: Wann kommt der große russische Angriff?

von Christian Mölling, András Rácz
30.11.2023 | 17:28 Uhr
Russland hat seine Luftangriffe auf die Ukraine intensiviert. Dennoch sind Experten der Meinung, dass es sich dabei noch nicht um den erwarteten Großangriff handelt. Die Gründe.

Beide Seiten seien relativ erschöpft und hätten Personalmangel, sagt Militäranalyst Franz-Stefan Gady zur Lage in der Ukraine. Russland übe aktuell aber mehr offensiven Druck aus.

30.11.2023 | 12:19 min
In der vergangenen Woche hat Russland seine Drohnen- und Marschflugkörperangriffe auf die Ukraine schrittweise intensiviert. Allein am 25. November hat Russland nicht weniger als 75 Selbstmorddrohnen iranischer Herkunft gegen Kiew eingesetzt. Ukrainischen Quellen zufolge war dies der größte Drohnenangriff gegen Kiew seit Beginn des Krieges.
Während dieser Angriff am ukrainischen Holodomor-Gedenktag (immer am vierten Samstag im November) stattfand, sodass man meinen könnte, es handele sich nur um einen symbolischen Angriff. In Wirklichkeit hat Russland seine Angriffe auch auf den Süden, Nordosten und Osten der Ukraine verstärkt.

ZDF-Reporter Timm Kröger berichtet, wie Russland seit Oktober versucht, die Stadt Awdijiwka "um jeden Preis" einzunehmen. Soldaten berichten ihm von extrem heftigen Kämpfen.

30.11.2023 | 04:57 min

Noch schwerere Angriffe von Russland erwartet

Die Intensität der Angriffe hat seit Anfang November allmählich zugenommen. Obwohl viele ukrainische Politiker und Experten davon ausgehen, dass Russland bald einen größeren, konzentrierten Angriff auf die ukrainische Energieinfrastruktur starten wird, scheinen die aktuellen Angriffe noch nicht den lang erwarteten Hauptangriff darzustellen. Ein Indiz dafür ist, dass die sich verstärkenden Drohnenangriffe bisher nicht durch ähnlich große Marschflugkörper- oder insbesondere ballistische Raketenangriffe ergänzt wurden.

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Zusätzlich spricht dafür, dass der Angriff auf Kiew am nächsten Tag nicht wiederholt wurde. Obwohl es durchaus sinnvoll gewesen wäre, die ukrainische Luftabwehr zunächst mit Wellen relativ billiger Drohnen zu erschöpfen und zu überlasten, bevor man die präziseren Marschflugkörper und ballistischen Raketen einsetzt. Bislang ist nichts dergleichen geschehen: Auf den massiven Drohnenangriff auf Kiew folgte bislang kein weiterer, ähnlicher Angriff.

Ukrainische Luftverteidigung arbeitet effizient

Einer der möglichen Gründe ist, dass die ukrainische Luftabwehr bisher sehr effizient gegen die ankommenden russischen Drohnen gearbeitet hat. Am 25. November konnten nach ukrainischen Angaben 74 der 75 Drohnen über Kiew abgeschossen werden, bevor sie ihre Ziele hätten erreichen können.
Auch wenn dies ein außergewöhnlich erfolgreicher Tag war, ist die ukrainische Luftabwehr in der Regel in der Lage, etwa 70 Prozent der ankommenden russischen Drohnen abzuschießen.

ZDF-Korrespondent Neuhann sieht eine "deutliche Verfehlung des Ziels" der EU mit Blick auf Geschosse für die Ukraine. ZDF-Korrespondent Theveßen schildert die Haltung der USA.

29.11.2023 | 11:17 min

Russland testet die ukrainische Luftverteidigung

Ein zweiter Zweck des massiven Drohnenangriffs auf Kiew war es, den Umfang und die Stärke der ukrainischen Luftverteidigung um Kiew zu kartieren und zu erkunden.
Was die von den Drohnen verursachten Schäden anbelangt, so wird eine genaue Bewertung dadurch erschwert, dass die Ukraine die allgemeine Praxis beibehalten hat, meist nur die russischen Treffer zu veröffentlichen, die ausschließlich zivile Ziele wie Wohnhäuser oder kulturelle Einrichtungen betrafen. Einerseits ist dies aus Gründen der operativen Sicherheit völlig verständlich:

Die Nato sichert der Ukraine weitere militärische Hilfe zu. Aber glaubt das Bündnis noch an einen Sieg des Landes gegen Russland? ZDFheute live analysiert die aktuelle Strategie.

29.11.2023 | 31:55 min
Jedes Bild, das über eine beschädigte Infrastruktur veröffentlicht wird, würde dem Feind helfen, die Effizienz seines Schlags zu bewerten, einschließlich der Genauigkeit der für die Zielfestlegung und Schadensbewertung verwendeten Informationen. Andererseits erschwert diese sehr restriktive Kommunikationspolitik es externen Beobachtern, die Muster der russischen Angriffe zu analysieren.

Wetter verhindert derzeit wohl großen russischen Schlag

Die meisten Experten sind sich darin einig, dass Russland mit seinen konzentrierten Angriffen auf die ukrainische Energieinfrastruktur wartet, bis die echte, strenge Winterkälte einsetzt. Wenn diese Einschätzung zutrifft, wird Moskau dies in den kommenden sieben bis zehn Tagen wahrscheinlich noch nicht tun, da der Ukraine eine weitere ungewöhnlich warme Periode bevorsteht.
Bis Ende der Woche könnten die Tagestemperaturen in Dnipro oder Charkiw +10 bis 12 (!) Grad Celsius erreichen, was die Effizienz der Angriffe auf die Energieinfrastruktur verringern würde. Wenn also sowohl die Wettervorhersagen als auch die Einschätzung der russischen Absichten zutreffen, hat die Ukraine noch ein wenig Zeit, bevor Moskau die lang erwarteten konzentrierten Angriffe starten wird.
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