Am 1. Mai 2004 traten zehn Staaten der EU bei - die größte Erweiterung in der Geschichte der Union. Hier ein Bild von der Grenze zwischen Frankfurt (Oder) und der polnischen Stadt Slubice.
01.05.2024 | 02:54 min
Der Beitritt zehn neuer Staaten und mit ihnen 75 Millionen neuer Bürger*innen in die
EU wurde Anfang der 2000er nicht nur mit Freude betrachtet. Nur 28 Prozent der Deutschen sprachen sich im Eurobarometer im Mai 2004 für die Aufnahme aus.
In die EU traten ein: Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, die Teil der Sowjetunion waren;
Polen, Ungarn,
Tschechien und die Slowakei, Länder, die der Sowjetunion einst nahe standen; Slowenien, ehemaliger Teil Jugoslawiens; und die beiden Inselstaaten Malta und Zypern.
Sorge vor Lohndumping
In den alten Mitgliedstaaten, besonders in
Deutschland, befürchteten die Menschen: Das Lohnniveau insgesamt könnte sinken, weil die Beitrittsländer wirtschaftlich teilweise deutlich schwächer dastanden als die bisherige EU. Außerdem bestand die Sorge, die Arbeitslosigkeit könnte steigen, weil Arbeitskräfte aus den neuen EU-Staaten geringere Löhne akzeptieren würden.
"Es war damals ein Auftrag der Geschichte", so der frühere luxemburgische Außenminister Jean Asselborn zur EU-Osterweiterung vor 20 Jahren.
01.05.2024 | 05:51 min
Doch diese Bedenken sollten sich als unbegründet herausstellen. In den zehn neuen Staaten wuchs die Wirtschaft nach dem EU-Beitritt stärker als in den bisherigen EU-Staaten.
Besonders groß war das Wachstum in den baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland, wie die Entwicklung des
Bruttoinlandsprodukts (BIP) zeigt. Die neuen Mitgliedsstaaten waren allerdings etwas stärker von der
Finanzkrise 2008 betroffen als der Rest der EU. Aber auch danach stieg das BIP in den meisten Staaten stärker als in den anderen EU-Ländern.
"Die Wirtschaft hat sich in den EU-Beitrittsländern stark entwickelt. Das ist schon beachtlich", sagt Grega Ferenc, Wirtschaftswissenschaftler am ifo-Institut Dresden. "Allerdings gab es große Niveauunterschiede zwischen den Ländern: So war zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Slowenien 2004 doppelt so groß wie in Litauen."
So hat sich das Lohnniveau entwickelt
Ein Indikator für die Unterschiede zwischen den Ländern ist das durchschnittliche Jahresgehalt. Die Lohnentwicklung seit 2004 zeigt, dass sich deren Niveaus zwar annähern - aber beispielsweise von Deutschland immer noch weit entfernt liegen.
Die Befürchtung, die Löhne in Deutschland könnten mit der EU-Osterweiterung sinken, haben sich nicht bewahrheitet. Das Gegenteil war der Fall. Seit 2001 ist das Lohnniveau in Deutschland inflationsbereinigt um 14 Prozent gestiegen.
Die durchschnittlichen Jahresgehälter sind in den neuen Mitgliedsstaaten regelrecht explodiert.
Grega Ferenc, Wirtschaftswissenschaftler, ifo-Institut DresdenFerenc erklärt die Entwicklung für die baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland so: "In diesen Ländern kam es teilweise zu großer Migration in andere EU-Länder - vor allem sind viele junge Menschen ausgewandert. Dadurch waren Arbeitskräfte knapp. Kombiniert mit einem starken wirtschaftlichen Wachstum trieb das die Löhne in die Höhe."
Seit dem EU-Beitritt Polens und Tschechiens hat sich der Alltag im Dreiländereck in Sachsens Osten positiv verändert. Manche Grenzen sind jedoch auch ohne Kontrollen geblieben.
01.05.2024 | 02:53 min
Auch Länder mit Rechtsruck vertrauen der EU
Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs gewannen rechte und nationalistische Parteien in Ländern wie Polen und
Ungarn an Zuspruch. Es könnte der Eindruck entstehen, dass sich die Länder der EU-Osterweiterung von der Europäischen Union und der Demokratie abwenden. Doch Ergebnisse des
Eurobarometers zeigen etwas anderes: Das Vertrauen in die EU ist in den Staaten der Osterweiterung tendenziell höher als im übrigen EU-Raum.
Gerade in Ungarn und Polen liegt die Kurve konsequent leicht über dem EU-Schnitt. Lediglich in Zypern rutschen die Werte über einen längeren Zeitraum hinweg unter die EU-Kurve.
EU-Beitrittsländer zufrieden mit Demokratie in der EU
Zudem fällt auf, dass die Menschen in den Beitrittsstaaten der Osterweiterung mit der Demokratie in der EU zufriedener sind als mit der Demokratie im eigenen Land.
Albert Landsberger vom ifo-Institut Dresden merkt allerdings an, dass der Demokratie-Begriff nicht eindeutig definiert sei. "2014 hielt Viktor Orban eine Rede, in der er von einer illiberalen Demokratie sprach. Diese Auslegung der Demokratie basiert zwar auf Wahlen, jedoch stehen die liberalen Grundwerte nicht mehr im Zentrum. Stattdessen überwiegt die Idee der Nation und des Volkes als Einheit", so Landsberger. Aus der Frage "Wie zufrieden sind Sie mit der Demokratie?" gehe nicht hervor, wie Demokratie interpretiert werde.
Es sind harte Zeiten für die Demokratie, die Zahl der Autokratien nimmt zu.
19.03.2024 | 02:17 min
EU-Osterweiterung stärkte die Demokratie in den Beitrittsländern
Dass der Zuspruch zur EU in den Beitrittsländern insgesamt betrachtet größer ausfällt als im EU-Raum, habe ihn überrascht, sagt Landsberger. Der Experte zieht ein positives Fazit für die Beitrittsländer: "Die Ergebnisse zeigen: Von einer Vertrauenskrise in die EU oder der Demokratie kann keine Rede sein."
Wenn die EU-Osterweiterung nicht stattgefunden hätte, "könnten wir nicht so im hohen Umfang Widerstand leisten gegen die Okkupationswünsche Putins", so Ex-Europaabgeordneter Elmar Brok (CDU).
30.04.2024 | 05:45 min
Bezogen auf die vergangenen 20 Jahre betont Landsberger, die Osterweiterung habe die Demokratie in den Beitrittsländern gestärkt. "Gerade weil diese Länder erst vor kurzem demokratisiert wurden - sie noch nicht gefestigte Demokratien waren - ist das sehr wertvoll gewesen."