: Cherson-Front ruhig - Donbass hart umkämpft

von Christian Mölling und András Rácz
18.11.2022 | 21:02 Uhr
Während es an der Front bei Cherson relativ ruhig ist, gibt es schwere Kämpfe im Donbass. Dabei verzeichnet Russland hohe Verluste - bei geringen Geländegewinnen.
Ein selbstfahrendes Artilleriefahrzeug feuert in der Nähe von Bachmut in der Region Donezk.Quelle: dpa
Seit der Befreiung von Cherson ist die westliche Frontlinie relativ ruhig, abgesehen von gelegentlichen Drohnenangriffen und regelmäßigen Schusswechseln der Artillerie. Wie vorhergesagt, trennt der Fluss Dnipro die kämpfenden Seiten wirksam voneinander. Die meisten russischen Truppen auf der östlichen Seite haben sich etwa 15 bis 20 Kilometer vom Ufer zurückgezogen, um nicht von der ukrainischen Artillerie getroffen zu werden.
Dennoch ist es höchst unwahrscheinlich, dass die Ukraine den Versuch wagen würde, den Fluss gewaltsam zu überqueren. Während sie also auf der Ostseite kleine Aufklärungsoperationen durchführt, wird der Dnipro höchstwahrscheinlich für die nächsten Monate eine faktische Trennlinie darstellen.

Donbass: Hohe russische Verluste, geringe Geländegewinne

In der Zwischenzeit finden im Donbass äußerst intensive Kämpfe statt. Russland drängt weiterhin auf die Einnahme von Bachmut, Toretsk und Vuhledar und setzt dabei auch Kräfte ein, die aus der Region Cherson verlegt wurden. Den russischen Truppen ist es gelungen, leichte Gewinne zu erzielen, allerdings zu einem sehr hohen Preis.

Selenskyj: "Wir werden keinem der Frontgebiete nachgeben"

Quelle: ZDF
Die schweren Kämpfe zwischen russischen und ukrainischen Truppen im ostukrainischen Gebiet Donezk dauern nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj an. Es gebe "weder eine Entspannung noch eine Atempause", sagte Selenskyj am Freitagabend in seiner täglichen Videoansprache. Etwa 100 russische Angriffe seien am Vortag in der Region Donezk abgewehrt worden.

Die ukrainischen Truppen würden durch Grenzschutzeinheiten aus Charkiw und Sumy unterstützt. Eine Brigade der Nationalgarde kämpfe in Bachmut. "Wir werden dem Feind in keinem der Frontgebiete nachgeben", sagte Selenskyj. "Wir reagieren überall, wir halten unsere Positionen überall."

(Quelle: dpa)

Besonders schwerwiegend sind die Verluste unter den mobilisierten russischen Soldaten, die mit minimaler Ausbildung und unzureichender Ausrüstung in den Kampf geschickt wurden. Doch auch die ukrainischen Streitkräfte leiden unter den konzentrierten russischen Drohnen- und Artillerieangriffen.
An der Grenze zwischen den Regionen Cherson und Luhansk kommt es ebenfalls zu intensiven Kämpfen, wobei sich die Frontlinie allmählich festigt.
Russland verstärkt aktiv die besetzten Teile der Region Saporischschja und rechnet bald mit einem neuen ukrainischen Gegenangriff. Berichten zufolge werden auch an der Grenze der Halbinsel Krim Schützengräben ausgehoben.

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.

Energieinfrastruktur der Ukraine schwer getroffen

Darüber hinaus greift Russland seit Dienstag die zivile Infrastruktur der Ukraine mit einer bisher nicht gekannten Intensität an. Trotz der Bemühungen der ukrainischen Luftabwehr gelingt es einer erheblichen Anzahl von Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen, ihre Ziele zu treffen. Dies hat dazu geführt, dass inzwischen etwa 50 Prozent der ukrainischen Energieinfrastruktur nicht nutzbar sind. Insbesondere betroffen sind schwer ersetzbare Transformatoren.
Seit Freitag kommt es nicht nur zu geplanten, sogenannten rollenden Stromausfällen, sondern auch zu ungeplanten. Sollten sich die russischen Angriffe fortsetzen, könnte das Stromnetz in bestimmten stark betroffenen Sektoren vollständig ausfallen, was auch die Heizungs- und Wasserversorgung beeinträchtigen würde.

Raketenvorfall an Nato-Grenze

Für große Aufregung in dieser Woche sorgte der Einschlag von ein oder zwei Raketen am Dienstagnachmittag in dem polnischen Dorf Przewodow, das an der Grenze zur Ukraine liegt. Dabei wurden zwei Zivilisten getötet.
Am Mittwochabend erklärten Nato-Beamte, dass es sich bei einer der Raketen höchstwahrscheinlich um eine ukrainische S-300-Luftabwehrrakete handelte, die abgeschossen wurde, um die massiven russischen Angriffe an diesem Tag zu kontern. Sowohl die Nato als auch Russland reagierten gelassen auf den Vorfall. Obwohl die gegenseitigen Beschuldigungen fast sofort einsetzten, war klar, dass keine der beiden Seiten eine Eskalation beabsichtigte.

Getreideabkommen verlängert

Am Donnerstag wurde bekannt gegeben, dass das Getreideabkommen, das am 22. November auslaufen sollte, um 120 Tage verlängert wurde.
Somit wird die russische Schwarzmeerflotte die ukrainischen Agrarexporte auf dem Seeweg für weitere vier Monate nicht behindern, was eine entscheidende Erleichterung für die verarmten Länder darstellt, die auf Lebensmittelimporte aus der Ukraine angewiesen sind. 

Russland will Wasserweg für Drohnen aus dem Iran erschließen

Am Freitag wurde bekannt, dass Russland iranischen Schiffen den Zugang zur Wolga, die bei Astrachan in das Kaspische Meer mündet, ermöglichen könnte.
Sollte dies geschehen, wird es für Russland sehr viel einfacher, weitere Waffen, vor allem Raketen und Drohnen, aus dem Iran zu importieren.
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