: Russland greift offenbar das GPS-System an

von Oliver Klein
01.05.2024 | 17:05 Uhr
Russland betreibt offenbar GPS-Störsender und gefährdet damit die Luftfahrt. Baltische Politiker warnen vor einer Katastrophe. Auch in Deutschland sind die Auswirkungen zu spüren.
Finnair stoppte aufgrund der Störungen alle Flüge ins estnische Tartu bis Ende Mai (Archivbild).Quelle: PR, Airbud
"Wenn Ihnen während der Nachtfahrt jemand die Scheinwerfer ausschaltet, wird es gefährlich" - so fasst Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis in der "Financial Times" die derzeitige Situation im Luftraum zusammen. Immer häufiger werden in bestimmten Regionen die GPS-Signale gestört, insbesondere nahe der russischen Exklave Kaliningrad.
Erst vergangene Woche mussten zwei Finnair-Flüge von Helsinki in die estnische Stadt Tartu aufgrund von GPS-Störungen umdrehen und nach Finnland zurückkehren. Die finnische Fluggesellschaft Finnair stoppte daraufhin alle Flüge nach Tartu bis Ende Mai. Im März war bei Kaliningrad sogar das GPS-Signal eines Flugzeugs mit dem britischen Verteidigungsminister Grant Shapps an Bord blockiert worden, etwa 30 Minuten lang. Die Piloten mussten sich auf andere Navigationssysteme verlassen.

Im Rahmen einer hybriden Kriegsführung erzeugt Russland Druck: etwa mit Flüchtlingen an Europas Grenzen, mit Desinformation – oder wie jüngst mit einem abgehörten Militärgespräch.

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Westliche Politiker machen Moskau für Störungen verantwortlich

Vertreter westlicher Regierungen und vor allem baltische Politiker machten Russland für die Störungen verantwortlich und warnten, dies könne früher oder später zu einem Absturz führen. "Wir betrachten das als feindliche Aktivitäten Russlands", sagte Margus Tsahkna, Estlands Außenministerin. "Diese hybriden Angriffe sollten nicht ignoriert oder toleriert werden", schreibt Landsbergis im Kurznachrichtendienst X.
Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis bei X

Wie funktioniert Satellitennavigation?

Das Global Positioning System, kurz GPS, ist ein Satellitensystem zur Navigation. Es ist aber nur eines von insgesamt fünf - auch die EU, Russland, Indien und China betreiben ähnliche Systeme. Die Funktionsweise ist immer gleich: Ein Netzwerk von Satelliten sendet präzise Positions- und Zeitdaten, ein Empfänger berechnet mit Signalen von mindestens vier Satelliten die jeweilige Entfernung zu ihnen - und zwar anhand der Zeit, die das Signal vom Satelliten zum Empfänger benötigt. Mithilfe von Trilateration kann der Empfänger dann seinen exakten Standort auf der Erde berechnen. GPS ist zentraler Bestandteil von Navigationssystemen, Luftfahrt und Schifffahrt sind ohne GPS kaum denkbar, auch für militärische Anwendungen ist GPS essenziell.

Was ist GPS-Jamming?

Mit Störsendern, die in der Nähe von GPS-Empfängern platziert werden, können GPS-Signale gestört oder sogar ganz unterdrückt werden. Die Auswirkungen von GPS-Jamming können variieren, von ungenauen Positionsangaben bis zum vollständigen Ausfall der GPS-Funktion.

Was ist GPS-Spoofing?

GPS-Spoofing ähnelt GPS-Jamming, verfolgt aber einen anderen Ansatz: Anstatt GPS-Signale zu stören, werden beim Spoofing falsche GPS-Signale ausgesendet, die GPS-Empfänger täuschen sollen. So kann ein Spoofing-Angreifer den Standort eines GPS-Empfängers an einen anderen Ort vorgaukeln. Dadurch ist GPS-Spoofing eine raffiniertere Methode als Jamming und schwieriger zu erkennen.

