: Kann Berlin "Klimaneutral 2030"?

von Alicia Heid
07.02.2023 | 18:37 Uhr
Der Volksentscheid "Berlin Klimaneutral 2030" sorgt vor der Wiederholungswahl für Aufsehen. Und das, obwohl - oder gerade - weil er auf ein anderes Datum fällt.
Kann Berlin bis 2030 klimaneutral werden? Es gibt Zweifel.Quelle: Imago
Der Saal in der Technischen Universität in Berlin war am Montagabend bis auf den letzten Platz gefüllt. Am kommenden Sonntag ist Wiederholungswahl in Berlin - und an der TU wurde kurz davor über die künftige Klimapolitik diskutiert.

Wie kann Berlin bis 2030 klimaneutral werden?

Viele sind gekommen, um ihre Fragen direkt an die politischen Verantwortlichen zu richten. Menschen, die wissen wollen, wie es weitergeht mit ihrer Stadt. Geladen hat "Fridays For Future Berlin", gekommen sind Vertreter*innen aller großen demokratischen Parteien - die sich im Wahlkampf zur bevorstehenden Wiederholungswahl am kommenden Sonntag befinden.
Zentral ist dabei die Frage, wie Berlin bis 2030 klimaneutral werden kann. Über das entsprechende Volksbegehren soll dann am 26. März abgestimmt werden. "Berlin Klimaneutral 2030" habe bewiesen: Berlin will Klima, so Pit Terjung von "Fridays For Future", nun sei es an der Zeit, über ein klimagerechtes Berlin zu reden.

Debatte über Zeitpunkt der Abstimmung

Angestoßen hatte das Volksbegehren die Initiative "Klimaneustart Berlin". In einem Bündnis von mehr als 60 zivilgesellschaftlichen Organisationen, darunter auch "Fridays For Future", sammelte die Initiative die nötigen Unterschriften, um den Gesetzesentwurf zur Abstimmung zu bringen.

Warum heißt es menschengemachter Klimawandel?

Weil menschliche Aktivitäten den natürlichen Treibhauseffekt massiv verstärken. In der Atmosphäre gibt es Spuren der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas sowie Wasserdampf. Sie wirken dort wie ein Reflektor, vergleichbar mit dem Glasdach eines Treibhauses: Wärmestrahlung der Sonne, die von der Erdoberfläche sonst ins Weltall abgestrahlt würde, bleibt im Erdsystem. Ohne diesen natürlichen Treibhauseffekt wäre die Erde im Mittel etwa minus 18 Grad kalt und für den Menschen unbewohnbar.

Seit der industriellen Revolution - gerechnet ab 1850 - ist der Anteil der Treibhausgase aus nichtnatürlichen Quellen sehr stark angestiegen. Darüber ist sich die Wissenschaft weitgehend einig, nachzulesen zum Beispiel im 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC (International Panel on Climate Change).

Wie CO2 den Treibhauseffekt verursacht und wie man das nachweisen kann.

18.10.2019 | 03:38 min

Was verursacht die Klimakrise?

Das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas setzt erhebliche Mengen CO₂ frei. Hauptquellen sind Kohlekraftwerke und Anlagen der Schwerindustrie (Stahl, Aluminium). Methan kommt vor allem aus der intensiven landwirtschaftlichen Tätigkeit. Zudem verschwinden natürliche Kohlenstoffsenken, die CO₂ dauerhaft aufnehmen, etwa durch Waldrodung und Austrocknung der Moore. Immer mehr Treibhausgase gelangen so in die Atmosphäre, verstärken den natürlichen Treibhauseffekt.

Und: In vielen Ländern entwickeln sich die Volkswirtschaften gerade, bisher fast immer auf Basis fossiler Energieträger wie Kohle und Öl. Noch mehr CO₂-Ausstoß ist die Folge.

Wir Menschen sorgen überall auf der Welt dafür, dass sehr viele klimaschädliche Gase und Stoffe in die Luft gepustet werden. Am schädlichsten ist der Energieverbrauch.

11.10.2021 | 01:33 min

Welche Länder stoßen am meisten CO₂ aus?

China liegt an der Spitze mit circa 31 Prozent, gefolgt von den USA mit etwa 14 Prozent, Indien mit gut 7 Prozent und Russland mit etwa 4 Prozent. Der deutsche Anteil liegt bei knapp 2 Prozent (Stand: 2022). 2020 gab es pandemiebedingt einen leichten Rückgang der Emissionen, der mittlerweile überkompensiert wurde.

