: Russischer Rechtsradikaler kämpft für Ukraine

von Thomas Dudek
05.11.2022 | 10:48 Uhr
Denis Nikitin ist einer der bekanntesten russischen Rechtsextremisten. Während andere rechtsextreme Gruppen sich am Angriffskrieg Putins beteiligen, verteidigt er die Ukraine.
"White Rex", das Modelabel von Nikitin, unter dem er gleichzeitig Kampfsportevents organisierte.Quelle: whiterexstore.com
Im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland waren die russischen Hooligans eines der bestimmenden Themen in den internationalen Medien. Nach deren Gewaltexzess während der EM 2016 in Frankreich war das nicht verwunderlich.

Claus: "Schlüsselfigur der internationalen Hooliganszene"

Einer der russischen Hooligans war damals Denis Nikitin. In der 2017 von der BBC veröffentlichten Dokumentation "Russia's Hooligan Army" berichtete er freimütig über die Ereignisse rund um das Gruppenspiel zwischen England und Russland in Marseille und die Hooliganszene in Russland. Dies tat er zwar vermummt, doch Kenner der Szene hatten kein Problem, ihn zu identifizieren.
Nikitin ist nicht irgendein Hooligan. In den 2010er Jahren war er mit seinem Label 'White Rex' eine der Schlüsselfiguren in der internationalen Hooligan- und Neonaziszene.
Robert Claus, Experte für die rechtsextreme Kampfsportszene
"Mit seinem Label verkaufte er nicht nur Kleidung, sondern organisierte auch Kampfsportturniere. Mit diesen Events vernetzte sich die internationale rechtsextreme Szene und professionalisierte ihre Gewalt. In Deutschland war er beim 'Kampf der Nibelungen' involviert. Dieser ist seit 2019 behördlich verboten", sagt Claus gegenüber ZDFheute. Er beschäftigt sich seit Jahren mit der rechtsextremen Kampfsportszene in Europa und hat dazu 2020 auch ein Buch veröffentlicht.

Nikitin: Einverständnis vom Präsidenten

Nikitin heißt mit bürgerlichem Namen eigentlich Denis Kapustin. 2001 kam er zusammen mit seiner Familie als Kontingentflüchtling nach Köln, das ergaben 2019 Recherchen von "Der Spiegel". Derzeit wendet er in der Ukraine Kampffähigkeiten an. Nachdem Nikitin zuerst vergeblich versucht hat, unter anderem auch deutsche Rechtsradikale für den Krieg zu mobilisieren, steht er nun an der Spitze des im August entstandenen und aus rund einem Dutzend russischer Rechtsradikaler bestehendem "Russischen Freiwilligenkorps".

Denis Nikitin und sein Label White Rex

In den 2010er Jahren stieg Denis Nikitin zu einer der Schlüsselfiguren der internationalen Hooligan- und Neonaziszene auf. Nikitin trat nicht nur bei neonazistischen Veranstaltungen wie dem 2017 im thüringischen Themar stattgefundenen Rechtsrockkonzert "Rock gegen Überfremdung" als Redner auf, sondern gab auch europaweit Kampfsportseminare für rechtsextreme Parteien wie der PNOS in der Schweiz.

Eine zentrale Rolle spielte dabei sein 2008 gegründetes Label "White Rex". Dabei handelt es sich nicht nur um eine Modemarke, die sich europaweit bei Hooligans und Rechtsextremen großer Beliebtheit erfreute. Unter dem Label organisierte Nikitin auch mehrere Kampfsportevents. Zuerst in Russland, unter dem Titel "Geist des Kriegers", ab 2013 auch in Europa. In Deutschland war Nikitin beim "Kampf der Nibelungen" involviert, dem größten neonazistischen Kampfsportevent in Deutschland und Europa. Dieses fand von 2013 bis 2018 jährlich in unterschiedlichen Städten statt. Seit 2019 konnten Kommunen und Behörden die Veranstaltung juristisch verhindern.

Denis Nikitin und sein Label propagieren eine gesunde Lebensweise, um sich für den Kampf der Zivilisationen vorzubereiten. Was Nikitin nicht daran hinderte, auch mit Drogen Geschäfte zu machen. 2019 machte "Der Spiegel" publik, dass Nikitin eigentlich Denis Kapustin heißt und 2001 mit seiner Familie als Kontingentflüchtling, offiziell also als Jude aus der ehemaligen Sowjetunion nach Köln kam, wo seine Familie bis heute lebt.

In der Hooliganszene des 1. FC Köln sammelte er auch erste Gewalterfahrungen. In demselben Jahr, indem "Der Spiegel" seine Enthüllungen publik machte, bekam Nikitin ein zehnjähriges Einreiseverbot in den Schengen-Raum. "Seitdem laufen die Geschäfte von Nikitin nicht mehr so gut, weswegen er auch an Einfluss in der rechtsextremen Szene in Europa verlor", sagt Robert Claus. 2018 verlagerte Nikitin seinen Lebensmittelpunkt nach Kiew.

Für die Ukraine kämpfende Ausländer

Die Ukraine ist seit Jahren ein Fluchtpunkt für viele Bürger anderer Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, die aus politischen Gründen ihre Heimat verlassen mussten. Dies ist mit ein Grund, weshalb nach dem russischen Einmarsch am 24. Februar auch viele in der Ukraine lebende Ausländer zu den Waffen gegriffen haben. Eines der bekanntesten Beispiele ist das Pahonja-Regiment, das aus belarussischen Freiwilligen besteht.