EASA warnt offiziell vor Gefahren

Auch die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA warnt die Luftfahrt offiziell vor Gefahren durch GPS-Störungen. In einem Ende 2023 herausgegebenen Informationsbulletin heißt es, dass es insbesondere mit Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 vermehrt zu Störungen der Satellitensysteme gekommen sei.
Dies betreffe vor allem die Regionen rund um die Konfliktgebiete in der Ukraine, aber auch das südliche und östliche Mittelmeer, das Schwarze Meer, die Ostsee und die Arktis. Das Dokument beschreibt die Probleme, die duch Jamming (Stören von GPS-Signalen) und Spoofing (Fälschen von GPS-Signalen) entstehen. Russland wird jedoch mit keinem Wort erwähnt.

Ranghohe Luftwaffenoffiziere im Gespräch über Taurus, abgehört von Russland. Sicherheitsexperte Frank Umbach erklärt bei ZDFheute live, was Deutschland im hybriden Krieg droht.

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Auch Deutschland betroffen

Die Störungen im Ostseeraum reichen bis nach Deutschland. Vom Bundesverkehrsministerium hieß es bereits im Februar:
Seit Dezember 2023 werden sporadisch aus dem nordöstlichen Bereich des deutschen Luftraums Störungen der vom Satellitennavigationssystem "Global Positioning System (GPS)" ausgestrahlten Navigationssignale gemeldet.
Bundesverkehrsministerium
Dazu gebe es einen Austausch mit der Bundesnetzagentur, der Bundeswehr und den Luftraumnutzern. Gegenmaßnahmen müsse die Bundesnetzagentur ergreifen.

Störsender vermutlich in Kaliningrad

Wer steckt tatsächlich hinter den Attacken? Die Indizien weisen auf Russland. Dem Bericht der "Financial Times" zufolge betreibt Moskau mindestens drei Anlagen: Eine in Kaliningrad und zwei weitere im russischen Kernland, die GPS-Signale in Estland, Finnland und den nördlichen Teilen Norwegens stören.
In der russischen Exklave Kaliningrad (ehemals Königsberg) soll einer der Störsender stehen.Quelle: ZDF
Auch OSINT-Experten versuchen, die Positionen von Störsendern zu lokalisieren. OSINT steht für "Open Source Intelligence", ein Begriff für die Auswertung von Informationen, die aus öffentlich zugänglichen Quellen stammen. Der X-Account Markus Jonsson analysierte Daten der Webseite airplanes.live, die GPS-Daten von Flugzeugen zur Verfügung stellt. Er sammelte bisher Tausende Fälle, in denen in der Nähe von Kaliningrad die GPS-Systeme von Flugzeugen ausfielen. Hinter dem Account stehen vermutlich mehrere Rechercheure, Markus Jonsson ist nur ein Pseudonym. "Der Jammer ist in Kaliningrad, ich glaube an der Küste", heißt es.
Karte bei X mit der mutmaßlichen Position des Störsenders
Auch die renommierte US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) hält Russland für den wahrscheinlichen Verursacher. Der Kreml führe "seit einem Jahrzehnt diese hybride Kampagne zur Destabilisierung der Nato", schreibt das ISW. "Die jüngsten Vorfälle mit GPS-Störungen deuten darauf hin, dass der Kreml wahrscheinlich beabsichtigt, diese Kampagne fortzusetzen."

Gefahr auch für Telekommunikations- und Stromnetze

Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) weisen noch auf einen ganz anderen Punkt hin: Die Satelliten strahlen präzise Zeitsignale ab, die eine hochgenaue Synchronisation von technischen Systemen erlauben. Dadurch können durch Störungen nicht nur Navigationsysteme beeinträchtigt sein - die Zeitsignale kommen in Stromnetzen, modernen Telekommunikationsnetzen oder auch bei Finanztransaktionen zum Einsatz.
"Navigation warfare" ist der militärische Oberbegriff dafür, den Gegner mit dieser Art der Kriegsführung zu schwächen. Auch wenn es für eine Störung eine Lösung gibt, kann doch eine Kombination von Datenangriffen zum Zusammenbruch führen. Dass Deutschland auf solche Szenarien - die Teil eines größeren hybriden Angriffs sein können - nur unzureichend vorbereitet ist, wird seit längerer Zeit kritisiert.
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Quelle: Mit Material von dpa, AP

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