: Migration: Findet Frankreich die Lösung?

von Luis Jachmann, Paris
11.12.2023 | 11:43 Uhr
Schneller abschieben, Leistungen kürzen. Maßnahmen, mit denen die französische Regierung Migration strenger steuern möchte. Doch ob die Reform so das Parlament passiert, ist offen.

Es ist eines der größten Reformvorhaben der zweiten Amtszeit von Macron: eine Einwanderungsreform mit der Idee einer restriktiveren Migrationspolitik.

11.12.2023 | 02:05 min
An jenem Morgen liegen die Temperaturen wenige Grad über dem Gefrierpunkt. 20 Geflüchtete tummeln sich vor dem Eingang von "Médecins du Monde" im Osten von Paris. Einen nach dem anderen lässt die Flüchtlingsorganisation ins Wartezimmer hinein.
Drinnen empfängt Marie-Laurence Mousel die ersten Geflüchteten. Die Ärztin ist im Ruhestand, übernimmt im Zentrum mehrmals wöchentlich als Freiwillige Sprechstunden. Sie sagt:
Die, die kommen, sind nicht im französischen Gesundheitssystem. Viele sind erst vor Kurzem ins Land gekommen und haben erst nach drei Monaten Zugang zum System.
Marie-Laurence Mousel, Ärztin

Geflüchtete ohne Aufenthaltstitel haben Anspruch auf Gesundheitsversorgung

Auch Geflüchtete ohne Aufenthaltstitel haben in Frankreich Anspruch auf medizinische Leistungen. 0,5 Prozent der Gelder der öffentlichen Gesundheitsversorgung fließen in diesen Etat.

Viele Bootsflüchtlinge, die über Italien in die EU gelangen, wollen nach Frankreich weiterreisen.

19.09.2023 | 02:06 min
Geht es nach der konservativen Mehrheit im französischen Senat, sollen diese Leistungen einer reinen Notfallversorgung weichen. So stand es zunächst im Gesetzesentwurf, als Teil einer großen Asylreform.
Ab dieser Woche debattiert die Nationalversammlung über das umstrittene Vorhaben. Vorab hat der Ausschuss die medizinische Versorgung für Geflüchtete ohne Aufenthaltstitel wieder reaktiviert.

Frankreichs Konservative pochen auf Asylrechts-Verschärfung

Ob das im finalen Gesetz so bleibt, wird die Plenardebatte zeigen. Denn dort ist die Regierungsfraktion von Emmanuel Macron auf Stimmen der konservativen Opposition angewiesen. Und die hält an einer Verschärfung eisern fest. Die konservative Abgeordnete Véronique Louwagie fordert:
Wir wollen ein Gesetz, das uns ermöglicht, Einwanderung wieder entschiedener zu kontrollieren. Entscheidungen müssen wieder umgesetzt werden - bei Abschiebungen ist das nicht der Fall.
Sie verweist auf die geringe Quote an Abschiebungen. Zwischen fünf und acht Prozent der abgelehnten Asylbewerber*innen verlassen das Land auch tatsächlich.
Einen konkreten Plan, wie das effizienter gelinge, kann die Abgeordnete im ZDF-Interview nicht vorlegen. Auch Fachleute sind skeptisch, dass die Reform Abschiebungen beschleunigen. Die vierstelligen Kosten, die pro Abschiebung für Frankreich entstünden, seien ein Hindernis.

Weniger Jugendarbeitslosigkeit, mehr Migration: So unterscheiden sich die Zahlen in Deutschland von jenen in Frankreich. Die Fakten zu beiden Ländern kompakt zusammengefasst.

03.07.2023 | 00:53 min

Politologin: Nachbarländer haben Interesse an der Migration

"Um jemanden in sein Land abzuschieben, braucht man die Zustimmung des Herkunftslandes. Aber viele südliche Nachbarländer antworten auf diese Anfragen nicht. Denn sie haben ein Interesse an Migration", sagt die Politologin Catherine Wihtol de Wenden.
Weltweit sind die Geldtransfers von Menschen aus der Diaspora in die Heimat dreimal so hoch wie die gesamte öffentliche Entwicklungshilfe.
Catherine Wihtol de Wenden, Politologin

Victoria Rietig, Migrationsforscherin bei der Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), stellt ernüchtert fest: Drittstaaten sitzen am längeren Hebel. Denn wir brauchen diese Länder in der Migrationspolitik "viel mehr als die uns brauchen".

09.11.2023 | 01:16 min

Expertin: Asyl-Einschränkung würde wirtschaftliches Problem schaffen

Und auch Aufnahmeländer hätten ein Interesse an Migration, so Wihtol de Wenden: "Spätestens seit der Covidkrise sehen wir, dass es hier in bestimmten Branchen einen erheblichen Fachkräftemangel gibt."
Wenn man Einwanderung stärker beschränkt, schafft das ein enormes wirtschaftliches Problem.
Catherine Wihtol de Wenden, Politologin
Den Fachkräftemangel hat die Regierung erkannt. Sie möchte einjährige Aufenthaltstitel an Geflüchtete vergeben, die in betroffenen Branchen arbeiten. Etwa im Bauwesen, in der Hotellerie und in der Gastronomie. Auch bei diesem Vorhaben hatte sich die konservative Mehrheit im Senat quergestellt.

Showdown in der Nationalversammlung

In der Nationalversammlung kommt es nun zum Showdown: die Konservativen haben bereits angekündigt, nur für ein Gesetz zu stimmen, das die Vergabe von Aufenthaltstiteln an Bedingungen knüpft. Zum Beispiel, dass Präfekten im Einzelfall ihr Veto einlegen können.
Für Camila Rios vom Flüchtlingsverein "UniR" würden Geflüchtete so zum Spielball der Politik:
Wenn man Fachkräfte braucht, vergibt man Aufenthaltstitel. Und wenn man sie nicht mehr braucht, dann sagt man: schauen wir mal.
Camila Rios, Flüchtlingsverein "UniR"
Der französische Innenminister gibt sich optimistisch, eine Einigung zu erzielen. Eine Asylreform hätte, so viel steht schon fest, Gewinner und Verlierer.

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