Global haben sich die energiebedingten CO₂-Emissionen - also die Treibhausgase, die bei der Umwandlung von Energieträgern etwa in Strom, Wärme oder im Verkehr entstehen - ständig erhöht: von 22,5 Gigatonnen (Gt, eine Gigatonne entspricht einer Milliarde Tonnen) 1990 auf 36,4 Gt im Jahr 2022.

Allerdings hat sich die Anstiegskurve abgeflacht. Für einige Wissenschaftler ein Zeichen, dass Klimaschutzmaßnahmen anfangen zu wirken.

Wie sehr hat sich die Erde bereits erwärmt?

Belastbare Wetterdaten gibt es seit 1881. Nimmt man dieses Jahr als Startpunkt, so hat sich der globale Temperaturdurchschnitt um gut ein Grad erhöht - mit starken regionalen Unterschieden. Auch differiert die Erwärmung über Land und über der Meeresoberfläche. Deutschland hat sich mit etwa zwei Grad stärker erwärmt als der globale Durchschnitt, bezogen auf das zurückliegende Jahrzehnt 2011 bis 2020.

Temperaturschwankungen im Verlauf der Erdgeschichte.

18.10.2019 | 00:45 min

Welche weiteren Folgen hat der Klimawandel?

Die dauerhafte Erwärmung führt dem Erdsystem mehr Energie zu. Atmosphäre, Biosphäre, Landmassen, Ozeane und Eisregionen stehen in ständiger Wechselwirkung. Dadurch ändern sich bisher als stabil angesehene Vorgänge. So mäandert beispielsweise der Jetstream, bildet Ausbuchtungen, die dann regional das Wetter beeinflussen.

Starkregen, langanhaltende Dürren oder extrem starke Stürme verursachen direkte Schäden. Eher schleichend geht mit der Klimaerwärmung ein Verlust von Lebensräumen einher, der Verlust von fruchtbarem Land und die Produktivität der Ozeane. Kurz: Der Klimawandel bedroht in manchen Regionen die Lebensgrundlage der Menschen.

Klima-Mechanismen sind kompliziert: Die globale Erderwärmung kann an bestimmten Orten auch zu Kälte und Extremwetter führen.

09.12.2019 | 06:01 min

Warum gibt es das 1,5-Grad-Limit?

Schon 1993 hat unter anderem der Physiker und Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber in einem wissenschaftlichen Diskurs angemahnt, die Erderwärmung unbedingt auf 1,5 Grad im globalen Mittel zu begrenzen. Dieser Wert wurde im Laufe der UN-Klimakonferenzen zu einer politischen Zielgröße, wenn er auch für viele Länder nicht erreichbar erscheint.

Daher sieht das Pariser Klimaschutzabkommen vor, die Erwärmung bei höchstens 2 Grad zu begrenzen, besser bei 1,5 Grad. Das schützt, so meinen Wissenschaftler, vor gravierenden Folgen: Der Meeresspiegelanstieg würde geringer ausfallen, das Meereis wäre als Kältefaktor stabiler, 20 bis 30 Prozent der Korallenriffe als Kinderstube der Ozeane könnten knapp überleben, das Dürre- und Überflutungsrisiko sinkt.

Sind extreme Wetter schon eine Folge des Klimawandels?

Ja. Das jedenfalls bestätigt zuletzt der 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats vom August 2021:

"Der vom Menschen verursachte Klimawandel wirkt sich bereits auf viele Wetter- und Klimaextreme in allen Regionen der Welt aus. (…) Viele Veränderungen im Klimasystem werden in unmittelbarem Zusammenhang mit der zunehmenden globalen Erwärmung größer. Dazu gehören die Zunahme der Häufigkeit und Intensität von Hitzeextremen, marinen Hitzewellen und Starkniederschlägen, landwirtschaftlichen und ökologischen Dürren in einigen Regionen, das Ausmaß tropischer Wirbelstürme sowie Rückgänge des arktischen Meereises, von Schneebedeckung und Permafrost."

Der Temperaturanstieg in der Arktis hat spürbare Folgen für Europa: Das Wetter wird extremer.

27.09.2023 | 01:21 min

Sind Folgen des Klimawandels bereits unumkehrbar?

Quelle:
CO₂ hält sich 1.000 Jahre in der Atmosphäre, verstärkt also sehr lange den Treibhauseffekt. Selbst wenn sofort alle Emissionen gestoppt würden, würden die Klimawandelfolgen noch viele Dekaden auftreten.

