: Tucker Carlson als "nützlicher Idiot" Putins?

von Anna Kleiser, Washington D.C.
09.02.2024 | 07:43 Uhr
US-Moderator Carlson interviewt Putin in Moskau: Russlands Präsident beginnt das Interview mit einer Geschichtsstunde - und macht es damit zu einer Show fürs heimische Publikum.
Das Interview wurde bereits am 6. Februar aufgezeichnet, veröffentlicht wurde es am 8. Februar mit englischer Übersetzung des russischen Präsidenten. Quelle: Reuters
Zwei Tage lang hat US-Moderator Tucker Carlson Werbung für sein Interview mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gemacht. Jetzt ist es da, dauert zwei Stunden und beginnt mit einer halben Stunde Geschichtsunterricht mit Putin. Von Prinz Rjurik über Jaroslaw den Weisen, Hitler und Stalin rechtfertigt Putin seinen Einmarsch in die Ukraine mit altbekannten, fragwürdigen Argumenten.

Wladimir Putin gibt westlichen Medien nur selten Interviews. Nun sprach der für seine inhaltliche Nähe zu Donald Trump bekannte US-Journalist Tucker Carlson mit ihm.

09.02.2024 | 01:41 min
Carlson hört zu, unterbricht ihn kaum. Ob es eine echte Unterhaltung werden soll, fragt Putin Carlson in den ersten Sekunden, und geht in den historischen Monolog über. Carlson stellt kaum herausfordernde Fragen, hinterfragt keine Fakten. Putin fühlt sich sichtbar wohl und macht aus seiner Sicht einige Punkte - vor allem für das russische Publikum.

Putin: "Kein Interesse" an Einmarsch in Polen

In dem am Donnerstagabend (Ortszeit) veröffentlichten Interview bezeichnete Putin eine Niederlage seines Landes im Ukraine-Krieg als "unmöglich". Einen russischen Angriff auf Polen oder Lettland schloss er aus. "Warum sollten wir das tun? Wir haben einfach kein Interesse."
Es widerspricht dem gesunden Menschenverstand, sich in einen globalen Krieg einzumischen.
Wladimir Putin  
Der US-Regierung rät Putin, sie solle aufhören für die Ukraine zu kämpfen, es gebe genug nationale Probleme. "Wäre es nicht besser, mit Russland zu verhandeln? Erzielt eine Einigung", sagt Putin in Richtung Washington. Russland werde "bis zum Ende" für seine Interessen kämpfen.
Wer Nord Stream gesprengt habe, fragt Carlson ihn direkt danach. "Sicherlich ihr", sagt Putin und meint damit die USA, genauer die CIA. Beweise liefert er keine, teilt aber gegen die Bundesregierung aus. Er verstehe nicht, warum Deutschland deshalb nicht handle. Seine Erklärung: "Das sind höchst inkompetente Leute."

Wladimir Putin hat dem US-Journalisten Tucker Carlson ein Interview gegeben. Welche Rolle das Gespräch für die kommenden Präsidentschaftswahlen spielt, erklärt Armin Coerper.

09.02.2024 | 01:10 min

Kreml offen gegenüber Carlson: Warum?

Carlson hat vor dem Interview behauptet, kein anderer Journalist habe versucht, mit Putin zu sprechen. Mehrere Journalisten widerlegen das, selbst der Kreml stellt über seinen Sprecher Peskow klar, dass es viele Interviewanfragen gebe. Tatsache ist, der Kreml hat lange keinen ausländischen Journalisten an Putin herangelassen. Warum also Carlson?

Wladimir Putin hat dem US-Journalisten Tucker Carlson ein Interview gegeben. Eine Einschätzung von Armin Coerper.

09.02.2024 | 01:20 min
Der Kreml begründet das offiziell mit dem "anderen Angang" des ehemaligen Fox-News-Moderators Carlson. Er berichte nicht so einseitig und voreingenommen wie viele westliche Nachrichtensender, so Peskow. Was damit vermutlich gemeint ist: Carlson gilt als eher russlandfreundlich, hat häufiger russische Narrative übernommen.
Er gilt als Vertrauter des wahrscheinlichen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, Ex-Präsidenten Donald Trump, und sein Publikum hat große Überschneidungen mit Trumps MAGA-Anhängerschaft ("Make America Great Again"). Von Carlson hat sich der Kreml offenbar den Vorteil erhofft, den er bei kritischen Journalisten nicht sieht.

Hilft Carlson-Interview Putin und Trump?

Carlson ist kein unbeschriebenes Blatt. Er gilt in den USA als rechter Agitator. Immer wieder hat er falsche Meldungen und Verschwörungserzählungen verbreitet, vor allem in seiner Abendsendung auf Fox News. Vergangenes Jahr wurde er bei Fox entlassen und vermarktet sich und seine Inhalte seither selbst auf einer Homepage und auf X, ehemals Twitter.
Vor dem Interview wurde darüber gesprochen, inwiefern das Interview Trump im Wahlkampf nutzen könnte. Der Historiker Ian Garner bezeichnet das Interview nun als einen Köder für MAGA.
Russland-Experte Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik schreibt auf X, Putin habe die Chance verpasst, das Interview zu nutzen, um US-amerikanisches Publikum zu beeinflussen. Stattdessen habe Putin den Russen Carlson als den "naiven Amerikaner" vorgeführt.

Was bleibt also?

Schon am Abend vor der Publikation nannte die frühere US-Außenministerin Hillary Clinton Carlson einen "nützlichen Idioten". Es gebe für Putin keinen Grund, nicht mit Carlson zu sprechen, da kein ernsthaftes Interview zu erwarten sei.
Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, sagte ebenfalls vorab zu möglichen Auswirkungen des Interviews: "Ich glaube nicht, dass sich das amerikanische Volk von einem einzigen Interview beeinflussen lässt."
Auch in der EU gab es vor der Veröffentlichung viel Wirbel bis hin zu der Forderung, Carlson zu sanktionieren.
Am Ende bleibt fraglich, welche Zuschauer es überhaupt über die ersten 30 Minuten Geschichtslektion von 862 bis 2024 schaffen werden. Was Tucker Carlson nach einer langen Pause aber sicher gelungen ist: weltweit Schlagzeilen zu machen.
Quelle: mit Material von Reuters und dpa

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