: Warum sich Südamerika gegen Israel stellt

von Tobias Käufer, Rio de Janeiro
04.11.2023 | 09:55 Uhr
Genozid-Vorwürfe, NS-Vergleiche, Kritik an Verletzungen des humanitären Völkerrechts - der Ton Lateinamerikas gegenüber Israel wird immer härter. Woher kommt diese Ablehnung?
Pro-palästinensische Demonstranten vor der israelischen Botschaft in Bogota, Kolumbien.Quelle: AFP
Bolivien bricht nach eigenen Angaben die diplomatischen Beziehungen zu Israel ab, Kolumbien stellt den jüdischen Staat auf eine Ebene mit dem Nazi-Regime Hitlers und Brasiliens Präsident trifft sich demonstrativ mit einem Israel-Kritiker. Im überwiegend links regierten Lateinamerika schlägt Israel eine Welle der Ablehnung entgegen.
Beim brutalen Hamas-Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober wurden die meisten Juden an einem Tag seit dem Zweiten Weltkrieg ermordet. Mehr als 1.400 Zivilisten wurden getötet, unzählige Frauen und Mädchen vergewaltigt, Kinder und Babys ermordet, mehr als 200 Menschen entführt.
Israels militärische Gegenreaktion findet trotzdem wenig Verständnis in vielen Ländern Süd- und Mittelamerikas. Woran liegt das mit Blick auf die einzelnen Länder?

Bolivien: Machtkampf im sozialistischen Lager

Boliviens Innenpolitik ist derzeit von einem Machtkampf zwischen Ex-Präsident Evo Morales und Amtsinhaber Luis Arce geprägt. Beide streben die Meinungsführerschaft innerhalb des sozialistischen Lagers und die Präsidentschaft 2025 an, dabei vertritt Morales deutlich aggressivere anti-westliche und anti-israelische Positionen als Arce.

Einer der Aufträge von US-Außenminister Blinken mit dem Besuch in Israel: Das "Leid der Menschen in Gaza" soll minimiert werden, so ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen aus Washington.

03.11.2023 | 03:44 min
Morales warf Arce vor, Israel nicht scharf genug verurteilt zu haben. Derart unter Druck gesetzt, brach Arce die diplomatischen Beziehungen zu Israel ab, weil die Reaktion Israels "unverhältnismäßig und aggressiv" gewesen sei.

Chile: Große palästinensische Gemeinde

Chile hat andere Gründe für seine Zurückhaltung gegenüber Israel. Rund eine halbe Million Menschen palästinensischer Abstammung leben in dem Land. Sie gilt damit als die größte in Südamerika. Chiles linksgerichteter Präsident Gabriel Boric beorderte "angesichts der inakzeptablen Verstöße Israels gegen das humanitäre Völkerrecht" den eigenen Botschafter zurück.

Kolumbien: Petro zieht Vergleich mit NS-Regime

Kolumbiens Präsident Gustavo Petro zählt wiederum zu den schärfsten und lautstärksten Kritikern Israels, der auch dann das Land verurteilt, wenn die Faktenlage noch gar nicht bekannt ist.

Israel und die Hamas an einen Verhandlungsisch zu bringen, sei kaum möglich, so Völkerrechtler Christian Tomuschat. Es brauche Vermittler um beide Seiten zu beruhigen.

03.11.2023 | 04:54 min
Petro verglich Israel mit Hitlers NS-Regime, nannte den Gaza-Streifen "ein Konzentrationslager" und kündigte die Eröffnung einer kolumbianischen Botschaft in Palästina an. Die diplomatische Vertretung des südamerikanischen Staates soll demnach in Ramallah ihren Sitz bekommen. Derweil begrüßte die Hamas die Erklärungen der beiden Länder ausdrücklich.

Linksautokratien auf der Seite der Hamas

Auch die drei Linksautokratien Kuba, Venezuela und Nicaragua positionieren sich eindeutig gegen Israel. Sie verfügen über enge direkte Kontakte zur Hamas und zur Iran-nahen Hisbollah-Miliz aus dem Libanon. Es gibt enge politische, wirtschaftliche und militärische Kooperationen.

Der Konflikt zwischen der Hamas und Israel dauert nun bereits 19 Tage an. Diplomatische Bemühungen werden nun auch noch durch den Eklat im Weltsicherheitsrat überschattet.

25.10.2023 | 01:38 min
Kuba macht zudem den politischen Intimfeind, die USA, mitverantwortlich. Der Vorwurf: Die Vereinigten Staaten hätten im UN-Sicherheitsrat ihr Veto gegen einen Vorschlag eingelegt, der lediglich eine humanitäre Pause in der Konfrontation einforderte, um den Zugang zur Hilfe für Gaza zu ermöglichen und den Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleisten, kommentierte Kubas Präsident Miguel Diaz-Canel.

Treffen zwischen Brasiliens Präsident und Musiker Roger Waters

Im UN-Sicherheitsrat hat derzeit Brasilien den Vorsitz inne. Und der Präsident des Landes, Luiz Inacio Lula da Silva, setzte ein diskreteres Zeichen als andere Amtskollegen in Süd- oder Mittelamerika. Lula traf sich vor wenigen Tagen mit Musiker Roger Waters, dem in Europa vorgeworfen wird, gezielt Antisemitismus zu verbreiten. Dabei betonte er:
Es ist wichtig, dass ein Künstler mit so viel Einfluss und Reichweite sein politisches Bewusstsein bewahrt und seine Überzeugungen zum Ausdruck bringt.
Luiz Inacio Lula da Silva, Präsident Brasilien
Innerhalb Lateinamerikas hatte sich zuletzt lediglich El Salvadors Präsident Nayib Bukele deutlich hinter Israel gestellt. Gleichzeitig erklärte Bukele, der selbst familiäre Wurzeln aus der Region hat, dass die Hamas nicht das palästinensische Volk repräsentiere.

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