Es gibt aber auch eine georgische und tschetschenische Kampftruppe. Dazu kommen weitere Freiwillige, vorwiegend aus ostmitteleuropäischen- und angelsächsischen Staaten, die mit der von der Ukraine Internationalen Legion der Territorialverteidigung assoziiert oder deren Teil sind. Nikitins "Russisches Freiwilligenkorps" nutzt als Emblem das Wappen der sogenannten "Wlassow-Armee". Sie entstand während des Zweiten Weltkriegs aus russischen Kriegsgefangenen und kollaborierte mit Deutschland. Daneben gibt es mit der "Freiheitslegion" noch eine weitere aus Russen bestehende Kampfgruppe. Wie Nikitin in seinen Interviews jedoch betont, haben beide Gruppen ideologisch nichts gemeinsam. Nikitins "Freiwilligenkorps" ist zudem auch kein Teil der von der Ukraine gegründeten Internationalen Legion der Territotialverteidigung.

Russische Rechtsextreme und die Ukraine

Bis 2014 gab es durchaus rege Kontakte zwischen russischen und ukrainischen Rechtsradikalen. Eine Zäsur bildete jedoch das Jahr 2014 mit dem Maidan, der russischen Annexion der Krim sowie dem Krieg im Donbass. Es waren Ereignisse, die ähnlich wie in der internationalen rechtsextremen Szene auch innerhalb der russischen Rechtsradikalen zu unterschiedlichen Positionierungen führte. Einem demokratischen und liberalen ukrainischen Staat standen zwar alle kritisch gegenüber, dennoch sahen einige im Maidan ein Vorbild für Russland. Andere interpretierten diesen wieder als eine Abspaltung eines slawischen Brudervolkes.

Die Brüche zeigten sich auch während des Krieges in der Ostukraine. Während einige russische Neonazis in das ukrainische Asow-Bataillon eintraten, kämpften andere russische rechtsextreme Gruppen wie Russitsch auf Seiten der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Eine der bekanntesten Gruppen, die sich am russischen Angriffskrieg auf die Ukraine beteiligen, ist die vom russischen Milliardär Jewgenij Prigoschin gegründete Söldnertruppe Wagner, deren Mitglieder sich zum Teil offen zum Neonazismus bekennen. Was die russischen Rechtsradikalen eint, auch wenn sie auf unterschiedlichen Seiten der Front stehen, ist die White Supremacy Ideologie und somit auch die Überzeugung, dass die Slawen den anderen ethnischen Minderheiten Russlands überlegen sind.

Dieser kämpft jedoch nicht aufseiten Russlands. "Ich musste zum ukrainischen Präsidenten gehen, um ihm von mir zu erzählen und das Einverständnis einzuholen, offiziell kämpfen zu dürfen", behauptete Nikitin jüngst in einem Interview mit einem Szeneportal. Eine Behauptung, die sich weder bestätigen noch verneinen lässt. Das ukrainische Präsidialamt hat auf eine Nachfrage von ZDFheute, ob es tatsächlich zu einem Treffen zwischen Wolodomyr Selenskyj und Denis Nikitin kam, bisher nicht geantwortet.
Unbeantwortet blieben auch Fragen an das ukrainische Verteidigungsministerium, ob das "Russische Freiwilligenkorps" von der ukrainischen Armee mit Waffen ausgestattet wird. Dies behauptet Nikitin ebenfalls in dem bereits erwähnten Gespräch.
Doch Zweifel an seinen Aussagen sind berechtigt. Einerseits, weil sein "Freiwilligenkorps" kein offizieller Bestandteil der Internationalen Legion der Territorialverteidigung ist, so wie zum Beispiel das aus Belarussen bestehende "Pahonja-Regiment". Zudem erklärte Nikitin in einem ebenfalls erst kürzlich geführten Interview mit einem rechten Videoblogger, dass die Beziehungen zu der ukrainischen Armee bis heute eher oberflächlich sind.

Politikwissenschaftler: Nikitin ist auch Geschäftsmann

Dass mit Nikitin, der seit 2019 ein Einreiseverbot in den Schengen-Raum hat, ausgerechnet ein bekannter russischer Neonazi aufseiten der Ukraine kämpft, ist nur auf den ersten Blick verwunderlich.
Nikitin ist auch ein Geschäftsmann. Und viele seiner Aktivitäten haben in Russland wohl für zu viel Aufmerksamkeit gesorgt.
Anton Schechowzow, ukrainischer Politikwissenschaftler
Was dazu führte, dass er bereits 2018 nach Kiew übergesiedelt ist. In der Ukraine traf er nicht nur auf einheimische Rechtsextreme, sondern auch aus Belarus und Russland. "Gemeinsam mit ihnen wollte er dort seine Kampfsportevents und andere Projekte fortsetzen", so Schechowzow, zu dessen Forschungsschwerpunkten die rechtsextreme Szene in Osteuropa gehört.

Gleiche Ideologien - andere Frontseite

Vor allem steht Nikitin jedoch für jene russischen Rechtsextremisten, die trotz aller Ablehnung eines liberalen Staates im Maidan von 2014 auch ein Vorbild für Russland sahen. Das Ergebnis ist, dass sich bereits im Donbass russische Rechtsradikale bewaffnet gegenüberstanden, so wie jetzt. Auch auf der Seite der russischen Armee kämpfen rechtsradikale Gruppen.
"Nikitins Ideologie unterscheidet sich aber nicht von Russitsch oder einer anderen neonazistischen Gruppe in Russland" sagt Schechowzow. Denn was sie eint, ist die White Supremacy Ideologie, auch gegenüber den ethnischen Minderheiten in Russland. Oder wie es Nikitin ausdrückte: "In meiner Heimat versuchen sie alles zu vermischen und es eine politische Nation von Russen zu nennen".
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