FAQ

: Warum kann man Erdbeben nicht vorhersagen?

von Tim-Julian Schneider
09.02.2023 | 16:41 Uhr
Bei dem Erdbeben in der Türkei und in Syrien starben Tausende Menschen. Hätten es mit einer früheren Warnung weniger sein können? Warum eine exakte Vorhersage nicht möglich ist.
Eine Straße im türkischen Golbasi hat durch die Erdbeben einen Riss bekommen.Quelle: dpa
Hätte das Ausmaß der Erdbeben-Katastrophe in der Türkei und Syrien mit über 17.000 Toten bei rechtzeitiger Warnung verhindert werden können? Warum genaue Prognosen zum Zeitpunkt von Erdbeben quasi nicht möglich sind, und welche Fortschritte es dennoch in der Forschung gibt. Ein Überblick.

Erdbeben: Was man vorher weiß und was nicht

Die meisten Erdbeben entstehen durch Verschiebungen der Erdplatten, die ständig in Bewegung sind, aufeinanderprallen oder auseinanderdriften. Wird der Druck zwischen zwei Platten zu groß, entlädt sich die Spannung und es kommt zum Erdbeben. Um eine Vorhersage für dieses Ereignis zu treffen, müsste man den Ort, die Magnitude (Stärke des Erdbebens) und den Zeitpunkt des Bebens kennen.
"Den Ort und die Magnitude kennen wir vorab sehr gut", sagt Oliver Heidbach vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam im Interview mit ZDFheute. "Was wir aber überhaupt nicht wissen, ist der Zeitpunkt."

ZDFspezial: Tag Drei im Erdbeben-Katastrophengebiet in der Türkei und Syrien. Noch immer sind tausende Menschen verschüttet und die Opferzahlen steigen rasant.

08.02.2023 | 12:37 min

Warum lässt sich der Zeitpunkt eines Erdbebens nicht vorhersagen?

Ein Erdbeben ist ein "hochkomplexer Prozess, der plötzlich passiert", so Heidbach.
Nehmen Sie eine Tasse und drücken Sie immer fester zu. Man weiß nicht, ab wie viel Kraft die Tasse zerbricht, aber wenn sie zerbricht, dann heftig und plötzlich.
Prof. Oliver Heidbach, Geoforscher
Ein Erdbeben sei anders als beispielsweise ein Hurrikan ein "nicht-linearer" Prozess. Bei einem Hurrikan könne man beobachten, wie er sich aufbaut und an Stärke gewinnt und seine Bahn prognostizieren. Ein Erdbeben komme immer unvermittelt.
Die Erdbeben mit hohen Magnituden entstehen zudem in Tiefen von sieben bis acht Kilometern oder deutlich tiefer. "Dort können wir keine Messinstrumente aufstellen, deshalb kennen wir die physikalischen Gegebenheiten und Zustände des Gesteins in dieser Tiefe nicht. Wir haben nicht die Möglichkeit des direkten Zugangs", macht Heidbach die Schwierigkeit deutlich. Würde man in diesen Regionen bohren, könnte man selbst zum Auslöser des Bebens werden.

Was bedeutet das für betroffene Regionen?

Wenn man nun im nächsen Schritt an vorbeugende Maßnahmen wie die Einleitung einer Evakuierung denke, sei das ohne das Wissen über den Zeitpunkt "nicht möglich", so Heidbach. Was jedoch getan werde,  sei die Entwicklung von Normen zu erdbebengerechtem Bauen.
"Wir Geowissenschaftler liefern hierfür die Information mit welchen Bodenbeschleunigungen in der Zukunft zu rechnen ist", so Heidbach. "In erdbebengefährdeten Gebieten - beispielsweise in Deutschland im Bereich des Oberrheingrabens müssten dann beim Bauen Maßnahmen berücksichtigt werden, die die Bausubstanz gegen die seismischen Wellen besser schützen". 
Schwieriger ist es, wenn große Teile einer Stadt eine sehr alte Bausubstanz hat. Im von Erdbeben auch häufig betroffenen Italien sei es zum Beispiel schlicht nicht machbar, alle älteren Gebäude zu verstärken. Auch in den Erdbebengebieten in der Türkei und Syrien seien "Bauvorschriften oft ignoriert" worden und die Gebäude "unsicher", wie der Risikoforscher Jens Skapski zu ZDFheute sagte. Ein Mittel zur Schadensbegrenzung könnten allerdings die Nutzung von Frühwarnsystemen sein, erklärt Heidbach.

Die Türkei ist immer wieder von schweren Erdbeben betroffen. Dort grenzen zwei der größten Kontinentalplatten aneinander.

06.02.2023 | 01:46 min

Welche Frühwarnsysteme gibt es?

Erdbeben-Frühwarnsysteme kommen bisher nur in Japan und Mexiko zum Einsatz. Registriert das System ein Beben, werden alle übers Handy, per TV oder Radio darauf aufmerksam gemacht.
Man hat dann noch zwanzig bis dreißig, im besten Fall sechzig Sekunden Zeit, einen Helm aufzuziehen und unter dem Tisch Zuflucht zu suchen.
Prof. Oliver Heidbach, Geoforscher
Gerade in Japan hätten die Menschen Erfahrung damit und wüssten in dem Moment der Warnung, was zu tun ist, so Heidbach. Dieses Frühwarnsystem funktioniert allerdings nicht für alle Regionen optimal. Bei einer Warnung für den Großraum Istanbul, wo durch die Plattenverschiebung im Marmarameer ebenfalls ein größeres Erdbeben überfällig ist, würde aufgrund der Nähe zur tektonischen Störung eine solche Warnung allerdings "nur wenige Sekunden ausmachen", konstatiert der Geoforscher zu ZDFheute.

Vulkanausbrüche und Erdbeben - Katastrophen nehmen zu. Deshalb arbeiten weltweit Menschen an cleveren Frühwarnsystemen, z.B: in der Umgebung des Vulkans Ätna.

03.02.2023 | 02:01 min

Kann man dennoch Erdbeben irgendwann vorhersagen?

Einer genaueren Vorhersage könne man sich nur "schrittweise nähern", sagt Geoforscher Heidbach. Ein Faktor, um das Ausmaß von Beben im Vorfeld besser einschätzen zu können, sei es zum Beispiel die Ausbreitungsrichtung des Bruchvorgangs bei einem Beben vorab zu kennen. "Wenn wir zum Beispiel wüssten, wo die Beben beginnen und wohin sich der Bruch ausbreitet, ist das für den Schaden etwas völlig Anderes", so Heidbach.
Im Fall Istanbuls könnte man dann zumindest sagen, ob sich der Bruch in Richtung der Stadt ausbreitet oder von ihr weg. Für den zu erwartenden Schaden wäre dies ein großer Unterschied. "Da sehen wir den nächsten Schritt, woran wir arbeiten, dass wir den zu erwartenden Bebenverlauf besser vorhersagen könnten", erklärt Heidbach Fortschritte in der Forschung.
Dann könnten wir zumindest vorbereitende Maßnahmen für die Katastrophe treffen, die wir weder verhindern noch vorhersagen können.
Prof. Oliver Heidbach, Geoforscher

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