: Gauck: "Menschen sind veranlagt zum Hassen"

von Torben Schröder
27.10.2023 | 00:33 Uhr
Altbundespräsident Joachim Gauck sieht Deutschland fest an der Seite Israels stehen – aus historischer Verantwortung. Diese führe allerdings auch zu innenpolitischen Konflikten.

Sehen Sie hier die Sendung "maybrit illner" vom 26. Oktober 2023.

26.10.2023 | 63:12 min
Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck ist sich sicher: "Wir werden die Allerletzten sein, die die Solidarität mit Israel aufkündigen." Dies gelte auch, wenn die israelische Politik Fehler mache, die übrigens in Israel selbst scharf kritisiert würde. Unvorstellbar für Gauck ist, wie er in der ZDF-Sendung "maybrit illner" betont, dass das Volk derer, die Abermillionen Juden hingemordet hat, sich abwendet.
Er korrigiert auch eine eigene Aussage von 2012. Damals hatte sich Gauck als Bundespräsident bei einem Israel-Besuch indirekt von der Aussage von Kanzlerin Angela Merkel distanziert, das Existenzrecht Israels sei deutsche Staatsräson.
Der Staatschef a.D. stellt zudem eine Schieflage in der innenpolitischen Debatte über Judenhass fest. Über importierten Antisemitismus zu sprechen, habe schnell von links den Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit nach sich gezogen.

Sehen Sie hier die Stelle, an der Joachim Gauck bei "maybrit illner" seine Aussagen aus 2012 korrigiert, im Video.

26.10.2023 | 01:40 min

Deutsche Pflicht gegenüber Israel

Dabei handele es sich um einen sehr virulenten Antisemitismus, dem zu wenig entgegengesetzt worden sei. "Menschen sind veranlagt zum Hassen", stellt Gauck fest, "wir werden Hass nicht wegdiskutieren und wegzaubern können. Aber wir können Menschen lösen, vielleicht auch erlösen aus dem Gefängnis des Hasses."
Aus der deutschen Geschichte, und gemeint ist hier der Nationalsozialismus, ergebe sich nicht nur eine besondere Verpflichtung gegenüber dem Staat Israel und den jüdischen Menschen.
Deutsche wollen gut sein. Und das ist gut so.
Joachim Gauck, Bundespräsident a.D.
Darum sehe das Grundgesetz ein besonders weit reichendes Asylrecht vor, das zu massiver Zuwanderung geführt habe. Damit wiederum gingen Verunsicherung und Fremdheitsgefühle einher.

Seit dem brutalen Angriff der Hamas befindet sich Israel im Krieg. Doch wie geht es weiter im Nahen Osten und wie viel sind die politischen Solidaritätsbekundungen mit Israel wert?

17.10.2023 | 10:31 min
"Es gibt einen bestimmten Punkt, wo diese massive Zuwanderung so viel Wandel erzeugt, dass die Menschen abswitchen, und dann fehlt die Akzeptanz für eine liberale Politik." Gauck sagt: "Manchmal sind uns gute Absichten im Wege, die bittere Realität zu erkennen."
Doch Politik sei nicht immer die Gestaltung des Schönen und Wünschenswerten, sondern auch des weniger Schlechten.

Gauck: Brandmauer zur AfD

Fehle diese Einsicht, würden die Ränder erstarken. Fest müsse die Brandmauer zur AfD stehen. Dem neuen Bündnis Sahra Wagenknecht bescheinigt der Altbundespräsident eine "verhängnisvolle Überschneidung" zu der Rechtspartei. Wichtig für die verunsicherten Menschen im Land sei auch ein dezidiert konservatives, aber nicht reaktionäres politisches Angebot.
Die Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal sagt:
Für jüdische Menschen wird der Raum immer enger, auch in Deutschland.
Düzen Tekkal, Menschenrechtsaktivistin
Den Terrorangriff der palästinensischen Hamas nennt sie "das größte Verbrechen seit der Shoah": "Das hat sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt."
ZDFheute Infografik
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Gewinnt Hamas Krieg der Bilder?

Die Hamas habe den Krieg der Bilder schon gewonnen. Sie profitiere von allen Toten, auch der palästinensischen Zivilisten. Aber: "Wir können nicht auf humanitäre Hilfe verzichten, nur weil der Terror davon profitiert", betont Tekkal. Mit Blick auf den offen zutage tretenden Antisemitismus in Deutschland sagt sie: "Ich wundere mich, dass man darüber erschrocken ist." Es sei beschämend, dass wir Juden kein sicheres Leben garantieren könnten.
"Der existenzielle Konflikt für Europa zum jetzigen Zeitpunkt ist immer noch der russische Angriffskrieg in der Ukraine", sagt der Militärexperte Christian Mölling. Doch es bestehe das Risiko einer Ausweitung des Konflikts in Israel.
Der Staat sei gegründet worden, um die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten. Dieses Selbstverständnis sieht Mölling nun erschüttert.

Glaube an Zwei-Staaten-Lösung erloschen?

Die Regierung Netanjahu sieht der ZDF-Journalist Christian Sievers unter dreifachem Druck. Es gelte, die Geiseln frei zu bekommen, die Hamas auszuschalten und perspektivisch die Frage nach der Verantwortung dafür, dass das Massaker möglich war, zu klären. Mit der Hamas könne man wohl kaum reden.
Aber es gebe Millionen gemäßigter Palästinenser, denen die Perspektive fehle. Sie müssten ansehen, wie die Hamas die Entwicklung bestimme. Der Glaube an die Zwei-Staaten-Lösung sei auf beiden Seiten im Grunde erloschen.

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