: Weihnachtsfrieden? Irgendwann, jetzt nicht

von Kristina Hofmann
14.12.2022 | 12:32 Uhr
Überall weihnachtet es. Im Bundestag ist der Friede noch weit. Die Regierungserklärung von Kanzler Scholz zur EU provoziert die Opposition, die Ampel-Parteien feuern zurück.

Der russische Präsident habe seine Ziele im Ukraine-Krieg verfehlt. "Kein einziger von Putins Plänen ist aufgegangen", sagt der Bundeskanzler in seiner Regierungerklärung.

14.12.2022 | 22:12 min
Für seine Verhältnisse braucht er diesmal lange. Gute fünf Minuten seiner Redezeit sind vorbei, bis Unions-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) die Zwischenrufe im Bundestag laut und deutlich gegen sich hat. Seine Gegenrede bei der Aussprache der Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte er noch freundlich begonnen: Die Union "begrüße", "teile", "stimme zu", was Scholz zur Europäischen Union, zum Krieg in der Ukraine, zur Nato gesagt hatte.
Aber eben nur so grob.

Merz: Scholz versteckt sich hinter Nato

Die ersten Vorwürfe von Merz waren noch erwartbar. Kanzler Scholz hatte vor dem heutigen EU-Gipfel und ersten Gipfel zwischen der EU und den Asean-Staaten von der umfangreichen Hilfe für die Ukraine gesprochen, den russischen Angriffskrieg verurteilt, die Bündnisfähigkeit der Nato gelobt. "Die Bündnispartner wissen genau, sie können sich auf uns verlassen", sagte Scholz. Genau das bezweifelt Merz. Deutschland liefere nämlich nicht die von Kiew so dringend verlangten Schützen- und Kampfpanzer.
Scholz, so der Vorwurf von Merz, verstecke sich hinter den Nato-Partnern. Die hätten nämlich mittlerweile nichts mehr dagegen. Scholz hatte immer gesagt, er wolle keine Alleingänge. Denn weil die anderen keine Kampfpanzer lieferten, solle das Deutschland auch nicht. Merz zu Scholz:
Es liegt vor allem an Ihnen ganz persönlich, dass die Ukraine diese Hilfe nicht bekommt.
Friedrich Merz (CDU)
Scholz bleibe hinter seinen Versprechen zurück, die Bundeswehr besser auszustatten. Und er sei verantwortlich für eine "tiefe Störung" im Verhältnis zu Frankreich. Weil Deutschland in der Diskussion um den europäischen Gaspreisdeckel allein dastehe, habe er Deutschland in der EU "isoliert", Scholz sei ein "Einzelgänger". Und: "Fast entsetzt" habe ihn, dass Scholz in seiner Rede "kein einziges Wort" zum Iran gesagt habe.
Sie listen wie ein guter Anwalt akribisch das Inventar in dem Haus auf, das wir gemeinsam bewohnen. Aber Ihnen fehlt fast völlig der Blick für die Statik dieses Hauses, für das Fundament dieses Hauses - und Ihnen fehlt die Fantasie eines Architekten und der entschlossene Wille eines Baumeisters, um dieses Haus in Europa wetterfest und zukunftsfähig zu machen.
Friedrich Merz (CDU)

FDP: Sprache von Bob der Baumeister kein Beweis

Da schallt es aus den Regierungsreihen: Die schiefe Statik des europäischen Hauses habe die Union "zurückgelassen". FDP-Fraktionschef Christian Dürr warf Merz in seiner Rede die "Sprache von Bob der Baumeister" vor. Und diese "ist noch kein Beweis, dass Sie es besser können". Katharina Dröge, Co-Fraktionschefin der Grünen, sprach vom "Erbe" der Union und beschwerte sich über den jahrelangen "belehrenden Ton" der Merkel-Regierung in der EU, was den deutschen Ruf "schwer belastet" habe.
Von den Schwierigkeiten in der EU, von den Leopard-II-Panzern und den genauen Ausgaben der 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ist in der Scholz-Erklärung tatsächlich keine Rede. Zum Gaspreisdeckel, über den ab Montag wieder verhandelt werden soll, sagte er: "Ich bin sicher, wir werden eine gute, pragmatische Lösung finden."
Überhaupt versucht Kanzler Scholz, in allem Schlimmen auf der Welt auch ein Fünkchen Gutes zu finden.

Scholz lobt neues LNG-Terminal - und sich

Das Jahr 2021 zeige, so Scholz, wie gründlich sich Russlands Präsident Wladimir Putin verrechnet habe.
Kein einziger von Putins Plänen ist aufgegangen.
Olaf Scholz (SPD)
Europas Sicherheit zeige sich auch in der Energiesicherheit, so Scholz. Dass am Samstag in Wilhelmshaven das erste LGN-Terminal für Flüssiggas eingeweiht werde, habe fast niemand der Ampel-Koalition zugetraut. "Eine großartige Leistung", so Scholz.
Wie überhaupt Vieles richtig sei: sein Bemühen, die Staaten des Westbalkans in die EU aufzunehmen, die Bilanz der G7-Präsidentschaft mit der Gründung eines Klima-Klubs und sein Peking-Besuch, weil man mit China im Gespräch bleiben müsse. An allen Herausforderungen sei das Land "am Ende dieses bitteren Jahres" gewachsen, findet Scholz:
Wir in Deutschland haben gemeinsam den richtigen Weg eingeschlagen. Wir stehen zusammen, wir lassen niemanden allein.
Olaf Scholz (SPD)

Linke: Weniger Selbstzufriedenheit, mehr Engagement

Ein "Maximum an Selbstgerechtigkeit" bescheinigte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch der Regierung Scholz. Er forderte "weniger Selbstzufriedenheit und mehr Engagement". Insgesamt sei es nämlich "viel zu wenig", um den Menschen die Existenzangst in der aktuellen Energiekrise zu nehmen. Und kein Wort habe Scholz zum aktuellen Korruptionsfall in der EU gesagt. "Das ist doch unfassbar", so Bartsch.
Das findet AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla auch. Ihn regt aber vor allem auf, dass Scholz viel zu wenig über das eigene Land gesprochen habe. "Machen Sie endlich Politik für Deutschland!" Und er wunderte sich, dass manche ihren Wählerinnen und Wähler noch in die Augen schauen könnten.

Aufregung um Sharepic der CSU

Debatten zu Regierungserklärungen sind immer eine Gelegenheit zum eigentlichen Thema - heute war das Europa und Außenpolitik - auch andere unterzubringen. Die Grünen vor allem ärgert immer noch ein Twitter-Post der CSU, in dem sie gegen die "ungesteuerte Migrationspolitik" der Ampel wettert und dazu Flüchtende aus der Ukraine abbildet.
Jürgen Trittin von den Grünen forderte eine Entschuldigung und warf der CSU mangelnde Solidarität vor. Menschlichkeit, so Grünen-Co-Fraktionschefin Dröge, zeige sich eben auch im Umgang mit Flüchtlingen und nicht mit dem Gerede über "Sozialtourismus". Die Union sei eine "Populismus-Opposition", so Dröge. Was wiederum CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dazu brachte, mit dem SPD-Wahlslogan "mehr Respekt" für die Union zu fordern.
Weihnachtsfrieden im Bundestag? Noch nicht. Sind ja auch noch zehn Tage.

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