Seit neun Monaten belagern die russischen Truppen mittlerweile Bachmut - seit neun Monaten halten die ukrainischen Truppen dem Beschuss stand. Der bisher längsten Belagerung im Angriffskrieg gegen die Ukraine kommt damit fast automatisch eine hohe symbolische Bedeutung zu, was auch die Ereignisse dieser Woche zeigen.

Am Mittwoch musste die ukrainische Militärführung einen russischen Teilerfolg bei der Belagerung einräumen. "Im Sektor Bachmut setzte der Feind seine Angriffe auf die Stadt fort, teilweise mit Erfolg", teilte der Generalstab in Kiew in seinem täglichen Lagebericht mit. Details zu den russischen Geländegewinnen wurden nicht genannt. Der Chef der russischen Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, behauptete dagegen: "Die Schlacht um Bachmut hat heute praktisch schon die ukrainische Armee vernichtet."

Aufgegeben hat die Ukraine den Kampf um Bachmut aber noch nicht, im Gegenteil: Präsident Wolodymyr Selenskyj, der erst vergangene Woche die Frontlinie an der nahegelegenen Stadt Chasiv Yar besucht hat, hält an der Verteidigung fest - und appelliert unermüdlich an den Kampfgeist der ukrainischen Truppen. Was also versprechen sich beide Seiten von dem blutigen Abnutzungskampf?

Für die Ukraine kommt Bachmut schon deshalb ein hoher symbolischer Wert zu, weil die eigene Gegenoffensive im Herbst ab Mitte November ins Stocken geriet. Der letzte große territoriale Erfolg der Ukraine war die Befreiung des westlichen Teils der Region Cherson und der Stadt Cherson selbst im November, nachdem das ukrainische Militär die russische Armee gezwungen hatte, ihren Brückenkopf westlich des Flusses Dnipro aufzugeben.

Seitdem sind die Frontlinien weitgehend statisch, mit blutigen Positionskämpfen, aber ohne größere territoriale Veränderungen. Aus ukrainischer Sicht kann dies als Erfolg gewertet werden, denn die Ukraine konnte dem russischen Druck, einschließlich der Mitte Januar begonnenen neuen russischen Offensive, kontinuierlich widerstehen, ohne größere Gebietsverluste hinnehmen zu müssen. Allerdings haben sie auch keine Gebiete zurückgewonnen.

Die Logik der symbolischen Bedeutung ist auch auf der Gegenseite vorhanden: Die Einnahme von Bachmut wäre der erste wesentliche Erfolg der russischen Frühjahrsoffensive.

Mittlerweile ist es rund neun Monate her, dass Russland mit der Einnahme von Sjewjerodonezk und Lyssytschansk im Sommer 2022 größere Erfolge an der Front erzielt hat. Eine erfolgreiche Beendigung der Belagerung von Bachmut könnte also vom Kreml der russischen Öffentlichkeit als großer Erfolg präsentiert werden.

In der ukrainischen Gesellschaft gibt es hohe Erwartungen an den lang erwarteten Gegenangriff im Frühjahr, der wieder große Gebiete befreien könnte. Bis dahin gilt es jedoch, die Moral aufrechtzuerhalten. Diesem Zweck dient die symbolische Aufwertung der Verteidigung Bachmuts.

Am 30. März erhöhte Selenskyj den Druck auf die Verteidiger noch weiter. Er sagte, dass die Eroberung von Bachmut den Kreml ermutigen würde, weitere Schritte zu unternehmen. Selenskyj sagte, dass Putin, wenn er etwas Blut geleckt habe (das heißt, wenn Bachmut eingenommen würde), weiter vorstoßen werde, da er das Gefühl habe, dass die Ukrainer schwächer würden.

Einerseits ist es schwer vorstellbar, dass die russische Armee nach einer möglichen Einnahme von Bachmut in der Lage sein wird, die nächsten ukrainischen Verteidigungslinien zu durchbrechen, da sie extrem hohe Verluste erlitten hat.

Auf der anderen Seite ist die Lage innerhalb von Bachmut sehr kritisch. Die russischen Streitkräfte sind bei der Einkreisung der Stadt weiter vorangeschritten; inzwischen sind bereits etwa 80 Prozent der Siedlung besetzt, darunter auch große Teile des Stadtzentrums. Wenn die Ukraine nicht sehr bald einen Gegenangriff auf Bachmut oder ein anderes Ziel startet, das Russland zwingen würde, seine Truppen von Bachmut dorthin zu verlegen, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Stadt nicht mehr lange gehalten werden kann.

Daher versucht Selenskyj, die ukrainischen Soldaten durch eine weitere Erhöhung der symbolischen Bedeutung von Bachmut zu ermutigen, die Stadt noch etwas länger zu halten, bis die sich bessernden Wetterbedingungen eine Aufhebung der Belagerung ermöglichen.

Derzeit ist nicht absehbar, ob die Ukrainer in der Lage sind, so lange durchzuhalten. Doch selbst wenn die Stadt fallen sollte, hat sie mit ihrem neunmonatigen Widerstand große Teile der russischen Streitkräfte gebunden und es den ukrainischen Truppen ermöglicht, der russischen Armee schwere Verluste zuzufügen. Aus dieser Sicht hat die Verteidigung von Bachmut ihren wichtigsten militärischen Zweck bereits erfüllt.