Analyse

: Mexiko: Was die neue Präsidentin angehen muss

von Steffanie Riess
01.06.2024 | 11:39 Uhr
In Mexiko wird bei der Präsidentschaftswahl erstmals eine Frau das Amt gewinnen. Auf sie warten große Herausforderungen im Land. Gewalt steht vielerorts auf der Tagesordnung.
Am 2. Juni finden in Mexiko Wahlen statt. Im Kampf um die Präsidentschaft treten Claudia Sheinbaum von der regierenden MORENA-Partei und die Oppositionelle Xóchitl Gálvez an. Quelle: dpa
Stolz zeigt uns Marina Caceres ein Foto, auf dem sie mit der mexikanischen Präsidentschaftskandidatin Claudia Sheinbaum zu sehen ist. Das Bild ist von 2019 - damals war Sheinbaum noch Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt. Damals kam sie nach Cuautepec, dem armen Stadtteil am Rande der Megacity, in dem Marina seit über 40 Jahren lebt. Marina nutzte die Chance, um der Politikerin von den vielen Problemen im Viertel zu erzählen: keine Straßenbeleuchtung, keine Polizei, Müll überall. "Wir waren ein komplett vernachlässigtes Viertel", erzählt Marina.
Und ich habe zu ihr gesagt: 'Alle haben uns vergessen. Bitte, gib uns deine Aufmerksamkeit. Wir Nachbarn bitten dich von Herzen darum.'
Marina Caceres, Bürgerin in Cuautepec

In Mexiko sind Tausende Menschen für die Demokratie auf die Straße gegangen. Die Demonstranten fordern faire Wahlen und werfen Präsident Obrador vor, die Demokratie zu schwächen.

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Viel Hoffnung darauf, gehört zu werden, machte sie sich nicht. Doch dann standen plötzlich städtische Putztrupps in den Straßen von Cuautepec, entfernten den Müll, besserten Schlaglöcher aus und bemalten die Hauswände in bunten Farben. "Das war eine riesige Veränderung", erzählt Marina. "Das hat es vorher noch nie gegeben." Und deshalb wird Marina, so wie viele in Cuautepec, bei der Präsidentschaftswahl am 02. Juni für Claudia Sheinbaum stimmen.
Marina Caceres ist Bewohnerin des Armenviertels Cuautepec von Mexiko-Stadt. Quelle: ZDF

Kandidatin Claudia Sheinbaum laut Umfragen vorne

Umfragen zufolge nach wird die 61-jährige promovierte Physikerin die Wahl mit großer Mehrheit gewinnen. Sie ist die Kandidatin der MORENA Partei des jetzigen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador, kurz AMLO. Sheinbaum ist seine politische Ziehtochter.
Sie will die Sozialpolitik fortsetzen, die den Präsidenten bei zwei Dritteln der Mexikaner so beliebt macht. "Für das Gesamtwohl aller, zuerst die Armen" - so das Motto der Partei: Unterstützung von Familien, alleinerziehenden Müttern, Studenten und Pensionären, erweiterte Bildungsangebote in marginalisierten Kommunen und eine Erhöhung des Mindestlohns - Politik, die Millionen von Menschen unmittelbar zugutekam.

In den vergangenen Monaten wollten deutlich weniger Migranten aus Mexiko in die USA einreisen. Laut Mexikos Präsident Lopez Obrador hat sich die Anzahl halbiert.

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Mexiko: Organisierte Kriminalität zugenommen

Weniger erfolgreich war AMLO in seiner sechsjährigen Regierungszeit bei der Bekämpfung der Gewalt, die Mexiko seit Jahrzehnten plagt. Das organisierte Verbrechen hat an Macht höchstens gewonnen. Es kontrolliert mittlerweile nicht mehr nur den Drogenhandel, sondern viele weitere Wirtschaftszweige sowie den Transport von Migranten an und über die US-Grenze. Einige Teile des Landes sind nicht mehr vollständig unter Kontrolle des Staates.

Mehr als 30 Morde und über 170 Angriffe auf Kandidaten, das ist die vorläufige Bilanz vor den Wahlen in Mexiko. Nie zuvor gab es so viel Gewalt vor allem seitens der Kartelle.

29.05.2024

Gewalt und Femizide verbreitet

Auch im täglichen Leben vieler Mexikaner ist Gewalt allgegenwärtig. Femizide sind an der Tagesordnung - rund 10 Frauen und Mädchen werden in Mexiko pro Tag ermordet, in 90 Prozent der Fälle ohne Konsequenzen für die Täter, berichtet Alessandra Rojo de la Vega, die lange als Menschenrechtsaktivistin tätig war.
Zudem leben Menschen im öffentlichen Leben gefährlich - Aktivisten, Journalisten, Politiker. Der jetzige Wahlkampf war der blutigste aller Zeiten - die politische Beratungsfirma Integralia berichtet von über 200 Fällen politischer Gewalt, mehr als 30 Kandidaten wurden ermordet.

Gewaltspirale in Mexiko eine große Herausforderung

Auch auf Alessandra Rojo de la Vega wurde ein Attentat verübt. Die 37-jährige Mutter von 3 Kindern will für die Opposition Bürgermeisterin im Bezirk Cuauhtémoc werden, dem Zentrum von Mexiko-Stadt. Denn auch lokal und regional wird gewählt. Vor einigen Wochen überlebte sie knapp, als ein Mann mehrfach auf das Auto schoss, in dem sie saß. Für sie ist die Gewalt zentrales Thema ihres Wahlkampfes.
"Ich bin selbst Mutter von drei Kindern. Das, was ich mir am meisten wünsche, ist, dass sie an einem sicheren Ort leben. Dass sie in den Park gehen können zum Spielen, oder zum Laden an der Ecke und weder sie noch wir Angst haben müssen, dass ihnen zu jedem beliebigen Zeitpunkt an jedem beliebigen Ort etwas zustoßen kann", so Alessandra Rojo de la Vega.
Ein paar Tage nach dem Attentat auf mich wurden an der gleichen Straßenkreuzung vier Menschen ermordet. Das ist unser Alltag.
Alessandra Rojo de la Vega
Die Bekämpfung der Gewaltspirale wird eine der größten Herausforderungen der neuen Präsidentin werden.

In Mexiko-Stadt ist eine Bühne bei einer Wahlkampfveranstaltung durch einen heftigen Windstoß eingestürzt. Neun Menschen kamen ums Leben, mindestens 50 weitere wurden verletzt.

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Kandidatin Xóchitl Gálvez mit geringen Chancen

Unabhängig davon, ob Claudia Sheinbaum die Wahl gewinnt - Mexiko steht kurz davor, sein erstes weibliches Regierungsoberhaupt zu bekommen. Sheinbaums Rivalin im Wahlkampf ist die ebenfalls 61-jährige Xóchitl Gálvez, eine ehemalige Senatorin der konservativen PAN-Partei, die für ein Oppositionsbündnis antritt.
Die erfolgreiche Unternehmerin mit indigener Abstammung liegt allerdings in Umfragen weit hinter Sheinbaum und ihr werden nur wenig Chancen eingeräumt. Ergebnisse werden am Abend des 2. Juni erwartet. So oder so: Die neue Präsidentin wird vor großen Herausforderungen stehen.
Steffanie Riess berichtet für das ZDF-Studio Washington D.C. über Mexiko.

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