: Wenn Angehörigen-Pflege zum Vollzeitjob wird

05.09.2023 | 07:31 Uhr
Eltern, Ehepartner, die eigenen Kinder: Sind enge Angehörige pflegebedürftig, wird deren Versorgung oft zum Vollzeitjob. Sozialverbände warnen vor hoher Belastung.
Eine Frau, die den Vater zu Hause pflegt (Symbolfoto)Quelle: Imago
Pflege ist in vielen Fällen ein Vollzeitjob. Die meisten Pflegebedürftigen in Deutschland wohnen zu Hause; 3,12 Millionen von ihnen werden von Angehörigen versorgt. Für diese bedeutet die Pflege eine hohe körperliche und psychische Belastung. Die Aufgaben lassen sich im Alltag oft nur schwer arrangieren. In vielen Fällen bleibt die Arbeit an Einzelnen hängen.
Ehepartner und Kinder aber sind oft selbst schon alt und benötigen Hilfe.
Olaf Christen, VdK
Mehr als die Hälfte aller Pflegebedürftigen leide unter dementiellen Erkrankungen. "Diese sind oft 24 Stunden am Tag auf Hilfe angewiesen", sagt Olaf Christen, Referent für Altenhilfe und Pflege beim Sozialverband VdK. "Auch psychiatrische Erkrankungen sind für Angehörige sehr anstrengend."

Pflegende Angehörige oft überfordert

Angehörige vor Ort übernehmen dabei selbst oft klassische Pflegeaufgaben. Eine VdK-Studie aus dem Frühjahr zeigt:
  • Mehr als ein Drittel aller pflegenden Angehörigen gibt an, die häusliche Pflege nur unter Schwierigkeiten oder gar nicht mehr zu bewältigen.
  • Rund zwei Drittel der Befragten gibt an, die eigene Gesundheit zu vernachlässigen.
In der Politik ist der Pflegenotstand erkannt, lässt sich jedoch nicht von heute auf morgen beheben.
Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband wirbt für eine Vollbürgerversicherung, die auch die Kosten für Pflege übernehmen könnte:

24.08.2023 | 04:36 min

Start-up entwickelt App für Pflegende

Ein Hamburger Start-up will nun Abhilfe schaffen: Die App "Fabel" soll pflegende Angehörige bei ihrer Arbeit unterstützen und besser miteinander vernetzen. In dem Tool lassen sich Einzelaufgaben anlegen, wie zum Beispiel Einkaufen, Medikamente bestellen, Pflegedienst rufen. Per Klick kann man sie dann unter den Pflegenden verteilen. Neue Aufgaben kommen per Push-Nachricht.
"Das Organisieren von Pflegeaufgaben ist zeitintensiv", sagt Start-up-Mitgründerin Maximiliane Kugler. "Viele pflegende Angehörige holen deshalb erst gar keine Hilfe und sagen: Dann mach' ich's halt selber." Die App soll Verantwortlichkeiten klarer regeln und dabei auch ambulante Pflegekräfte entlasten.
Wenn Arbeiten wie Einkäufe auf mehrere Angehörige verteilt werden, bleibt Pflegediensten mehr Zeit für klassische Pflegeaufgaben.
Maximiliane Kugler, Fabel-Mitbegründerin
Die App hat Grenzen: Angehörige wohnen oft verstreut, manche von ihnen können deshalb nur aus der Ferne helfen. Den höchsten Zeitaufwand sieht VdK-Referent Christen vor Ort: Waschen, Anziehen, Essen, Treppensteigen.

Wie Angehörige aus der Ferne helfen können

Angehörige, die nicht persönlich helfen können, könnten aber administrative Aufgaben übernehmen, wie zum Beispiel Gespräche mit Pflegekassen führen.
Pflegende können zwar verschiedene Hilfeleistungen in Anspruch nehmen. Ab Pflegegrad zwei steht ihnen Pflegegeld zu. Pro Monat beträgt die Leistung mindestens 316 Euro, bei Pflegegrad fünf steigt sie auf 901 Euro.
Rund ein Fünftel der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland lebt in einem Pflegeheim. Die Kosten dafür steigen stetig:

Was Pflegebedürftige wissen müssen, zeigen diese WISO-Tipps.

31.07.2023 | 03:57 min
Die Pflegeversicherung übernimmt ab Pflegegrad zwei bis zu einem bestimmten Betrag außerdem Sachleistungen wie zum Beispiel Körperpflege, Verbandswechsel oder Reinigen der Wohnung.

Professionelle Hilfe: Bürokratie und Kosten schrecken ab

Angehörige verzichten aber oft auf professionelle Unterstützung. In einer Online-Befragung der Hochschule Osnabrück aus dem Jahr 2021 begründeten dies viele mit finanziellen Sorgen.
Jeder fünfte pflegende Angehörige ist nach Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW Berlin) armutsgefährdet. Viele sehen sich dazu noch von bürokratischen Hürden überfordert - und müssen sich Pflegeexpertise selbst aneignen.
Wegen der gestiegenen Kosten sind immer mehr Pflegebedürftige auf staatliche Hilfe angewiesen:

Laut einer Umfrage schreiben zwei Drittel der Pflege-Einrichtungen rote Zahlen.

24.08.2023 | 02:06 min
Christen rät dazu, frühzeitig zu planen. "Oft geraten Familien plötzlich und unvorbereitet in die Situation der Pflegebedürftigkeit hinein", sagt der Experte. "Es ist deshalb wichtig, sich schon vorab mit dem Thema Pflege auseinanderzusetzen und dafür zu sorgen, dass es nicht zu übermäßiger Belastung kommt."

VdK rät: Andere Menschen um Hilfe bitten

In Akutsituationen rät er dazu, das nähere Umfeld um Hilfe zu bitten. Auch die örtliche Pflegeberatungsstelle könne helfen. "Schon Optionen wie Kurzzeitpflege oder Urlaubspflege bringen erhebliche Erleichterung", sagt Christen. "Das ist Pflegenden in Stresssituationen oft gar nicht bewusst."
Quelle: Isabel Barragan, KNA

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