Uneins ist die Wissenschaft hinsichtlich sich verstärkender Effekte. Wenn beispielsweise Methan aus tauenden Permafrostböden austritt und bestimmte Mengen dieses Gases frei werden, könnte es eine Art Klimawandel-Turbo geben. Das heißt, die Erwärmung würde noch schneller voranschreiten. Auch sind die Effekte der schmelzenden Landeismassen nicht genau vorherzusagen.

Welche Folgen des Klimawandels sind noch beherrschbar?

Anpassungsmaßnahmen sind die einzige Möglichkeit, sich schnell gegen die Folgen des Klimawandels zu schützen. Dazu gehören etwa die Schaffung von Überflutungsräumen, das Erhöhen von Deichen, orkanfeste Bauten, die Züchtung dürrebeständiger Nutzpflanzen und die Sicherung der Trinkwasserversorgung.

Diese Maßnahmen erfordern sehr viele Investitionsmilliarden. Nicht jedes Land kann sich das leisten, vor allem die Entwicklungsländer sind betroffen. Daher müssen neue Konzepte der klimawandelbedingten, internationalen Zusammenarbeit umgesetzt werden.

von Christine Elsner, ZDF-Umweltredaktion

Bereits im Vorfeld wurde heftig über den Zeitpunkt der Abstimmung debattiert. Die Initiator*innen hätten sich dazu die Wiederholungswahl am 12. Februar gewünscht. Der nach der Pannen-Wahl 2021 eingesetzte Landeswahlleiter Stephan Bröchler erklärte gegenüber der "Zeit" jedoch seine Sorge, dass beides nicht zu schaffen sei.

Initiative "Klimaneustart Berlin" zuversichtlich

Luisa Neubauer von Fridays For Future betonte bei der Podiumsdiskussion am Montag, die Entscheidung fühle sich für viele Menschen wie eine Absage an ihre demokratische Stimme an:
Dennoch ist die Initiative "Klimaneustart Berlin" zuversichtlich, dass auch an dem separaten Termin eine Mehrheit zusammenkomme, so die Sprecherin des Bündnisses, Michaela Zimmermann.

Zweifel an Zielsetzung

Zweifel über die Umsetzung der Gesetzesänderung und das Erreichen von Klimaneutralität bis 2030 haben fast alle Parteien. Thomas Heilmann (CDU), Abgeordneter im Bundestag und Vorsitzender der Klima-Union, glaubt nicht an das Ziel der Volksinitiative.
Wir werden nicht klimaneutral bis 2030 sein, aber 2040 sollten wir schaffen.
Thomas Heilmann, CDU

Um schneller Klimaneutralität zu erreichen, benötigt es laut Thomas Heilmann (CDU) mehr Innovationen und eine schnellere Verwaltung.

07.02.2023 | 00:39 min
Noch im Dezember bekräftigte auch die Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina Jarasch, sie könne nicht redlicherweise für ein Gesetz plädieren, das sie nicht umsetzen könne. Nun änderte sie eine Woche vor der Wahl ihre Meinung und sagte, dass sie für den Volksentscheid stimmen würde:
Ihre Begründung dafür wiederholt Jarasch wie ein Mantra: Es brauche den Druck von der Straße, um Klimaziele voranzubringen. Ihr Versprechen dabei lautet nicht, die Gesetzesänderung genau so umzusetzen, sondern alles dafür zu tun, um das gesetzte Ziel zu erreichen.

Flaschenhals Berliner Senat?

"Die mögliche Gesetzesänderung trifft auf eine sehr engagierte Industrie, die ihre Hausaufgaben macht, aber das vom Senat zu schaffende Umfeld wird nach bisherigen Erfahrungen der Engpass sein", so Ulrich Misgeld vom Berliner Unternehmensnetzwerk "Motzener Strasse".
Überbetrieblichen Maßnahmen - wie dem Ausbau des ÖPNV - fehle es an Unterstützung vonseiten der Senatsverwaltung. Ein Klimaschutz-Konzept, das 2015 vom Netzwerk vorgelegt wurde, konnte deshalb nicht umgesetzt werden.
Wir haben nicht den Eindruck gewonnen, dass alle Senatsverwaltungen und Bezirke bezüglich Klima an einem Strang ziehen.
Ulrich Misgeld, Unternehmensnetzwerk "Motzender Straße"
Auf Grundlage dieser fehlenden Unterstützung hält Misgeld das Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden, für eine Wunschvorstellung. "Wir können nicht erkennen, dass diesem Ziel realistische Maßnahmen zugeordnet werden."

Thema

Mehr zum Thema