: Auf welche Corona-Daten wir schauen müssen

von Robert Meyer, Sebastian Specht
20.06.2022 | 08:31 Uhr
Knappe Tests, hohe Dunkelziffer, zahlreiche Zufallsbefunde: Viele Corona-Daten sind nicht mehr so aussagekräftig wie früher. Auf welche Zahlen müssen wir jetzt schauen?
Die Inzidenz ist nicht mehr so aussagekräftig wie früher. Symbolbild.Quelle: iStock.com/Radovanovic96, ZDF
Die Corona-Infektionszahlen sinken wieder, es gelten nur noch wenige Regeln. Die Pandemie ist aber noch nicht vorbei. Aber: Die Lage hat sich geändert.
Die große Mehrheit der Bevölkerung ist geimpft, das Coronavirus führt nicht mehr zu so vielen schweren Verläufen, Inzidenzen über 1.000 sind normal geworden. Viele Zahlen haben nicht mehr dieselbe Aussage wie noch vor ein oder zwei Jahren.

Was die Inzidenz nicht mehr zeigt

An der Inzidenz orientieren sich bis heute viele Menschen. Sie ist aber nur noch eine "grobe Messlatte". So drückt es der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie aus. Die Zahl hat mittlerweile viele Unsicherheiten, u.a.:
  • Nicht alle Menschen machen einen PCR-Test, wenn sie einen positiven Schnelltest oder Symptome haben.
  • Es hat schon immer ein paar Tage gedauert, bis eine Meldung beim RKI angekommen ist. Manche Behörden berichten jetzt nicht mal mehr täglich. Sonntags gibt es keine deutschlandweiten Zahlen mehr vom RKI.
  • Die Teststrategie hat sich geändert.
Deshalb geht die Virologin Sandra Ciesek vom Uniklinikum Frankfurt auch von einer aktuell hohen Dunkelziffer an Fällen aus.

Inzidenz ist nicht nutzlos geworden

Diese methodischen Probleme machen die Daten aber nicht nutzlos:
Um eine sehr grobe Vorstellung über die Dynamik zu bekommen, sehe ich aber weiterhin eine wichtige Bedeutung für die Inzidenz.
Dr. Sandra Ciesek, Virologin am Uniklinikum Frankfurt
Allerdings ergänzt Sandra Ciesek: "Täglich auf diesen Wert zu schauen, macht, gerade über die Feiertage, wenig Sinn. Aber über einen längeren Zeitraum blickend gibt sie dennoch wichtige Informationen."
Sie sei das "schnellste Erkennungsmaß, das wir haben", so Hajo Zeeb. Indikatoren wie Krankenhauseinweisungen, die Lage auf den Intensivstationen oder die Sterblichkeit hängen dem Infektionsgeschehen immer um ein paar Wochen hinterher.

Hospitalisierung mit vielen Problemen

Die Hospitalisierungsrate war vor allem 2021 ein wichtiger Leitwert. Sie hatte aber schon immer große Schwächen. Der lange Meldeweg ist bei diesem Wert ein noch viel größeres Problem als bei der Inzidenz. Teilweise dauert es Wochen, bis Krankenhäuser die Einweisungen vollständig melden. Die Folge: Die tagesaktuell gemeldete Hospitalisierungsinzidenz fällt viel zu niedrig aus.
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Und wegen Omikron ist ein weiteres Problem dazugekommen: Der Wert sagt nichts darüber aus, ob eine Person wegen oder mit Omikron ins Krankenhaus gekommen ist. Für das Krankenhaus ist der Aufwand weiterhin groß - immerhin müssen infizierte Patient*innen trotzdem isoliert werden. Dadurch wird es aber noch schwieriger, mithilfe der Hospitalisierung die Pandemielage einschätzen zu können.

Auf welche Corona-Daten sollen wir jetzt schauen?

Zwar haben all diese Zahlen einzeln betrachtet Schwächen. Aber: "Sie haben halt auch gewisse, ganz viele Vorteile, wenn man sie im Zusammenschluss aller Größen betrachtet", so der Modellierer Dirk Brockmann von der HU Berlin.
Man muss diesen ganzen Blumenstrauß von Indikatoren anschauen, um das richtige Bild zu haben.
Dirk Brockmann, Modellierer HU Berlin
Neben der Inzidenz und der Hospitalisierung gehören laut Expert*innen der Anteil der positiven Tests oder die Belegung der Intensivbetten zu diesem Blumenstrauß dazu.
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Corona-Varianten müssen weiter beobachtet werden

Eine weitere Zahl dürfe man laut Ciesek und Zeeb auch nicht aus den Augen verlieren: der Anteil der Virusvarianten. Die Alpha-, Beta-, Gamma-, Delta- und Omikron-Varianten haben gezeigt, dass sich das Virus schnell verändern kann. Es ist also möglich, dass wir es irgendwann wieder mit neuen Corona-Varianten zu tun bekommen, die schwerere Verläufe hervorrufen oder bei denen die Impfung nicht mehr so gut wirkt.
Um neue Varianten früh zu erkennen, ist es wichtig, dass weiterhin ein ausreichend großer Anteil der Proben sequenziert wird und diese Daten sachkundig ausgewertet werden.
Dr. Sandra Ciesek, Virologin am Uniklinikum Frankfurt
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Welche Daten brauchen wir?

Besonders hilfreich wäre laut Zeeb und Ciesek eigentlich eine regelmäßige, repräsentative Studie. Ähnlich wie bei der React-1-Studie in Großbritannien, so Sandra Ciesek. "Bei dieser Studie werden jeden Monat über 150.000 zufällig ausgewählte Personen in England eingeladen, sich auf das Virus per PCR testen zu lassen. So erhält man Daten, wie viele Menschen zu diesem Zeitpunkt infiziert sind und kann lernen, wie sich das Virus in der Bevölkerung verteilt."
Und es fehlen andere Daten. Ciesek weist auch noch auf ein ganz anderes Problem hin: "In vielerlei Hinsicht ist aber eines der Hauptprobleme in unserem Gesundheitssystem die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal. Diesen Aspekt bilden aber weder die Hospitalisierungsrate noch die Inzidenzwerte ab."

Prof. Dr. Sandra Ciesek …

Quelle: Universitätsklinikum Frankfurt
… ist Direktorin des Instituts für medizinische Virologie am Uniklinikum Frankfurt. Gemeinsam mit Christian Drosten war sie bis vor einigen Wochen regelmäßige Gesprächspartnerin im Corona-Podcast des NDR.

Prof. Dr. Dirk Brockmann …

Quelle: ZDF
... ist Physiker und Professor an den Instituten für Biologie und Physik der HU Berlin. Während der Pandemie hat er unter anderem für das Robert-Koch-Institut Corona-Modellierungen erstellt und das Mobilitätsverhalten der Deutschen erforscht.

Prof. Dr. Hajo Zeeb …

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