Interview

: Experte: Söder verspielt Kanzlerkandidatur

09.10.2023 | 10:49 Uhr
Bayern und Hessen haben neue Landtage gewählt. In beiden Bundesländern konnte vor allem die AfD punkten. (Nicht nur) für die FDP und die Linkspartei setzen sich Negativtrends fort.
Die CSU schneidet in Bayern schwach ab, gewinnt dennoch die Landtagswahl.Quelle: AFP
Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Hessen und Bayern zeigen wichtige Entwicklungen auf, die auch die Bundespolitik beeinflussen werden. Politikwisschenschaftler Norbert Kersting erklärt, wovon die AfD in Bayern und Hessen profitiert hat, warum der Druck auf die FDP wächst - und der Wahlausgang sogar für eine Vorentscheidung in der Kanzlerfrage der Union gesorgt haben könnte.

Die Landtagswahlen in Hessen und Bayern bilden einen bundesweiten Trend ab: Die AfD gewinnt deutlich hinzu, die Ampel-Parteien werden abgestraft. Mathis Feldhoff berichtet.

09.10.2023 | 01:07 min
ZDFheute: Die Würfel sind gefallen. In Bayern und Hessen wurden neue Landtage gewählt. Großer Gewinner ist jeweils die AfD. Wie ist die Stärke der Partei in beiden Bundesländern zu erklären?
Norbert Kersting: Zum einen profitiert die AfD von der Unzufriedenheit der Wähler*innen mit den anderen Parteien. Wenn man sich die Ergebnisse im Detail ansieht, wird deutlich, dass viele aus Protest die AfD gewählt haben und nicht, weil sie unbedingt sehr stark hinter deren einzelnen Positionen stehen. Die AfD wird in beiden Bundesländern schlichtweg als starke Oppositionspartei gesehen.

Norbert Kersting ...

Quelle: WWU Münster

... ist Professor für "Vergleichende Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Kommunal- und Regionalpolitik" am Institut für Politikwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Zum anderen war die AfD deshalb so stark, weil vor allem ihr zentrales und eigentlich einziges Thema Migration am Ende den gesamten Wahlkampf auch der anderen Parteien dominiert hat.
Norbert Kerstin, Politikwissenschaftler
Dabei wurde von Teilen der Volksparteien zudem populistische Strategien benutzt. Das hat der AfD natürlich sehr in die Karten gespielt.
Hinzu kommt, dass die Partei während der Corona-Pandemie deutlich gemacht hat, keine Lösungen anbieten zu können. Deshalb haben sich in dieser Zeit viele von ihr abgewendet. Nun kann die AfD wieder punkten, in Zeiten, in denen große ökonomische und soziale Verwerfungen zu Tage treten.
ZDFheute: Was hat Sie mit Blick auf das Wahlergebnis in beiden Bundesländern am meisten überrascht?
Kersting: Ich hätte in jedem Fall erwartet, dass die CSU ihr historisch schlechtes Wahlergebnis von 2018 wenigstens wieder etwas aufholen kann. Dass Markus Söder dies nicht gelungen ist, hat mich doch überrascht. Zumal seine Partei den Bonus hatte, dass es Parteien auf Landesebene einfacher haben, die im Bund in der Opposition sind. In Hessen hat die CDU mit Boris Rhein dagegen genau das geschafft: Die großen Verluste bei der Landtagswahl 2018 konnten im Wesentlichen kompensiert werden.
ZDFheute: Die FDP hat in Bayern und Hessen massiv an Zustimmung verloren. In Bayern sind die Liberalen künftig nicht mehr im Landtag vertreten. Was bedeutet dieses Ergebnis für die Partei?
Kersting: Letztlich setzt sich damit ein Trend fort: Die FDP fährt seit ihrer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene in Landtagswahlen Wahlschlappen in Serie ein. Sie ist inzwischen in fast der Hälfte aller Landesparlamente nicht mehr vertreten.
Für die Liberalen wird durch die beiden jüngsten Ergebnisse der Druck nochmal größer, auf Bundesebene anders zu agieren.
Norbert Kerstin, Politikwissenschaftler
Am Ende muss die Partei wieder deutlicher machen, wofür sie steht, wodurch sie sich von den politischen Mitbewerbern unterscheidet und was letztlich ihre Daseinsberechtigung ist. Ganz konkret bedeutet das Ausscheiden aus dem Landtag große finanzielle Verluste und die Abhängigkeit vom ehrenamtlichen Engagement, was es nicht leicht macht, bei den nächsten Wahlen wieder andere Ergebnisse zu erreichen.

Bayern und Hessen haben neue Landtage gewählt. Daten, Reaktionen, Hintergründe - die Wahlsendung im ZDF.

08.10.2023 | 128:42 min
ZDFheute: In Hessen verpasst die Linkspartei den Wiedereinzug in den Landtag und halbiert sich. Worin liegen die Gründe für dieses Wahldebakel?
Kersting: Wir erleben bei der Linkspartei mit, wie sich eine Partei gerade selbst zerlegt. Die Diskussion über eine Spaltung und die ständigen innerparteilichen Konfrontationen sowie öffentlich ausgetragenen Streitigkeiten führen dazu, dass sich die Wähler*innen abwenden. Dieser Streit zahlt sich nicht aus. Ganz im Gegenteil. Die Linkspartei funktioniert nicht einmal mal mehr als Protestpartei, die sie lange Zeit gewesen ist. Ähnliches, wie jetzt in Hessen, werden wir wahrscheinlich bald auch auf Bundesebene sehen.
ZDFheute: Welche Auswirkungen kann der Wahlausgang für Deutschland haben?
Kersting: Ich denke, dass der Wahlausgang für eine Vorentscheidung in der K-Frage bei der Union gesorgt hat.
Aus diesem Wahlergebnis kann Markus Söder keinen Anspruch auf eine Kanzlerkandidatur bei der nächsten Bundestagswahl ableiten.
Norbert Kerstin, Politikwissenschaftler
Man hat keinen Schlussspurt im Wahlkampf gesehen, sondern eher eine verfehlte Ausrichtung der Wahlkampfstrategie.
Was wir - gerade mit Blick auf das Agieren in Bayern - auch feststellen müssen: Die Brandmauer zur AfD bröckelt zusehends. Wir müssen aufpassen, dass sie nicht irgendwann ganz verschwindet. Alle demokratischen Parteien sind gefragt, stärker zusammenzuarbeiten und klarzumachen, dass sie sich nicht gemein machen mit deren Thesen und deren populistischen Strategien. Das ist leider nicht immer ausreichend geschehen in diesen beiden Wahlkämpfen und insbesondere nicht in Bayern beherzigt worden.
Das Interview führte Michael Kniess.

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