Analyse

: Kühles Kalkulieren in der Hitze des Gefechts

von Frank Buchwald, Berlin
11.06.2024 | 18:37 Uhr
Selenskyj appelliert in Berlin abermals an die Solidarität des Westens und erhält viel Beifall - aber nicht von allen. Warum der ukrainische Präsident trotzdem zufrieden sein kann.

Selenskyj spricht im Deutschen Bundestag. Doch nicht alle Parteien wollen hören, was er zu sagen hat. Ein Großteil der AfD sowie das Bündnis Sahra Wagenknecht erschienen nicht.

11.06.2024 | 03:28 min
Der Bundeskanzler bringt es auf den Punkt: "Der beste Wiederaufbau ist der, der gar nicht stattfinden muss." Mit diesen Worten begründet Olaf Scholz deutsche Hilfen für die ukrainische Luftverteidigung, zuletzt die Lieferung dreier Raketenabwehrsysteme vom Typ "Patriot".
Sieben weitere davon bräuchte die Ukraine, um die Luftüberlegenheit der Russen einzudämmen, sagt Präsident Selenskyj. Täglich schlagen in seinem Land russische Raketen ein, dazu die gefürchteten Gleitbomben. Sie treffen vor allem zivile Ziele und kritische Infrastruktur in der Ukraine.
Offensichtlich verfolgt der starke Mann in Moskau die Absicht, Kiew nicht nur wirtschaftlich in den Bankrott zu bomben, sondern zugleich den Widerstandswillen der Ukrainer zu brechen. Und bisher hat Selenskyj dem militärisch kaum etwas entgegenzusetzen.

Berliner Treffen hat eher symbolischen Charakter

Es mag widersprüchlich klingen, wenn bei einer Konferenz über den Wiederaufbau viel über neue und schlagkräftigere Waffen gesprochen wird. Das Berliner Treffen für die Ukraine aber hat heute, mitten im Krieg, ohnehin eher symbolischen Charakter.

Die Luftverteidigung ist für die Ukraine weiterhin das drängendste Thema, sagt Militärexperte Nico Lange. Immer wenn der Westen zögere, nutze Russland das gnadenlos aus.

11.06.2024 | 12:38 min
Zwar schätzen Experten die Schäden, die Russlands Raketen bisher bereits angerichtet haben, auf rund 500 Milliarden; sehr viel Geld, zumal die tatsächliche Zahl noch deutlich höher liegen dürfte. Voraussetzung für einen sinnvollen Wiederaufbau aber ist ein Ende der Kämpfe.
Selenskyjs dringender Appell an internationale Unternehmen, bereits jetzt in ukrainische Infrastruktur zu investieren, hat deshalb einen verzweifelten Unterton. Es mag den Präsidenten immerhin beruhigen, dass sich für mutige Investoren in Berlin und Brüssel prominente Bürgen anbieten.

Ukraine kann mit Konferenz recht zufrieden sein

Die Europäische Union sichert Hilfe zu und der deutsche Kanzler erneuert sein Versprechen, seine Regierung werde helfen, solange es nötig sei. Mit solch warmen Worten mögen noch keine konkreten finanziellen Zusagen verbunden sein, trotzdem kann Kiew mit der Berliner Konferenz ganz zufrieden sein. Mehr als um konkrete Vertragsabschlüsse geht es um Planungen und Absprachen für die Zeit nach einem Ende der Kämpfe, auch wenn das bisher kaum absehbar erscheint.

Obwohl der Kampf in der Ukraine weitergeht, investieren deutsche Unternehmen weiterhin in die Ukraine. Valerie Haller berichtet.

11.06.2024 | 01:11 min
Mehr als zweitausend Delegierte aus rund sechzig Ländern haben im nüchternen "City Cube" auf dem Berliner Messegelände beraten; ein gewaltiges Netzwerk, das die Ukraine auffangen soll. Der Ort ist mit Bedacht gewählt: hier stand einst die Deutschlandhalle. Symbol für Freiheit und Demokratie im Westen des geteilten Berlins, mitten im Aufmarschglacis sowjetischer Truppen.
Kein Wunder deshalb, dass Selenskyj daran erinnert und an den Westen appelliert, im Osten der Ukraine nicht neue Mauern hinzunehmen. Deutliche Warnung an diejenigen, die den Konflikt am liebsten einfrieren würden.
Deshalb dürfte der Mann aus Kiew seinen Appell in den nächsten Tagen noch mehrmals vortragen: erst beim G7-Gipfel im süditalienischen Apulien und später dann in der Schweiz, bei ersten Friedensgesprächen. Mehr als Hoffnung aber wird er wohl nicht im Gepäck haben, wenn er am Wochenende zurück in seine Heimat reist.

Für den Wiederaufbau benötigt die Ukraine Hilfe von internationalen Investoren. Auch die ukrainische Stadt Dnipro wurde durch die russischen Angriffe stark getroffen.

11.06.2024 | 01:33 min

Auch beunruhigende Töne in Berlin

Die Machthaber in Moskau haben eine Einladung in die Schweiz ausgeschlagen und in Berlin ist das Bündnis Sahra Wagenknecht der Rede Selenskyjs ebenso ferngeblieben wie die meisten Abgeordneten der AfD. Seine Amtszeit sei abgelaufen, hieß es dort lapidar, Selenskyj sei nur mehr ein "Bettelpräsident".
Beunruhigende Töne, wenn man weiß, dass in der Ukraine nicht nur die Werte des Westens verteidigt werden, sondern auch seine Freiheit. Wer Frieden mit Verrat erkaufen will, erntet am Ende Schande oder Krieg, nicht selten aber beides. Eine alte Warnung Winston Churchills, sie wirkt in diesen Tagen beklemmend aktuell.
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