: Umkämpftes Bachmut: Kiew deutet Rückzug an

von Christian Mölling, András Rácz
01.03.2023 | 22:48 Uhr
Die russische Armee ist kurz davor, Bachmut einzukesseln. Die Ukraine wird die Stadt dann wahrscheinlich aufgeben - kann sich aber auf zusätzliche Verteidigungslinien verlassen.
Bachmut steht offenbar ganz kurz vor der Niederlage.Quelle: Yevhen Titov, dpa
Nach fast acht Monaten ununterbrochener, schwerer Kämpfe sind die russischen Streitkräfte kurz davor, die Stadt Bachmut einzukesseln. Am Abend halten die ukrainischen Truppen zwar noch stand, aber die Verteidiger kontrollieren nur den zentralen und westlichen Teil der Siedlung.

Bachmut steht nach acht Monaten vor dem Fall

Die russischen Streitkräfte sind sowohl in den südlichen, als auch in den nördlichen und östlichen Teil der Siedlung eingedrungen und stoßen weiter vor. Die Ukraine hatte eine Reihe von Gegenangriffen im Norden unternommen, die den Russen zwar schwere Verluste zufügten, aber die Frontlinie nicht stabilisieren konnten.
Die russischen Streitkräfte haben die nordwestliche Straße von Bachmut nach Kramatorsk, eine der Hauptversorgungslinien der Stadt, abgeschnitten. Die andere Versorgungslinie, eine Straße nach Südwesten, die nach Konstantinowka führt, ist durch russischen Beschuss ebenso unbrauchbar.

Kaum noch Verbindung nach außen

Die einzige verbleibende Verbindung von Bachmut zur Außenwelt ist eine kleine, schmale Straße, die nach Westen in die nahe gelegene Stadt Tschassiw Jar führt. Doch selbst diese letzte Lebensader ist bereits in Reichweite der russischen Artillerie. Schwere Mörser und Panzerkanonen können sie treffen.

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Wenn die Ukraine nicht in den nächsten Tagen einen groß angelegten Gegenangriff startet, was unwahrscheinlich ist, dürfte die Stadt bald nicht mehr zu verteidigen sein, da Vorräte und Munition allmählich zur Neige gehen. Die verbliebenen ukrainischen Verteidiger werden sich daher nach Westen zurückziehen müssen, um eine Einkreisung zu vermeiden.
Der Rückzug wird öffentlich vorbereitet
Die ukrainische Regierung hat bereits damit begonnen, die Öffentlichkeit auf den Verlust von Bachmut vorzubereiten. Ukrainische Beamte, regierungsnahe Journalisten und viele Militärkommentatoren verbreiten ein einheitliches Narrativ: Die Ukraine wird Bachmut halten, aber nicht um jeden Preis.
Bachmut sei "ein echtes Blutbad", so ZDF-Korrespondent Hebestreit:
Auch ukrainische Diplomaten im Ausland übermitteln dieselbe Botschaft. Offensichtlich handelt es sich um eine informatorische Vorbereitung auf die Notwendigkeit eines Rückzugs aus der Stadt.

Kommunikation wie bei Sjewjerodonezk oder Mariupol

Dies ist nicht der erste organisierte Rückzug dieser Art. Im vergangenen Sommer mussten die ukrainischen Streitkräfte nach mehreren Wochen erbitterter Verteidigung sowohl Sjewjerodonezk als auch Lyssytschansk aufgeben. Der Rückzug aus beiden Städten erfolgte organisiert, und die ukrainische Öffentlichkeit akzeptierte die Notwendigkeit des Rückzugs.
Karte: Bachmut, 28.01.2023Quelle: ZDF
Die Situation in Mariupol war ähnlich: Als die Verteidigung für die bereits eingekesselten ukrainischen Streitkräfte unhaltbar wurde, befahl die Regierung ihnen, sich zu ergeben. Wenn Bachmut fällt, müsste Kiew also keine völlig neue Kommunikation erfinden, sondern nur das Rezept wiederholen, das schon mehrere Male erfolgreich war. Höchstwahrscheinlich wird die ukrainische Öffentlichkeit auch dieses Mal verständnisvoll reagieren.
Die Schlacht um Bachmut geht unvermindert hart weiter:
Teuer erkaufter Erfolg Russlands
Russland wird die Einnahme von Bachmut der eigenen Bevölkerung als großen, strategischen Sieg präsentieren. Immerhin haben die russischen Streitkräfte die Stadt mehrere Monate lang belagert und dafür Zehntausende von Soldaten und Wagner-Söldnern geopfert.
Allein die Wagner-Gruppe hat während der Belagerung von Bachmut und der nahe gelegenen Stadt Soledar etwa 30.000 mobilisierte Sträflinge verloren hat. Auch die russischen Verluste an militärischem Gerät sind aufgrund der sehr effizienten Arbeit der ukrainischen Artillerie und der Angriffsdrohnen extrem hoch.
Putins Schattenarmee - Die Gruppe Wagner:

02.06.2022 | 58:22 min
Keine Änderung der strategischen Lage
In Wirklichkeit wird der Verlust von Bachmut jedoch weder im Donbass noch im Krieg insgesamt etwas an der strategischen Lage ändern. Die Ukraine hat noch vor 2022 im gesamten östlichen Teil des Donbass mehrschichtige Verteidigungslinien errichtet. Zudem wurden seit Beginn der Eskalation mehrere zusätzliche Verteidigungsanlagen und Befestigungen gebaut.
Sollten sich die ukrainischen Streitkräfte aus Bachmut zurückziehen, werden sie außerdem das höher gelegene Gelände westlich der Stadt halten, was ihnen helfen wird, die Gebiete um Tschassiw Jar zu verteidigen. Die Geografie in diesem Gebiet ist sehr kompliziert, mit mehreren kleineren Seen, Wasserreservoirs und kleinen Wäldern, was den Verteidigern in die Hände spielen wird.
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