Analyse

: Bleibt Macron handlungsfähig?

von Luis Jachmann
09.01.2024 | 14:10 Uhr
Neuer Premierminister, neues Kabinett. Macron sucht den Befreiungsschlag. Doch bringen die Neuen auch die erhoffte Wende?

In Frankreich übernimmt der 34-jähirge Gabriel Attal das Amt des Premierministers. Präsident Macron reagiert damit auf schlechte Umfragewerte seiner Partei vor der Europawahl.

09.01.2024 | 01:32 min
Ein Abgang mit Ansage. Als am späten Montagnachmittag ein dunkles Auto vor dem Pariser Elysée-Palast vorfuhr, gestikulierten zig französische Reporterinnen und Reporter wild vor TV-Kameras. Drinnen sei die Premierministerin, ihre Entlassung stünde kurz bevor.
Krisentreffen zwischen Elisabeth Borne und Präsident Emmanuel Macron in Frankreichs Machtzentrum. Wasserstandsmeldungen dazu auf allen Newskanälen im Minutentakt. Namen möglicher Nachfolger geisterten da schon tagelang durch die Presse.
Eine Stunde später war ihr Aus nach knapp 20 Monaten Amtszeit besiegelt. Borne habe ihren Rücktritt eingereicht, Macron habe diesen angenommen, hieß es aus dem Elysée-Palast. Die Nachfolge wird am Morgen danach gelüftet: Gabriel Attal soll die neue Regierung führen.

"Präsident Macron erhofft sich wohl mit einem erneuerten Kabinett noch einmal Aufschwung kurz vor den bevorstehenden Europawahlen", so ZDF-Reporterin Anna Warsberg in Frankreich.

09.01.2024 | 03:29 min
Attal soll Macrons Projekte in den verbleibenden drei Jahren seiner Amtszeit im Parlament durchboxen. Dort sind Macron die Hände gebunden. Seit seiner Wiederwahl 2022 hat er keine absolute Mehrheit mehr.

Attal ist politischer Senkrechtstarter

Gabriel Attal ist mit 34 Jahren der jüngste Premierminister der fünften Republik. Seine bisherige Laufbahn kennt nur eine Richtung: steil nach oben. Schon zu Schulzeiten war er politisch aktiv.
Nach dem Politikstudium an der Elite-Uni Sciences Po wurde er wenige Jahre später Staatssekretär unter Macron. Es folgt der Posten des Regierungssprechers, letzten Sommer wurde er Bildungsminister im Kabinett Borne.

Frankreichs Regierung setzt ihr umstrittenes Immigrationsgesetz durch. Weil Präsident Macron den Konservativen Zugeständnisse machen musste, gab es Streit im eigenen Lager.

20.12.2023 | 00:17 min
Seit jeher gilt er als Senkrechtstarter und Kronprinz von Macron. Fünf Monate später ist er jetzt Regierungschef von Frankreich.
Attal muss innerhalb des eigenen Lagers schlichten - und darüber hinaus Brücken bauen. Seine Aufgabe: belastbare Allianzen mit den Konservativen schmieden. Das Wohl der neuen Regierung wird von der Fähigkeit Attals abhängen, Kompromisse zu finden.

Premierminister-Posten als Schleudersitz

Er nimmt Platz auf einem Schleudersitz. Seine Vorgängerin Borne hat alle großen Projekte Macrons in den letzten eineinhalb Jahren durchgeboxt: die umstrittene Rentenreform, zuletzt das kontroverse Einwanderungsgesetz. Und trotzdem musste sie gehen. Ihr Posten ist ein undankbarer. Denn es kommt auch auf die B-Note an. Das Wie. Und daran ist Borne gescheitert.
Gerade die letzte Reform unter ihrer Ägide hat es nur mit Ach und Krach durch das Parlament geschafft. Konservative Stimmen, auf die sie angewiesen war, hatten ihr die Unterstützung entzogen. Ein Misstrauensvotum hatte das Regierungsprojekt zunächst gestoppt. Erst das von den Konservativen verschärfte Immigrationsgesetz passierte das Parlament. Der linke Flügel der Mitte-Regierung war davon wenig begeistert.

Die geplante Rentenreform von Präsident Macron, die eine Erhöhung des Renteneintrittsalters vorsieht, stößt bei vielen auf Unmut. Auch Opposition und Gewerkschaften sind dagegen.

10.01.2023 | 03:24 min

Opposition sieht sich im Vorteil

Attal muss nun ein breites Bündnis formen. Es geht um nichts weniger als um die Handlungsfähigkeit der Regierung. Gelingt es dem neuen Premierminister wieder Allianzen mit Konservativen zu schmieden? Die Opposition jedenfalls sieht sich im Vorteil. Sie könnte die Regierung auch weiter vor sich hertreiben.
Das linke Lager fordert, dass der neue Premierminister im Parlament direkt die Vertrauensfrage stellt. Ein Aufruf, Rückhalt innerhalb der Konservativen nachzuweisen, der Borne zuletzt versagt blieb. Andernfalls, kündigte die linke Abgeordnete Mathilde Panot an, "würde man ein Misstrauensvotum beantragen".
Das Kapitel Borne habe Kratzer hinterlassen, sagt auch Sophie Binet. Die Generalsekretärin der wichtigsten Gewerkschaft im Land spricht von einer "stark beschädigten Demokratie". Die Verunsicherung im Land ist groß. Attal hat eine knifflige Aufgabe vor sich. Elisabeth Borne verabschiedete sich leise - durch die Gartentür des Elysée-Palasts. Unbemerkt von der Presse. Die arbeitet sich nun am Senkrechtstarter ab.

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