizielle Covid-Statistik zählt nur Menschen, die in einer Klinik in Zusammenhang mit dem Virus gestorben sind. Diese Patient*innen müssen außerdem entweder eine Lungenentzündung oder eine andere Atemwegserkrankung aufweisen. Bei unserem Dreh in der Provinz Hebei bestätigen uns die Menschen aber, dass es auf dem Land nicht immer einfach ist, ein Krankenhaus aufzusuchen. Die nächste medizinische Einrichtung liegt teils bis zu 100 Kilometer und mehr entfernt.
Viele Menschen sterben in ihren Häusern. Oft steht nicht einmal ein Arzt zur Verfügung, der ihre Todesursache feststellen kann. Das Problem fehlender Angaben in Chinas Covid-Statistik liegt also weit tiefer, nämlich in der schlechten Gesundheitsversorgung auf dem Land. Wie viele Menschen in der Volksrepublik in Zusammenhang mit Covid-19 gestorben sind und noch sterben werden, wird wohl nie bekannt werden.
Elisabeth Schmidt ist Ostasien-Korrespondentin und arbeitet im ZDF-Studio Peking.

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