: Johnson: "Sollte es schneller kapiert haben"

von Hilke Petersen, London
06.12.2023 | 19:53 Uhr
Seit Wochen tagt die Covid-Untersuchungskommission in London. Die hatte Boris Johnson noch als Premierminister den Briten versprochen. Nun musste er selbst Auskunft geben.

Untersuchungskommission über den politischen Kurs in der Corona-Pandemie in Großbritannien. Vor dem Ausschuss sagte Boris Johnson aus, der für die damalige Pandemiepolitik verantwortlich war.

06.12.2023 | 02:12 min
Draußen vor der Tür des Bürogebäudes in London, in dem Premierminister Boris Johnson Rede und Antwort stehen soll, stehen die, die Familienangehörige durch Covid verloren haben, aufgereiht hinter einer Absperrung.
Sie halten anklagend die Fotos ihrer Toten hoch. Es sind fast 230.000 in der britischen Coronakrise. Auf dem Plakat von Louise Brown steht etwa: "Der Premierminister machte Party, als Menschen starben." Sie sagt:
Er setzte all diese Lockdown-Regeln. Damit war ich einverstanden. Und dann hat er selber diese Parties gefeiert.
Louise Brown, Angehörige

Fast sieben Millionen Menschen haben sich in Großbritannien mit Corona infiziert. Hunderttausende haben Long-Covid-Symptome, allerdings ohne Behandlungsmöglichkeiten.

26.01.2023 | 02:13 min

"Party-Gate" sorgte für Eklat um Boris Johnson

Als "Party-Gate" ist diese Johnson-Verfehlung bekannt in Großbritannien. After work-Veranstaltungen mit seinem Team im Amtssitz Downing Street. Mit Alkohol und mitunter auch einer Karaoke-Maschine.
Ein eigenes Untersuchungsgremium hatte sich im Sommer bereits damit beschäftigt. Und mit der Frage, ob Johnson die Wahrheit sagte oder das Parlament dazu angelogen hatte.

Knapp drei Jahre war er Premierminister Großbritanniens. Partygate, Spendenaffäre, seine Corona-Politik: Die Liste der Vorfälle auf dem Weg zu seinem Rücktritt auf Raten ist lang.

07.07.2022 | 02:04 min

Johnson entschuldigt sich bei Familien

Diesmal geht es um den Umgang der Regierung mit der Pandemie - mit den Lockdowns und den Zumutungen für die Briten. Und Johnson wartet gleich am Beginn mit einer umfassenden Entschuldigung auf: Schmerz, Verluste, Leiden - all das tue ihm leid.
Es tut mir zutiefst leid für den Schmerz, den Verlust und das Leid dieser Opfer und ihrer Familien.
Boris Johnson vor dem Covid-19-Untersuchungsausschuss
Seit Wochen verhört die Kommission Politiker und Beamte, um auszuleuchten, wie die Regierung den Notstand managte. Haarsträubende Wahrheiten, grobe Anschuldigungen, Kapitulationserklärungen kommen seither ans Licht.

Cummings: Herdenimmunität war eigentlicher Plan

Der engste Berater Johnsons, Dominic Cummings, der inzwischen kein gutes Haar am früheren Chef lässt, packte aus: Dass Herdenimmunität schon im ersten September eigentlich der Plan gewesen sei - die hochumstrittene Methode nämlich, Millionen sich einfach anstecken zu lassen. Über Cummings und seinen Stil wieder beklagen sich andere.
Unflätig beschimpft habe er Beamte und Minister, auch deren Rücktritte gefordert. Helen McNamara, eine hochrangige Beamtin, beklagt eine toxische, frauenfeindliche Kultur in Downing Street 10. Machos hätten das Geschehen bestimmt, die zunächst in Cowboy-Manier glaubten, das Virus schon kleinkriegen zu können.
Im Rückblick habe er die Gefahr unterschätzt, räumt Johnson jetzt ein: "Ende Februar 2020 war Covid nur eine kleine dunkle Wolke am Horizont. Und man wusste nicht, dass sie zu einem Taifun werden würde." Und weiter:
Ich gucke auf die Zeit mit Horror zurück - in der wir so ahnungslos waren. Wir sollten es schneller kapiert haben. Ich sollte es schneller kapiert haben.
Boris Johnson, Ex-Premier

Corona-Pandemie: "Falsche Krise" für Boris Johnson

Auch Sir Patrick Vallance, der oberste wissenschaftliche Berater der Regierung, als die Pandemie 2020 begann, hatte bereits einen bemerkenswerten Auftritt vor der Kommission und bei der Befragung durch einen Anwalt hingelegt. Es sei oft sehr schwierig gewesen, wissenschaftliche Details zur Corona-Pandemie und der Krankheit zu vermitteln.

Ausgerechnet der Chefberater der britischen Regierung, Dominic Cummings, soll mehrfach gegen die Lockdown-Regeln verstoßen haben. Doch Boris Johnson steht zu ihm.

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Und Johnson habe auch keinen Hehl daraus gemacht, dass er schon mit 15 Jahren das Fach "Science", also Wissenschaft, in der Schule abgewählt habe. All das machte es nicht besser in der Downing Street. Johnsons Ex-Kommunikationschef Lee Cain hatte erklärt, die Corona-Pandemie sei schlicht die "falsche Krise" für Johnsons Fähigkeiten gewesen.

Vor Untersuchungsausschuss: Johnson gesteht Fehler ein

Johnson versuchte es vor der Kommission mit einer Mischung aus Einräumen und Rechtfertigung - und Erinnerungslücken. Tatsächlich habe er mitunter zehn Sitzungen am Tag gehabt - gut möglich, dass was in Vergessenheit geraten sein könnte. Denn der fragende Anwalt geht fast Tag für Tag durch, hält Johnson einzelne Chat-Nachrichten aus WhatsApp vor.
Alle hätten unter Stress gestanden, so Johnson, mit manchmal rüdem Ton habe er eine Truppe schwieriger Persönlichkeiten zum Durchhalten bringen wollen. Und ja, er habe Fehler rückblickend gemacht. Niemand sei vorbereitet gewesen auf das, was Corona brachte.
Strafen oder Urteile wird es am Ende nicht geben. Die Untersuchungskommission und die tagelangen Befragungen dienen am Ende nur der politischen Hygiene. Aber das ist schon ein Wert an sich.
Hilke Petersen ist Leiterin des ZDF-Auslandsstudios in London.

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